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Williams-Teamchef warnt Hamilton vor Russell

Formel 1 George Russell Williams Zandvoort 2021

George Russell. Credit: Williams

Exklusivinterview mit Williams-Teamchef Jost Capito vorm Formel 1 Rennen in Jeddah (GP Saudi Arabien)

Der Deutsche Jost Capito will das Traditionsteam Williams zurück auf die Erfolgsspur bringen. Von 2013 bis 16 holte er mit Sébastien Ogier vier Rallye-WM-Titel für VW Motorsport. Seit Februar ist er Williams-Teamchef, brachte das Team von Platz zehn auf Rang acht der WM. Hinweis: Das Interview wurde vor dem Tod von Teamgründer Sir Frank Williams geführt.

Jost Capito, in der Formel 1 fliegen zwischen Mercedes und Red Bull im WM-Endpurt die Giftpfeile. Wie sieht man dieses mit den Messer zwischen den Zähnen geführte Duell bei einem Team wie Williams, das nicht direkt in den WM-Kampf involviert ist?
Jost Capito (63): Wir schauen uns das von außen an und sind gespannt, was noch passieren wird. Auch wie die Regelhüter damit umgehen. Jedes Team kann in Zukunft daraus lernen, wenn Präzedenzfälle geschaffen werden. Besonders der Fall Verstappen in Brasilien, der eine Geldstrafe bekommen hat, weil er gegen Parc-Fermé-Regeln verstoßen hat, war da sehr interessant.

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Kommen wir zu Ihrem Williams-Team: Wie groß sehen Sie Ihre Verantwortung, dieses Traditionsteam wieder zurück an die Spitze zu führen?
Die Verantwortung und die Herausforderung sind groß. Das Team war drei Jahre ganz hinten in der Konstrukteurswertung. Das kam nicht von ungefähr. Es ist eine extrem spannende Aufgabe, zu analysieren, warum das so war und dann Pläne zu entwickeln, wie man wieder nach oben kommt. Grundsätzlich sind wir auf einem guten Weg. Wir haben in diesem Jahr schon viel erreicht, ohne dass wir am Auto groß was ändern konnten, was natürlich ein Handicap war. Deshalb konnten wir nicht erwarten, dass wir jetzt auf dem achten Platz der Teamwertung liegen. Das zeigt aber, dass es aufwärts geht. Wir müssen diesen Trend jetzt weiter fortsetzen.

Jost Capito. Credit: Williams

Was haben Sie bei Williams seit Ihrer Ankunft Anfang des Jahres verändert?
Als ich anfing, habe ich wegen der Erfolgslosigkeit fast so etwas wie eine kollektive Depression gespürt. Das Verhalten des Teams war sehr defensiv. Deshalb war es wichtig, erst mal an der Stimmung zu arbeiten. Statt defensiv offensiv und aggressiv an die Aufgaben herangehen, damit auch der Glaube zurückkommt. Die Punkte, die wir in diesem Jahr eingefahren haben (je zehn Punkte in Ungarn und Belgien; d. Red.), sind ein Ergebnis davon. Wir sind gerade bei den vom Wetter bestimmten Rennen Risiken eingegangen, beispielsweise bei der Reifenwahl. Das hat sich ausgezahlt. Das hat das Team beflügelt und die Stimmung ins positive gedreht. Wichtig ist, dass der Glaube an sich selbst zurückkehrte. Nicht nur, weil wir in Spa aufs Podium fahren konnten oder in Ungarn so gut aussahen – auch die Erkenntnis, dass wir im Qualifying mal unter die Top Ten fahren konnten, hat extrem geholfen. Am Anfang des Jahres hat man sich gefreut, wenn man mal Elfter wurde. Jetzt ärgert uns das gleiche Ergebnis. Und genau so muss es sein. Denn gesundes Selbstbewusstsein ist die Basis, um nächstes Jahr den nächsten Schritt zu machen. 

Wie sehr hilft es Williams, dass die großen Teams dank der Budgetgrenze nicht mehr wahllos Geld ausgeben dürfen?
Es hilft ganz bestimmt. Schon in diesem Jahr gibt es ja eine Budgetbeschränkung. Einfach gesagt heißt das: Die großen Teams können nicht mehr soviel Geld ausgeben wie bisher, die kleinen Teams womöglich sogar mehr. Alleine das führt das Feld schon enger zusammen. Natürlich haben die großen Teams noch einen Vorteil, weil sie ja in der Vergangenheit extrem viel zum Beispiel in die Infrastruktur investiert haben. Aber der Vorteil wird jedes Jahr geringer. 

