In der Sommerpause blicken wir auf die erste Saisonhälfte der Formel 1 zurück und analysieren Team für Team. Diesmal: Klassenprimus Mercedes.
Bei den Testfahrten im Winter deutete noch alles auf eine extrem spannende Saison hin. Ferrari überzeugte in Barcelona, die Wachablösung schien vollzogen. Mercedes fuhr nur am letzten Tag der zweiten Testwoche schnelle Runden. Die Scuderia fuhr als klarer Favorit nach Melbourne.
Doch in Down Under kam das große Erwachen. Mercedes war wie gehabt klar überlegen, Ferrari hinkte hinterher. Die scheinbare Überlegenheit der Tests war wie weggeblasen. Was war passiert? „Nicht viel“, rekapituliert Mercedes-Teamchef Toto Wolff, „Wir haben unser Auto erst am letzten Tag der Wintertests vollständig verstanden.“
Es bleibt dahingestellt, ob dem wirklich so war. Vielleicht wollte Mercedes r seine Karten vor dem ersten Saisonrennen auch nur nicht aufdecken. Denn sie wussten genau, welche Asse sie im Ärmel haben. Der Silberpfeil der 2019er-Generation ist extrem auf Abtrieb ausgelegt. Die Designer in Brackley gingen damit einen anderen Weg als die Hauptkonkurrenten von Ferrari und Red Bull.Und damit trafen sie genau ins Schwarze. Grund: Die für die Saison 2019 neu designten Pirelli-Reifen haben kleineres und vor allem höheres Arbeitsfenster.
Um dies zu treffen, braucht es extreme Haftung – nur so bringt man die Pneus konstant zum Arbeiten. Mercedes ging für dieses Fahrzeugkonzept Kompromisse ein. Man verzichtete auf Topspeed.Der Verlust auf den Geraden wird aber durch größere Kurvengeschwindigkeit mehr als wett gemacht. Nur bei extremer Hitze (32 Grad Außentemperatur) zeigte der Silberpfeil bisher Schwächen. Durch Kühlungsprobleme konnte man den Motor nicht voll aufdrehen. Deshalb hatten Lewis Hamilton und Teamkollege Valtteri Bottas beim Hitzerennen in Österreich keine Chance.
Für die zweite Saisonhälfte wurde die Aerodynamik im Heck geändert, um das Überhitzungsproblem zu vermindern. Dass das Konzept der Ingenieure voll aufging zeigt die Halbzeitbilanz: Mercedes gewann zehn der zwölf Rennen, sieben Mal holten sie dabei Doppelsiege. Superstar Lewis Hamilton stand acht Mal ganz oben auf dem Podest, Teamkollege Valtteri Bottas zweimal.
In der Konstrukteurswertung liegt Mercedes schon zur Sommerpause mit 438 Punkten 150 Zähler vor Ferrari. Bei den Fahrern führt Hamilton mit 250 Punkten. Zweiter ist Bottas mit schon 62 Punkten Rückstand.
Dabei startete der Finne vielversprechend. Er gewann gleich den Saisonauftakt in Melbourne sowie das vierte Rennen in Baku. Doch eine richtige Herausforderung für den fünffachen Champion Hamilton wurde er dann doch nicht.
Je länger die Saison dauerte, desto stärker wurde der Brite. Am Ende schien Bottas an der fleischgewordenen Eiger Nordwand zu verzweifeln. Immer mehr Fehler schlichen sich bei ihm ein. In Hockenheim flog er an zweiter Stelle liegend in die Mauer, in Ungarn kollidierte er schon beim Start mit Hamilton und Ferrari-Pilot Leclerc – ein deshalb notwendig gewordener früher Boxenstopp machten seine Chancen zunichte.
Bottas schwächelte zum falschen Zeitpunkt. In der Sommerpause will Toto Wolff entscheiden, wer 2020 an der Seite von Hamilton fährt. Die Frage, die er beantworten muss: Bottas´ Vertrag verlängern oder Junior Esteban Ocon eine Chance geben?
Bottas, der sich besonders im Qualifying stark verbessert hat und dort fast auf Augenhöhe mit Hamilton fährt, ist sich durch seine Schwächephase seiner Sache nicht mehr sicher: „Ich brauche womöglich einen Plan B.“ Was ihm Mut macht: Größter Fürsprecher ist Hamilton, der den Finnen als Teamkollegen behalten will.
Hamilton ist die unumstrittene Nummer 1. Der Brite scheint mit seinen 34 Jahren immer noch nicht auf dem Höhepunkt seines Fahrens angekommen zu sein.
„Ich lerne immer noch dazu“, sagt er „man ist niemals perfekt. “
Als Beispiel dafür nannte er das Rennen in Hockenheim: „Das war kein gutes Rennen von mir.“
Allein: Es müsste schon ein Wunder passieren, wenn er in dieser Saison nicht seinen sechsten Titel einfahren wird.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.