Helmut Marko im Exklusivinterview über Max Verstappen, Sebastian Vettel, neue Regeln und mehr.
Dr. Marko, sie haben vor wenigen Tagen Pierre Gasly bei Red Bull als Teamkollegen von Max Verstappen durch ihren Toro-Rosso Junior Alexander Albon ersetzt: Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?
Marko (76): Solche Entscheidungen sind nie einfach. Aber wir mussten reagieren. Es geht ja auch darum, wer nächstes Jahr neben Max Verstappen bei Red Bull Racing fährt. Alexander Albon fühlt sich schon jetzt bereit dazu. Gasly soll bei Toro Rosso wieder sein Selbstbewusstsein finden. Eine Entscheidung für 2020 ist aber mit dem Fahrertausch jetzt noch nicht gefallen.
Warum Albon und nicht Kvyat?
Albon braucht jetzt die Chance, um sich auf nächst höherer Stufe zu beweisen. Kvyat kennen wir. Wir wissen, was er kann.
Zum Beispiel hat er das durch seinen dritten Platz in Hockenheim eindringlich bewiesen. Für Sie war das ja ein ganz bestimmtes Podium: Verstappen vor Vettel und Kvyat. Alle drei sind ihrer Nachwuchsschule entsprungen…
Das war mir im ersten Moment gar nicht bewusst. Albon war auch noch unter den ersten Sechs. Aber ich war unterm Podium immer noch von diesem einzigartigen Rennen fasziniert. Das letzte Mal, dass ich ein solch dramatisches Rennen mit einer solch überragenden Fahrerleistung gesehen habe, war in Donington 1993. Als Ayrton Senna im Regen so überragend gewann.
Wonach schauen Sie bei jungen Talenten? Worauf kommt es an?
Auf Speed. Das ist das Wichtigste.
Jos Verstappen hat erzählt, dass Sie bei Ihrem ersten Treffen eineinhalb Stunden mit Max gesprochen haben: Was fragt man in einem solchen ersten Meeting?
Normalerweise rede ich maximal 20 Minuten. Aber bei Max war das ganz anders. Das hat sich so ergeben.
Provozieren Sie die jungen Piloten bewusst bei einem dieser „Vorstellungsgespräche“?
Das gehört auch dazu. Das ist eine Form der Gesprächsbegleitung. So eine Art Stresstest.
Helmut Marko mit Max VerstappenMax Verstappen ist erst 21. Was macht ihn jetzt schon so überragend gut?
Er ist in der Relation zu seinem Alter – Vettel war damals schon älter – der schnellste Fahrer, den wir je hatten. Dazu kommt jetzt seine Erfahrung. Er hat seit dem Rennen in Frankreich 2018 keinen Fehler mehr gemacht. Er kann immer am Limit fahren, irrsinnig schnell, ohne je die Übersicht zu verlieren. Ein Beispiel: Wenn ihm sein Ingenieur sagt, dein rechter Hinterreifen ist zehn Grad zu heiß, reagiert er sofort. Dann hat er innerhalb von zwei Runden die Temperatur wieder gesenkt, ohne aber an Rundenzeit verloren zu haben. Das ist schon phänomenal.
Im letzten ersten Saisondrittel hat er noch einige Fehler gemacht: Gehören die zum Reifeprozess einfach dazu?
Ja, auf jeden Fall. Im letzten Jahr hat ihm am Anfang sein immenser Ehrgeiz im Weg gestanden. Er wollte immer der Schnellste sein, sogar in jedem freien Training, das doch eigentlich dafür da ist, um das Auto vernünftig abzustimmen. In Monaco hatte er im P3 ein Siegerauto. Trotzdem schmiss er es in die Leitschienen, nur weil der Sainz gerade vor ihm war. Das ist in dieser Saison völlig anders. Auch die Gespräche mit seinem Renningenieur sind viel, viel besser geworden. Die haben jetzt richtige Qualität.
Sehen Sie Parallelen zwischen Max und Sebastian Vettel, der mit Ihnen vier WM-Titel gewann?
Beide sind absolute Alphatiere, die ihren Zielen und ihrem Sport alles unterordnen.
Wie wichtig ist ein gutes Umfeld für einen Fahrer?
Wenn du so sehr unter Druck stehst, brauchst du ein Team, das dir zeigt: Wir stehen hinter Dir! Max hatte eine etwas schwierige Phase bei der Abkoppelung von seinem Vater. Das war aber verständlich. Er hat mit seinem Vater jahrelang praktisch Tag und Nacht verbracht. In unserem System war das aber für Jos so nicht mehr möglich.
Wie optimistisch sind Sie, dass Red Bull sein Ziel erreicht: Max zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten zu machen?
Dieses Jahr sind die Chancen eher gering. Aber so lange es rechnerisch noch möglich ist, geben wir nicht auf. Realistischer ist es nächstes Jahr. Das Reglement der Autos bleibt gleich und Honda hat uns Zukunftspläne präsentiert, die uns sehr zuversichtlich stimmen.
Max ist mit seinen 21 Jahren immer noch sehr jung. Wo ist sein Limit?
Das Limit haben wir noch nicht gesehen. Es wird immer eine Steigerung geben. In Hockenheim ist er im Regen extrem weggezogen, war zeitweise fünf Sekunden schneller. Wie er die Restarts organisiert hat ,war auch schon extrem gut. Aber, wie gesagt: Er ist noch längst nicht an seinem Limit.
Sehen wir jetzt schon das Megaduell der beiden Besten: Max gegen Lewis Hamilton?
Momentan ist es noch nicht ein Duell mit gleichen Waffen. Mercedes ist noch stärker im Paket. Das Megaduell werden wir erst sehen, wenn beide annähernd gleiches Material haben.
Kann Sebastian Vettel da nochmal mitmischen? Oder wird es eher sein Teamkollege Charles Leclerc sein?
Sebastian muss sich da einmischen, wenn er sein Ziel erreichen will, mit Ferrari Weltmeister zu werden. Dass er es könnte, bin ich überzeugt von. Aber die Frage ist: Will er es noch?
Wie meinen Sie das?
Politik machen gehört dazu. Er ist nicht der Typ dafür, aber meiner Einschätzung nach muss er bei Ferrari politisch sein, sonst wird er seine Ziele nicht erreichen. Er muss sich da einfach überwinden.
Könnten Sie sich auch eine Rückkehr von Sebastian zu Red Bull vorstellen?
Soweit ich weiß hat Sebastian einen Ferrari-Vertrag bis Ende 2020. Deshalb ist es müßig, jetzt darüber zu reden.
Wie zufrieden ist Red Bull mit dem Weg, für 2020 neue Regeln zu finden?
Es ist ein Zusammenraufen auf Kompromissebene. Das ist eben so. Jetzt muss schleunigst was entschieden werden, damit man vernünftig arbeiten kann.
Red Bull drohte ja unter bestimmten Bedingungen mit Ausstieg. Ist das durch die Erfolge von Max kein Thema mehr?
Natürlich ist Max ein wichtiger Bestandteil. Aber wir haben immer wieder gezeigt, dass wir auch mit anderen Fahrern Weltmeister werden können. Vettel schaffte es viermal, auch Daniel Ricciardo hatte sicher das Potential. Aber größte Voraussetzung ist, dass wir einen konkurrenzfähigen Motor haben. Wir wollen keine Situation mehr haben, in der wir um einen Motor bitten und betteln müssen. Mit der Kooperation mit Honda sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Zusammenarbeit ist schon sehr gut und wird immer besser. Aber Honda wartet auch erst das neue Reglement ab, bevor sie sich entschließen weiter zu machen.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.