Und wie sehr helfen die neuen Technik-Regeln für 2022? 
Die sind auf jeden Fall eine große Chance. Wie gut ein Auto am Ende ist, wird man aber erst sehen, wenn es das erste Mal auf der Rennstrecke ist. Vereinfacht kann man sagen: Die neuen Regeln sollen die Autos langsamer machen. Das heißt, die Top-Autos werden davon auf jeden Fall betroffen sein. Das ist die Chance, dass der Abstand nach vorne geringer wird. Besonders im Mittelfeld. 

Wie sehr wird Ihr Pilot George Russell fehlen, der im nächsten Jahr Teamkollege von Lewis Hamilton bei Mercedes wird?
Ich bin natürlich traurig, dass er geht. Auf der anderen Seite freue ich mich auch für ihn, weil er dann in einem absoluten Topteam fahren wird. Er hat viel gelernt bei Williams und hat es auf jeden Fall verdient. Natürlich hätten wir ihn gern gehalten, aber mit Alex Albon haben wir einen guten Ersatz gefunden. Er passt sehr gut zum Team, ist hungrig und ist der Richtige, mit Williams den nächsten Schritt zu gehen.

George Russell. Credit: Williams

Kann Russell bei Mercedes Lewis Hamilton herausfordern?
Ja, das kann er. Ich habe ja schon mit vielen Rennfahrern gearbeitet, aber George ist wirklich herausragend. Auch wie er ein Team hinter sich versammeln kann. Da ist er mit 23 schon unglaublich weit. Ganz wichtig ist seine Stärke mit Druck umzugehen. Je größer der Druck ist, desto stärker wird er. 

Also braucht er kein Lernjahr mehr bei Mercedes?
Nein. George ist mental, fahrerisch und technisch stark genug, um Lewis Druck zu machen. Das will er auch, deshalb tritt er an.

Deutsche Teamchefs sind im Moment erfolgreich in der Formel 1. Andreas Seidl bringt McLaren wieder in die Erfolgsspur, Sie machen Williams schneller. Was können die deutschen Manager besser?
Ich verstehe mich sehr gut mit Andreas Seidl. Wir beide sind durch die gleiche Schule (u. a. bei BMW und Sauber; d. Red.) gegangen. Die Arbeitsweise der deutschen Automobilhersteller ist relativ gleich.

Fünf der Teamchefs haben Deutsch als Muttersprache, das sagt einiges.
Was meinen Sie genau?
Deutsche sind sehr prozessorientiert, verfolgen weniger das „Try-and-Error-Prinzip“. Also ausprobieren und aus Fehlern lernen. Du hast in der Formel 1 keine Zeit, da muss jeder Schuss sitzen. Besonders jetzt mit der der Budgetbeschränkung. 

Sie haben als VW-Motorsportchef bereits vier Rallye-WM-Titel gewonnen. Können Sie diese Erfahrung auch mit in die Formel 1 nehmen?
Man kann viel mehr aus anderen Sportarten übernehmen, als viele glauben. Die Formel 1 ist eine Blase, da kann es nur gut sein, auch mal einen Blick von außen mitzubringen. Wenn es um Teambuilding und Teammotivation geht, spielt es keine Rolle, in welcher Serie man gerade aktiv ist. Man muss überall die richtigen Leute an Bord haben. Und ich denke, dass wir mit unserem neuen technischen Direktor François-Xavier Demaison, unserem Berater Willy Rampf und unserem neuen sportlichen Direktor Sven Smeets, die mit mir von VW gekommen sind, schon gut aufgestellt sind.

Überspitzt kann man also sagen: VW ist personaltechnisch schon in der F1 vertreten …
(lacht) Ich weiß, dass es die Spekulationen gibt, Audi und Porsche könnten einsteigen. Aber noch ist das neue Motorreglement nicht endgültig abgesegnet, deshalb kann es noch keine Entscheidung geben. Falls es dann passiert, sind wir gern für Gespräche bereit. Aber dafür müssen wir uns erst mal in die sportliche Position bringen. 
Ich kann nur sagen: Die Formel 1 boomt gerade wieder. Das in Kombination mit dem geplanten neuen Hybridmotor mit höherem Elektroanteil und Biosprit ab 2026 ist dann natürlich auch interessant für Hersteller. Dazu kommt die Budgetbeschränkung. So ufern die Finanzen nicht mehr aus.

Bianca Garloff, Ralf Bach

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