Zweiter Teil unserer Halbzeitanalyse. Diesmal: So vergab Ferrari die WM-Chance 2019 schon in der ersten Halbzeit.
Die Bilanz in der Sommerpause fällt für Ferrari ernüchternd aus. Sebastian Vettel (32) und Charles Leclerc (21) belegen mit 94 (Vettel) und 118 Punkten (Leclerc) Rückstand auf WM-Leader Lewis Hamilton nur die Plätze vier und fünf der Fahrerwertung. In der Konstrukteurswertung liegt Ferrari nur deshalb vor Red Bull, weil Pierre Gasly nach bisher zwölf Rennen ein Totalausfall für Red-Bull-Ansprüche ist.
Allein: Vom Autovergleich her hat Red Bull Ferrari überholt. Die Österreicher sind mit Jungstar Max Verstappen (21) Mercedes-Jäger Nummer 1. Gestartet war die Scuderia mit völlig anderen Ansprüchen. In seinem fünften Jahr beim roten Nationalheiligtum Italiens sollte Vettel den ersten Fahrertitel seit 2007 (Kimi Räikkönen) holen.
Diesen Traum können die Italiener schon nach zwölf Rennen begraben. Das ist dem Deutschen klar, der versucht trotz fehlendem Abtrieb für Antrieb im Team zu sorgen. Vettel spielt weiter den Motivator: „Wir kennen unsere Schwächen“, analysiert der Heppenheimer. „Wir verlieren zu viel Zeit in den Kurven. Die neuen Teile, die wir in Ungarn brachten, zeigten zwar Wirkung, aber noch nicht genug. Wir müssen weiter hart arbeiten, um dann auch in der nächsten Saison besser gerüstet zu sein. Das Gute ist, dass Ruhe im Team herrscht.
Fest steht: Ferrari ging mit seinem Fahrzeugkonzept den falschen Weg. Beim SF90H legten die Techniker größten Wert auf Topspeed. Die Aerodynamik wurde deswegen auf Effizienz ausgelegt. Heißt : Ein guter cw-Wert sorgt auf den Geraden für weniger Luftwiderstand.
Auch der Motor gilt mittlerweile als dem Mercedes ebenbürtig. Auffällig: Nach Informationen von AUTO BILD MOTORSPORT beschleunigt er im Gegensatz zum Silberpfeil-Antriebsstrang noch mal extrem im letzten Drittel einer Gerade. Der Mercedes wird dagegen konstanter schneller, fällt aber laut Red-Bull-GPS-Daten durch eine starke Beschleunigung im ersten und zweiten Gang auf.
Auf Strecken wie in Bahrain oder Montreal war Ferrari deshalb am schnellsten. Ein technisches Problem mit dem Motor in Bahrain (Leclerc/Kontrolleinheit des Einspritzsystems) und eine umstrittene Strafe der Rennkommissare in Montreal (Vettel) aber verhinderten mögliche Siege.
Fest steht: Ferrari musste für die höchsten Topspeed-Werte zu viele Opfer bringen. Der fehlende Abtrieb sorgte für eine Kettenreaktion. In langsamen und mittelschnellen Kurven (zwei Drittel der Strecken bestehen daraus) verlieren Vettel und Leclerc zu viel Zeit. Zudem kommen dadurch die Reifen nur sehr schwer auf Betriebstemperatur. Für Vettel nicht gut: Er spürte das Heck des Autos nicht so, wie er es mag. Vettel: „Dadurch fehlt am Ende am Limit das vollständige Vertrauen.“
Was auffällt: Die zahlreichen Updates haben nicht das erhoffte Ergebnis gebracht. Der Rückstand zu Mercedes wurde nicht verkürzt. Im Gegenteil: Seit dem GP von Österreich ist die Scuderia hinter Red Bull zurückgefallen. Bitter aber wahr: Auf Strecken wie Spa und Monza könnte Ferrari zwar wieder im Kampf um den Sieg mitmischen, dann aber wird es sogar schwer mit Podiumsplätzen. Das Auto ist mit dem bestehenden Konzept nahezu ausgereizt. Für 2020 will Ferrari deshalb eine bessere Balance zwischen Topspeed und Abtrieb finden.
Gut für Sebastian Vettel: In den letzten beiden Rennen vor der Sommerpause zeigte er besonders der sehr kritischen italienischen Presse, wer der Platzhirsch bei Ferrari ist. Er kam zweimal aufs Podium, während der hochgelobte Teamkollege Charles Leclerc nicht aufs Treppchen kam.
Vettel fuhr insgesamt wesentlich konstanter als der talentierte Monegasse. Leclerc machte schwerwiegende Fehler in Baku, in Monaco und Hockenheim, die drei Podestplätze kosteten. Der Deutsche riskierte dagegen nur in Silverstone zu viel, als er sich beim Überholversuch gegen Max Verstappen verschätzte.
Was für den Heppenheimer spricht: Sein Teamspirit ist weiterhin vorhanden. Vettel: „Ich bin nicht zufrieden mit meiner Leistung bisher. Dass ich vor Charles in der WM-Wertung liege, bedeutet mir nichts. Wir sind ein Team und wenn wir nicht ganz oben sind, haben wir nicht das erreicht, was wir uns vorgestellt haben.“
Vergleich Vettel gegen Leclerc:
Qualifying Duell: 6-6
durchschnittlich langsamer im Qualifying: +0.027s
Rennvergleich: 8-4
Durchschnittsteampunkte: Vettel 54%, Leclerc 46%
Noten:
Vettel 7,2
Leclerc 7,0
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.