Ein 700 PS starker Chevrolet Camaro aus der NASCAR mischt das Etablissement in Le Mans auf – mit ernsthaften Absichten.
Noch bevor das legendäre 24-Stunden-Rennen an der Sarthe überhaupt gestartet ist, steht Donovan Williams jubelnd auf dem Podest. Statt eines Pokals streckt der großgewachsene Amerikaner mit beiden Armen einen Wagenheber über seinen Kopf. Williams ist kein Rennfahrer. Sondern einer von fünf „Boxenstopp-Athleten“ des Teams Garage 56, die soeben der versammelten GT-Elite in Le Mans eine Lektion erteilt haben. In nur 10,364 Sekunden wechselte das US-Team unter dem Jubel ihrer drei Fahrer Jenson Button, Jimmie Johnson und Mike Rockenfeller die vier Räder des Chevrolet Camaro ZL1. Schneller als jedes GT-Team und fünftbeste Zeit insgesamt. Und das, obwohl sie als einzige Mannschaft auf eine pneumatische Hebeanlage in ihrem Rennwagen verzichten.
Auch wenn der Sieg in der GT-Kategorie des Boxenstopp-Wettbewerbs beim 100-jährigen Jubiläum des Langstrecken-Klassikers sportlich nicht im Mittelpunkt steht, so sendet das NASCAR-Projekt damit dennoch eine klare Botschaft. „Wir sind hergekommen, um das Level der Professionalität im US-Motorsport, in der NASCAR, zu demonstrieren“, erklärt Jimmie Johnson. Der 47-jährige ist mit sieben Titeln in der Top-Kategorie, der Cup Series, einer der erfolgreichsten Fahrer aller Zeiten. Die Rennserie, die in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen feiert, ist in den USA mit Abstand die populärste. Und der Achtungserfolg in der Boxengasse von Le Mans kein Zufall: Wie Williams, der zur Saison 2022 kurz vor dem Einstieg in die Football-Profiliga NFL stand, sind die meisten seiner Kollegen vielmehr Sportler als Mechaniker.
Dass überhaupt ein NASCAR in Le Mans starten darf, hat der französische Organisator ACO (Automobile Club de l’Ouest) nur unter einer Bedingung erlaubt: Die Mannschaft, personell überwiegend von Hendrick Motorsports gestemmt, muss außerhalb der Wertung fahren. Doch nach der Qualifikation hat Garage 56 Blut geleckt: Mit einer Rundenzeit von 3:47.976 Minuten brummte Mike Rockenfeller den beiden schnellsten GTs, den Ferrari von AF Corse, fast vier Sekunden auf. „Ausgangs von Mulsanne bin ich etwas in den Kies gekommen. Sonst wäre eine 3:36 drin gewesen“, verrät „Rocky“, der aufgrund von Unterbrechungen letztlich nur eine schnelle Runde fahren konnte. Klar ist: Der fast 700 PS starke Tourenwagen soll nun auch vor der GT-Meute ins Ziel kommen.
Doch selbst wenn das nicht gelingen sollte, hat das von NASCAR-Chef Jim France initiierte Projekt bereits jetzt viel erreicht: Für Furore gesorgt und gezeigt, auf welch hohem Level die Rennserie agiert. Denn mit dem kurios anmutenden Auftritt in Le Mans verfolgt er ein ultimatives Ziel: „Europäische Hersteller verkaufen attraktive Limousinen in Amerika. Und es würde mich überaus freuen, wenn sie diese auch in NASCAR-Rennen einsetzen würden“, liebäugelt der 78-Jährige.
Autor: Felix Achmann
FOLGT UNS AUF YOUTUBE!
Das ist F1-Insider.com