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Wolff wehrlos und desillusioniert: „Lewis fehlen die Worte“

Formel 1 Toto Wolff Mercedes 2021

Toto Wolff. Credit: Mercedes

Lewis Hamilton und Toto Wolff boykottieren die FIA-Gala. Der Mercedes-Teamchef erklärt die Hintergründe zu Mercedes‘ Verzicht auf Berufung und nimmt die FIA in die Pflicht.

Die Vernunft hat gesiegt. Mercedes hat die Berufung gegen das Rennergebnis des Abu Dhabi-GP zurückgezogen. Damit ist das unwürdige Nachspiel des WM-Finals beendet. Mit starken Worten und dem Bezug auf sportliche Fairness macht Mercedes Red Bull-Star Max Verstappen nun auch ganz offiziell zum Weltmeister.

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Doch ganz einig scheint man sich beim Mercedes-Konzern in Stuttgart und dem Team in England nicht zu sein. Während man im Statement vom Vormittag versöhnliche Worte fand, überwiegt in der anschließenden Presserunde von Teamchef Toto Wolff die Verbitterung.

Ganz in Schwarz gekleidet wie Darth Vader und mit versteinerter Miene sprach der Österreicher erstmals seit dem WM-Finale in der Öffentlichkeit und ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass Mercedes seiner Meinung nach großes Unrecht widerfahren ist.

Lewis Hamilton. Credit: LAT/Pirelli

„Es gibt einen Unterschied dazwischen, Recht zu haben und Recht zu bekommen“, begründet der Österreicher zunächst den Grund für den Verzicht auf eine Berufung und legt dann richtig los: „Ich war in meinem ganzen Leben nie wehrloser, außer vielleicht als Kind. Plötzlich bist du einer Situation ausgesetzt, die dich fassungslos macht, die du nicht ändern kannst. Es ist wie in einem totalitären Regime und dann auch noch gegen jede Regel“, schildert Wolff seine Emotionen in Bezug auf die letzte Runde in Abu Dhabi.

„Was mir an diesem Sport so gut gefällt, ist die Ehrlichkeit. Die Ehrlichkeit der Stoppuhr.“ Doch eben die habe es in Abu Dhabi nicht gegeben, sagt der Mercedes-Boss. „Das war eine Freistil-Auslegung der Regeln. Meine Seele und mein Herz weinen, weil das in der richtigen Weise hätte beurteilt werden müssen.“

Genauso sei die Gemütslage auch bei seinem Starpiloten Lewis Hamilton, mit dem Wolff seit dem „Albtraum“-Finale laut eigener Aussage in ständigem Austausch steht.

So geht es Lewis Hamilton nach dem Final-Schock

Der Rekordweltmeister hat sich noch nicht öffentlich zu Wort gemeldet. „Das Schweigen ist da, weil ihm einfach auch die Worte fehlen“, erklärt Wolff und fügt an: „Wenn dir nach so einer unglaublichen Leistung in einer Sekunde alles genommen wird, fällst du natürlich vom Glauben ab. Lewis und ich sind momentan desillusioniert.“

Vor allem der Brite durchlebe gerade eine Achterbahn der Gefühle: „Einerseits ist da diese große Frustration, andererseits jetzt diese unglaubliche Anerkennung seiner Lebensleistung mit dem Ritterschlag (am Mittwoch in London; d. Red.). Ich habe ihm davor gesagt, dass er diese paar Stunden genießen und diese positiven Momente mitnehmen soll, wo seinem bisherigen Lebenswerk und seiner Leistung gehuldigt wird.“

Sir Lewis Hamilton. Credit: F1

Kurzzeitig fürchtete der Mercedes-Boss wohl sogar, sein Superstar könnte nach der kontroversen Niederlage am Sonntag einfach alles hinschmeißen. „Ich hoffe sehr, dass Lewis weitermacht mit dem Rennfahren, weil er der größte Fahrer aller Zeiten ist. Aber ich denke, als Racer wird sein Herz sagen: Ich muss weitermachen. Er ist gerade auf dem Höhepunkt seines Könnens“, sagt Wolff.

Dennoch hält der Wiener fest: „Wir müssen beide den Schmerz und das Leid überwinden, das wir am Sonntag erfahren haben. Es wird lange dauern, bis wir das verdaut haben. Ich glaube nicht, dass wir jemals darüber hinwegkommen werden.“

Aus diesem Grund schwänzen der Mercedes-Boss und Hamilton heute Abend auch die FIA-Gala in Paris. „Wir werden nicht da sein“, sagt Wolff, der stattdessen Technikchef James Allison schickt, um die Pokale einzusammeln. Das Team habe schließlich verdient, den achten Konstrukteurstitel in Serie zu feiern – eine Rekordmarke, die in der Geschichte der Formel 1 zuvor noch kein Rennstall geschafft hat.

