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FIA-Technikchef: Formel 1 soll wieder Forschungslabor werden

Formel-1-Start. Credit: Red Bull Content Pool

Formel-1-Start. Credit: Red Bull Content Pool

Die Formel 1 war schon oft Testlabor für spätere Serientechnik. Gilles Simon, Technikchef des Automobilweltverbandes FIA, will auch beim Biosprit vorausgehen.

Das Spezialgebiet des 62-Jährigen sind nachhaltige Antriebe. Zuvor baute er Motoren für die Sportabteilungen von Peugeot und Ferrari. F1-Insider.com hat mit ihm gesprochen.

Monsieur Simon, Nachhaltigkeit wird auch in der Welt des Motorsports immer wichtiger. Aber warum sind die aktuellen Hybridmotoren gar nicht so schlecht?
Gilles Simon: Weil sie hocheffizient sind. Sie haben eine höhere thermische Energie als jeder Forschungsmotor, den ich kenne. Allerdings läuft er ja noch mit fossilem, wenn auch sehr speziellem Benzin. Deshalb hat die FIA vor etwa eineinhalb Jahren ihre Forschungen zu Biosprit begonnen. 

Formel 1 Mercedes Hybridmotoren Credit: Mercedes

Warum haben Sie sich für nachhaltigen Sprit und gegen rein elektrische Motoren oder Wasserstoff für die Zukunft der Formel 1 entschieden?
Weil wir ja elektrischen Rennsport in der Formel E schon haben und derzeit auch an einem Konzept für eine elektrische GT-Serie basteln. Für die Formel 1 sind Wasserstoff und reine Elektroantriebe heute noch zu schwer. Deshalb glauben wir, dass der Verbrennungsmotor mit nachhaltigem Sprit weiter seine Berechtigung hat. Außerdem werden wir für die nächsten rund 15 Jahre weiter Verbrennungsmotoren auf der Straße sehen. In Hybriden aber auch in normalen Modellen. Deshalb muss der Kraftstoff sauber werden. Für die fernere Zukunft erwarte ich dort einen Konkurrenzkampf zwischen elektrischen Schnelladesystemen und Wasserstoff. In der Zwischenzeit brauchen wir nachhaltigen Sprit. 

Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Wir haben einen Prototypen-Sprit, der 100 Prozent nachhaltig ist, bereits von verschiedenen Laboren herstellen lassen und je 200 Liter an die Hersteller ausgeliefert. Sie testen den Sprit also bereits mit ihren aktuellen Motoren. Das Benzin hat noch nicht dieselbe Performance wie herkömmlicher Formel-1-Kraftstoff, aber das war auch nicht das Ziel. Das Ziel war zu zeigen: Bio-Fuel ist möglich. Jetzt diskutieren wir mit den Benzinherstellern, welcher Sprit der richtige ist – denn es gibt verschiedene Varianten und verschiedene Herstellungsprozesse. Fest steht aber, dass wir mit dem Wechsel auf das neue Motorreglement (2025; d. Red.) auch auf CO2-neutralen Kraftstoff umzustellen. Zwischenschritte wird es deshalb nicht geben, weil die nicht repräsentativ wären für die Serie. Und weil jede Weiterentwicklung auf der Suche nach dem letzten PS auch eine Anpassung des Motors beziehungsweise der Brennkammern erfordern würde. Das wäre alles sehr kostenintensiv, deshalb haben wir uns dagegen entschieden. 

Welche möglichen Varianten von nachhaltigem Kraftstoff unterscheiden Sie?
E-Fuel bedeutet ganz generell: Man hat eine Kohlenstoff-Quelle – Karbon-Monoxid oder -Dioxid und eine Quelle von Wasserstoff. Das kombiniert man zu Hydro-Kohle. Einige Forscher nutzen Biomasse, um CO2 zu produzieren, andere extrahieren es aus der Luft. Trotzdem ist der Prozess derselbe. Denn wenn man Pflanzen wachsen lässt, binden auch sie CO2 aus der Luft. Wichtig ist, dass man keine Bäume verbrennt, die 200 Jahre gewachsen sind. Das wäre nicht nachhaltig. Danach kommt die Technologie der Transformation ins Spiel, denn das Rohprodukt muss verfeinert werden. Diese Prozesse gilt es noch zu verbessern, denn die Qualität der Basis-Kraftstoffe ist eher durchschnittlich. Dafür arbeiten wir mit verschiedenen Firmen zusammen, die an neuen Techniken arbeiten. Da geht es auch darum, ökonomisch sinnvolle Varianten herauszufiltern. Der wichtige Punkt für die Formel 1: Wir wollen die Technologie pushen. Wir wollen – so wie früher – wieder zum Forschungslabor für die Autoindustrie werden. Viele Technologien  wurden aus dem Motorsport übernommen, viele aber auch wieder verworfen. Dieses Forschungsfeld wollen wir nun beim Benzin bieten – Fortschritt kann dabei auch scheitern bedeuten, wenn man demonstrieren kann, warum ein anderer Weg der bessere ist.

