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Flügel-Affäre: FIA kann nicht objektiv entscheiden

Formel 1 Red Bull Max Verstappen 2021 Heck

Max Verstappen. Credit: Red Bull Content Pool

Formel-1-Reporter Ralf Bach bewertet in seiner Kolumne den Flügel-Streit zwischen Mercedes und Red Bull

Red Bull verleiht Flügel! Der legendäre Werbespruch der Getränkefirma von Marketing-Genie Dietrich Mateschitz hat in den vergangenen Wochen eine ganz neue Bedeutung bekommen: Denn welches andere Team würde sich insgeheim nicht gerne den innovativen Heckflügel des Red Bull ausleihen, der auf der Geraden nachgibt, um den Luftwiderstand zu verringern und damit den Topspeed erhöht?

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Selbst Dauerweltmeister Mercedes hätte ihn gerne. Da sie ihn aber nicht haben und wohl auch nicht einfach kopieren können, wollen sie ihn verbieten lassen. Und zwar sofort. Teamchef Toto Wolff machte das allzu deutlich. Die Ankündigung des Automobilverbandes FIA, erst nach dem Rennen in Baku die Tests so zu verschärfen, dass die am Anfang der Saison für legal erklärte Konstruktion des Red Bull so nicht mehr eingesetzt werden kann, finden die Mannen um Wolff nicht gerecht. 

Auf dem Stadtkurs in Baku gibt es die mit 1,3 Kilometer längste Gerade im Formel-1-Rennzirkus. Credit: Sutton Images / Pirelli

Hintergrund: Auf dem Stadtkurs in Baku gibt es die mit 1,3 Kilometer längste Gerade im Formel-1-Rennzirkus. Geschätzter Zeitvorteil durch einen flexiblen Spoiler à la Red Bull: bis zu einer halben Sekunde. Das will Mercedes nicht akzeptieren und droht deshalb gegen das Rennergebnis zu protestieren und sogar damit, das FIA-Gericht – die finale Instanz – anzurufen.

Die FIA rüstet sich bereits, hat für das Rennen in Aserbaidschan auf jeden Heckflügel zwölf jeweils etwa ein Zentimeter große gelbe Punkte geklebt, um die Flexibilität mit Hilfe der rückwärts gerichteten Kamera zu untersuchen. Sie sollen Referenzpunkte bilden – auch für die neuen, ab Frankreich eingeführten Tests.

Großer Imageschaden

Die FIA platziert beim Aserbaidschan-GP Markierungen auf dem Heckflügel der Teams. Credit: Twitter

Fest steht aber: Schon jetzt ist der Imageschaden groß. Gewinner gibt es im Streit um den Flügel keine. Toto Wolff kommt als schlechter Verlierer rüber, die FIA-Polizisten als überforderte Technikwächter. 

Allein: Die Probleme der FIA sind hausgemacht. Ihr allmächtiger Präsident Jean Todt hat die Suppe gekocht, die seine Untertanen jetzt auslöffeln müssen. Den Anfang machte vor zwei Jahren ein privates Abkommen mit Ferrari, als der Motor der Italiener ganz und gar nicht dem Reglement entsprach. Statt wie zu Zeiten von Todts Vorgänger Max Mosley drastische Strafen auszusprechen, kam Ferrari relativ milde davon. Es gab keinen Punktabzug, keine nachträglichen Disqualifikationen, keine Geldstrafe. Das alles wären normale Sanktionen für Betrug in großem Stil gewesen. Die Konkurrenten von Ferrari schüttelten nur ungläubig den Kopf. 

Racing Point kopierte 2020 den Mercedes.

Etwas Ähnliches passierte im vergangenen Jahr. Da war offensichtlich, dass Racing Point (heute Aston Martin) den Vorjahres-Mercedes originalgetreu kopiert hatte. Es war genauso offensichtlich, dass man die Mercedes-Kopie nicht nur anhand von Fotos, wie sowohl Racing Point als auch Mercedes glaubhaft machen wollten, zusammenbauen konnte. Jedem im Fahrerlager war klar, dass es einen regen Austausch zwischen beiden Teams gegeben haben muss. 

Der Fall erinnerte an die Spionageaffäre aus dem Jahr 2007. Damals hatte ein Ferrari-Mitarbeiter geheime Fahrzeugdaten angeboten, ein McLaren-Angestellter hatte sie gekauft. Als es rauskam, kannte die FIA unter der damaligen Führung Mosleys kein Pardon. McLaren wurden alle Punkte für die Konstrukteurs-WM gestrichen. Zusätzlich wurde das britische Traditionsteam mit einer Geldstrafe von 100 Millionen Dollar belegt. 

Entsprechend verwundert rieben sich Beobachter und Konkurrenten im vergangenen Jahr die Augen, als Racing Point für ein ähnliches Vergehen mit 400.000 Euro Strafe davon kam. Dem heutigen Aston Martin-Team wurden lediglich 15 Punkte gestrichen. 

Red Bull und Co. bekommen im aktuellen Fall zwar keinen Punktabzug, aber die öffentliche Schelte und der Rückbau zum GP Frankreich ist Strafe genug. Wie sollen sich die innovativen Techniker von Red Bull da fühlen, an vorderster Front Designgenie Adrian Newey? Wie Betrüger in großem Stil, wie Ferrari vor zwei Jahren und Racing Point im vergangenen? 

FIA gibt nach

Nein! Denn was Newey und seine Kollegen von Alfa Romeo, Alpine und auch Ferrari mit ihren biegsamen Heckflügeln getan haben, ist Formel-1-Folklore: Hochtalentierte Ingenieure entwickeln etwas, was solange als legaler Geniestreich gilt, bis sich die Konkurrenz zu sehr aufregt. In diesem Fall Mercedes. 

Und die FIA gibt nach. Das Problem: Der Automobilweltverband stellt die genialen „Trickser“ damit auf eine Stufe mit den „Schwerverbrechern“ von Ferrari und Racing Point. Und er führt auch eine andere Entscheidung ad absurdum. Denn wieso durfte Mercedes 2020 sein ebenso geniales DAS-System bis Ende des Jahres einsetzen, obwohl es von der FIA ebenfalls als nicht legal eingestuft wurde? 

Widersprüche wie dieser zeigen, dass die FIA-Regelhüter längst nicht mehr in der Lage sind, autark zu entscheiden. Zu viel Politik ist im Spiel. Auch das ist ein Teil der Wahrheit, die hinter der Flügel-Affäre steckt.

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