Wolff will nicht mit Masi sprechen

Mit seiner eigenen Meinung in Bezug auf die FIA und vor allem Rennleiter Michael Masi hält Wolff indes nicht hinterm Berg. „Ich habe kein Interesse daran, mit Michael zu reden. Die Entscheidungen in den letzten vier Minuten des Rennens, haben Lewis eine verdiente Weltmeisterschaft gekostet. Dass er in der letzten Runde so beraubt wird, ist inakzeptabel.“

Weder von persönlichem noch professionellem Standpunkt aus strebe er deshalb eine Aussprache mit Masi an und schiebt den schwarzen Peter in Richtung des Rennleiters: „Meine Werte und mein Sinn für Integrität sind einfach nicht mit den Entscheidungen vereinbar, die am Sonntag getroffen wurden.“

Der Grund, warum Mercedes trotzdem nicht in Berufung gehe, sei ein anderer, sagt Wolff und stellt dem Weltverband damit gleich das nächste Armutszeugnis aus: „Wenn man es von rechtlicher Seite aus betrachtet und der Fall wirklich vor einem ordentlichen Gereicht gelandet wäre, ist es fast garantiert, dass wir gewonnen hätten“, ist sich der Österreicher sicher. Man habe aber Zweifel daran, dass die Behörde gerade so aufgestellt sei, „dass wir dort Gerechtigkeit erfahren“.

Credit: Formel 1 / Twitter

„Die Schwierigkeit der Situation ist, dass die FIA ihr eigenes Vorgehen bewerten muss. Wir wussten deshalb von Anfang an, dass die Situation kompliziert ist, da zu einer Entscheidung zu kommen, die in unserem Rechtsverständnis korrekt gewesen wäre“, erklärt Wolff Mercedes‘ Verzicht auf die Berufung. „Keiner von uns will eine WM im Gerichtssaal gewinnen.“

In diesem Zusammenhang richtet der Mercedes-Boss auch Worte an die Red-Bull-Verantwortlichen, die ihn und sein Team nach dem Rennen als schlechten Verlierer bezeichnet hatten. „Diese Aussagen sind sicher aus der Emotion heraus entstanden. Ich habe kein Problem mit Red Bull und kann sogar verstehen, dass sie frustriert waren, als unser Protest die WM-Entscheidung verzögert hat. Wir wollen kein schlechtes Wort über Max, Horner oder Marko verlieren. Sie haben uns einen unglaublichen Kampf geliefert und verdienen den Titel.“

Wolff, der Verstappen auch persönlich per Textnachricht gratulierte, weiter: „Es tut uns leid, wenn durch dieses Nachspiel ein Schatten auf die Weltmeisterschaft von Max fällt. Das hat er persönlich nicht verdient, denn er und auch Red Bull sind Racer, die wissen genau, was am Sonntag passiert ist.“

Mercedes-Boss nimmt FIA in die Verantwortung

In die Pflicht nimmt Wolff nach der Final-Kontroverse einzig und allein die FIA und die neu gegründete Kommission, die die Vorgänge von Abu Dhabi untersuchen soll: „Wir erwarten von der Kommission, dass sie nicht nur mit Worten sondern auch Handlungen kommt und nehmen sie dafür in Verantwortung. Wir können so nicht weitermachen in einem Sport, der vor der Unterhaltung stehen sollte – und nicht umgekehrt.“

Spontane „Zufallsentscheidungen“ wie am Sonntag, seien für die Zukunft ein No-Go, sagt Wolff: „Es muss vor dem Start der neuen Saison klare Maßnahmen geben.“

Toto Wolff. Credit: Steve Etherington/Mercedes

Laut Wolff habe der Sport Schaden davon getragen. Aber nicht nur beim Finale in Abu Dhabi sondern auch schon in jüngerer Vergangenheit, stellt er einen Verlust an Glaubwürdigkeit bei der FIA fest: „Im Zeitalter der Transparenz können Entscheidungen nicht mehr mit irgendwelchen Hinterzimmerdeals getroffen werden“, spielt der Wiener etwa auf die bis heute nicht gänzlich aufgeklärte stillschweigende Übereinkunft der Behörde mit Ferrari in Bezug auf deren potenziell illegalen Motor 2019 an.

Gleichzeitig zeigt sich Wolff optimistisch, „dass wir die Gräben, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr aufgetan haben, in den kommenden Monaten schließen können.“

Als Grund nennt er die Einigkeit der meisten Interessensvertreter in der Königsklasse. „Der Großteil teilt meine Frustration über viele der Entscheidungen, die dieses Jahr getroffen wurden. Da wird also jetzt gemeinsam in die gleiche Richtung gepusht.“

Von: Bianca Garloff und Frederik Hackbarth

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