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Die Formel 1 am Scheideweg

F1 Montreal 2017

Was ist nur mit der Formel 1 los? Was muss passiert sein, dass – wie beim letzten Rennen in Kanada – mehr Fernsehzuschauer mehr oder weniger zur gleichen Sendezeit das Auftaktspiel der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft bei der WM in Kanada verfolgten als das Formel-1-Rennen in Montreal? Dass sogar Ex-Formel-1-Piloten wie Heinz-Harald Frentzen sich nur den Start anschauten und dann das Programm wechselten. „Ich bin dann am Ende auch beim Fußball gelandet“, hat er mir berichtet, „war mir ja klar, dass das Rennen langweilig wird. Man weiß ja, wer gewinnt.“ Oder dass sich Ehefrauen von Teamchefs der Formel 1 nicht mehr für den Job ihres Gatten interessieren und lieber einen Krimi anschauen? Ist auch geschehen.

Das nachlassende Interesse an der Formel 1 nennt man kurzgesagt Krise. Konfrontiert man die Macher damit, werden sie böse und verteufeln einen. Häufigste Reaktion: „Wie kannst Du an dem Ast sägen, auf dem Du sitzt?“ Die Formel-1-Manager verschließen ignorant die Augen. Wer gewinnt will nichts ändern, weil er gewinnt. Wer verliert will alles ändern, weil er verliert. Insider Gerhard Berger ist davon ebenso enttäuscht wie ich. Der Ex-Formel-1-Star, der seinen Sport immer noch liebt, regestriert frustriert: „Jeder redet nur, stundenlang und endlos wird diskutiert – ändern aber tut sich nichts. Weil jeder nur seine eigene Sache verfolgt, aber niemand die ganze Sache sieht“

Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Die Zahlen belegen es eindeutig: Die Formel 1 ist kein Bringer mehr. Am deutlichsten zeigt sich das steigende Desinteresse an der Königsklasse des Motorsports anhand der Ticketverkäufe zum GP Österreich, der am Sonntag auf dem Red-Bull-Ring ausgettragen wird. Im letzten Jahr war das Event ausverkauft, die Leute waren begeistert, es war der Höhepunkt des Formel-1-Jahres. Diesmal wurden nur 50.000 Tickets im Vorverkauf abgesetzt. 40.000 weniger als im Vorjahr zur gleichen Zeit. Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko, der mit seinen klaren Worten und treffenden Analysen sowas wie das weiße Schaf in der Herde voll von Ignoranten ist, stellt desillusioniert fest: „Wer will schon sehen, wenn nur zwei Mercedes vorne weg fahren?“

Fest steht: Die Probleme sind hausgemacht. Die meisten Rennen sind langweilig. Überholen nur schwer möglich, deshalb hat Frentzen recht: Wer den Start gewinnt, siegt fast sicher. Dazu kommt: Es gibt fast nur Fahrer, die rüberkommen wie Mitglieder einer Boygroup. Nichtssagende Rennroboter, die sich mit nichts und niemanden anlegen wollen. Die brav die Produkte ihrer Sponsoren platzieren. Deren größtes Problem darin besteht, den schnellsten Slot der Privatmaschine zu bekommen. Das sollen also Vorbilder sein? Nur Lewis Hamilton, Kimi Räikkönen, Sebastian Vettel und – manchmal – Fernando Alonso haben zumindest das Potential, Menschen zu bewegen.

Wo aber sind die Helden von früher? Die Vorbilder, die von Fans bewundert wurden, auch wenn sie mal aneckten, weil sie nicht immer konform mit der Gesellschaft waren. Die James Hunts, Keke Rosbergs oder Ayrton Sennas? Die das Image von todesverachtenden Kampfpiloten hatten oder von Revolverhelden. Die ihre Duelle auf der Rennstrecke austrugen. Mit nichts in der Hand als einem Lenkrad und ihre Boxenbefehle bei über 300 km/h auf Boxentafeln ablesen mussten. Und manchmal bewusst übersahen.

Heute haben wir Rennfahrer, die ihr Lenkrad mit 30 Knöpfen bedienen wie die Kids ihre Steuerrungsgeräte der Playstation. Die über Funk sogar gesagt bekommen, welchen Knopf sie drücken müssen, damit das Auto schneller fährt. Die von den Ingenieuren derart überwacht werden, dass es sogar George Orwell für Utopie halten würde. Dazu kommt: Wir haben Regeln, die so kompliziert sind, dass sogar die Fahrer keinen Durchblick mehr haben. Warum soll sich dann ein Fan noch mit einer Sache beschäftigen, die er nicht mehr versteht? Früher wurde an Stammtischen über Kollisionen und waghalsige Überholmanöver diskutiert. Fast ferngesteuerte Hybridsysteme auf NASA-Niveau eignen sich zwar für Debatten in Vorstandsetagen, aber sind kein Stoff für Kneipengespräche.

Es gibt aber noch Hoffnung, dass sich was ändert. Denn nach dem Rennen in Montreal habe ich von einer SMS erfahren, die Mercedes-Chef Dieter Zetsche an seinen Teamchef Toto Wolff schrieb. Die Hauptaussage war nicht der Glückwunsch nach dem erneuten überlegenen Doppelsieg seiner Silberpfeile, sondern: „Unsere Autos waren nicht oft genug im Fernsehen.“ Das dies ob der Überlegenheit von Mercedes, die alleine auf weiter Flur vorneweg fahren, passieren könnte – das hatte F1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone schon vorher Mercedes-F1-Aufsichtsratchef Niki Lauda prophezeit. Dessen Antwort war nur: „Macht nix, die Siegerehrung musst du ja zeigen!“ Laudas Denkfehler: Da schaute schon keiner mehr zu.

Es muss jetzt schleunigst etwas passieren, dass auch Dieter Zetsche wieder zufrieden ist. Dass Heinz-Harald Frentzen wieder ganze Rennen anschaut. Und dass auch die Frau des Teamchefs sich wieder für die Arbeit ihres Mannes interessiert. Zum Beispiel: Einfachere Regeln, weniger Technik, damit das Feld wieder ausgeglichener wird. Aber vor allen Dingen braucht die Formel 1 wieder Bestien von Autos mit 1000 PS, die nur von ganz wenig auserwählten am Limit bewegt können. Damit der Fan da draußen nicht mehr denkt, jede Autobahnfahrt heutzutage ist gefährlicher als das Steuern von Formel-1-Wagen.

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