Formel 1; Credit: LAT/Mercedes

Zuletzt war auch von Mikroalgen als Basis die Rede.
Ich weiß, dass an dieser Technologie geforscht wird, aber sie steht noch nicht zur Verfügung. Am Ende brauchen wir Herstellungsprozesse, die man pragmatisch umsetzen kann. Sie können es sich nicht vorstellen, wie schwierig es war, die ersten 1000 Liter des Prototypen-Benzins zu bekommen. Für eine Saison inklusive Testfahrten bräuchten wir eine Million Liter. Hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks der Formel 1 ist das relativ wenig. Aber es soll ein Demonstrator sein, was in der Forschung möglich ist. Ich sehe zwei Vorteile: Es werden Prozesse entwickelt, die dann auch in der Serie Anwendung finden können. Deshalb ist es auch wichtig, dass jeder Kraftstoffhersteller seinen eigenen Weg gehen kann. Damit kann die Formel 1 zum Beschleuniger des Forschungsprozesses werden. Zweitens: Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass diese Kraftstoffe existieren und auch funktionieren. Denn wenn sie in einem Formel-1-Motor funktionieren, dann tun sie das auch im Serienmotor. Das wäre also eine positive Botschaft, die die Formel 1 aussenden könnte.

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Das Gegenstück zum Biosprit sind die neuen Antriebseinheiten ab 2025. Wie soll deren Architektur aussehen?
Wir wollen den elektrischen Anteil aufwerten. Wahrscheinlich bis auf 50 Prozent. Das ist das Ziel – und viel mehr als heute. Was wir auch wissen: Der neue Verbrennungsmotor muss – auch wegen des nachhaltigen Kraftstoffs – noch effizienter werden als der aktuelle. Wir glauben, dass wir da noch einmal zehn Prozent finden können. Und unser Ziel ist es auch, Emissionen zu kontrollieren. Wir wollen also Motoren mit einer sehr sauberen Verbrennung einführen, die weit entfernt sind von dem, was wir bisher kennen. 

Wäre dann auch diese Technologie auf die Straße übertragbar?
Ein Formel-1-Motor arbeitet zu 70 Prozent bei Volllast. Sie fahren im öffentlichen Straßenverkehr vielleicht zu sieben Prozent mit Vollgas – und das auch nur, wenn Sie eine aggressive Autofahrerin sind. Die Entwickler der Serienmotoren sind also auf der Suche nach hoher Effizienz bei niedriger Belastung. Die Ziele sind andere, die Technologie kann aber dieselbe sein. 

Gilles Simon Credit: Ferrari

Für Sie als ehemaligen Motor-Spezialisten müssen all diese Entwicklungen doch ein Traum sein.
Es ist eine interessante Zeit. Meine Herausforderung ist, die Technologien der Zukunft in den Rennsport zu bringen. Und was Biosprit angeht: Wenn ich vor zwei Jahren darüber mit den Kraftstoffherstellern gesprochen habe, haben die mich für verrückt erklärt. Heute sind sie alle auf unserer Seite. Weil sich die Evolution derzeit so schnell vollzieht. Ich will nicht sagen, dass Technologie alle Probleme löst, aber sie ist Teil jeder Antwort. Die Menschen werden weiter reisen, sich weiter fortbewegen. Also müssen wir bessere Wege finden, mobil zu sein. Das geht nur über Technologie.

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Trotzdem haben alle Formel-1-Fans ein Anliegen: einen guten Sound der Motoren. Können Sie versprechen, dass der nicht schlechter wird?
Die Qualität des Sounds ist abhängig von den Umdrehungen des Verbrennungsmotors. Mit Sicherheit werden wir die Drehzahl auf ihrem jetzigen Niveau belassen, weil wir die Charakteristik der hochdrehenden Motoren beibehalten wollen. Wir respektieren, dass die Formel 1 eine spezielle Sound-Signatur braucht. 

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