In der aktuellen Formel 1 gehen ihm nach seinem sechsten WM-Titel langsam die Gegner aus. Was bleibt Lewis Hamilton (34) da anderes übrig, als ein Phantom zu jagen? Das Phantom heißt Michael Schumacher (50), mit sieben WM-Titeln (noch) Rekordchampion. Die Frage liegt deshalb auf der Hand. Wer ist der Bessere?
Von den reinen Zahlen her liegen sie eng zusammen. 84 Siege zu 91, sechs WM-Titel zu sieben – in beiden Statistiken hat Schumi die Nase vorn. Doch schon 2020 kann Hamilton gleichziehen. Allerdings unter besseren Voraussetzungen.
Die Zahl der Rennen steigt fast jährlich. Mehr Rennen bedeuten mehr Gelegenheiten, Siege einzufahren. Nun kann man einwerfen, dass Hamilton ja auch die bessere Siegquote hat, also auch prozentual zu den gefahrenen Rennen erfolgreicher ist (33,60% versus 29,64 %).
Aber: Rechnet man die drei Comeback-Jahre von Schumi bei Mercedes von 2010 bis 2012 nicht dazu, dann kommt er auf eine höhere Siegquote (36,55 %). Wie gut Hamilton mit über 40 Jahren noch sein kann, muss der Brite erst zeigen.
Dazu kommt: Heute ist die Formel-1-Technik zuverlässiger. Schumacher hatte 68 Ausfälle zu beklagen, Hamilton nur 26. Von den letzten 68 GP konnte Hamilton 67 beenden. Zu Schumis Zeiten undenkbar.
Und: Schumacher hat Benetton und Ferrari erst aus dem Mittelfeld an die Tabellenspitze geführt. Hamilton dagegen hat bisher in jedem seiner 13 Formel-1-Jahre gewinnen können. Das ist zwar ein beeindruckender Rekord, belegt aber auch, dass er stets ein siegfähiges Auto hatte.
„Beide haben Gigantisches erreicht“, urteilt Michael Schumachers Bruder Ralf (44). „Jeder aber in seiner eigenen Zeit.“ Nico Rosberg (34) duellierte sich mit beiden in einem Team, schickt aber voraus: „Als ich mit Michael fuhr, war der schon über seinen Zenit. Während ich Lewis auf dem Höhepunkt seines Schaffens erlebt habe.“
Rosberg erklärt: „Lewis ist das größte Naturtalent, das unser Sport je gesehen hat, macht viel mehr mit Instinkt. Michael hatte das komplette Paket. Er hat den Unterschied als perfekter Allrounder gemacht, mit akribischer Arbeit, Detailbesessenheit, Teamspirit. Hart arbeiten: Das war Michaels größte Stärke. Und er war dazu noch ein Krieger.“ Rosbergs Fazit: „Michael bleibt der größte Fahrer aller Zeiten und in seiner Gesamtkarriere Lewis noch etwas voraus. Aber Lewis kann ihn einholen.“
Eddie Jordan (71) sieht Hamilton jetzt schon vorne. Der ehemalige Teamchef gab Schumacher 1991 die Chance zu seinem Formel-1-Debüt. Jordan zu ABMS: „Grundsätzlich gibt es nur drei Piloten, die schon in jungen Jahren ein solches Talent, einen so unglaublichen Speed, ein solches Selbstbewusstsein gezeigt haben. Ayrton Senna, Michael Schumacher und Lewis Hamilton. Mit allen drei war es, als hätte man in einer dunklen Kammer plötzlich das Licht angeknipst. Schon beim ersten Rennen stellte Michael bohrende Fragen an die Ingenieure, die mehr Forderungen waren als Bitten.“
Jordan weiter: „Ich glaube, dass Lewis es schwerer hatte, seine Titel zu erzielen. Michael hatte nie einen Teamkollegen, der gegen ihn fahren durfte. Zuerst spielte Eddie Irvine bei Ferrari seinen Helfer, dann Rubens Barrichello. Lewis musste sich immer erst gegen den Teamkollegen durchsetzen, hatte nie freie Fahrt.“ Der Ire ist deshalb überzeugt: „Mit den Zugeständnissen, die Michael immer hatte, hätte Lewis auch schon sieben Titel und 100 GP-Siege. Denn 2016 hätte er mit einem Nr.-1-Status die WM gegen Nico Rosberg niemals verloren.“
Einer, der beide Fahrer auf eine Stufe stellt, ist der heutige F1-Sportchef Ross Brawn (64). Der Brite gewann als Ferrari-Technikchef fünf Fahrertitel mit Schumacher und war 2012 als Mercedes-Teamchef die treibende Kraft, die Hamilton zu den Silberpfeilen lockte. Brawn: „Michael wollte immer mit den Ingenieuren arbeiten, war extrem motiviert. Besonders seine ersten Runde nach dem Start war einzigartig. Er funktionierte perfekt wie ein Uhrwerk. Michael war ein sehr ehrgeiziger Mensch und ein extremer Kämpfer. Er hat nicht seine sieben WM-Titel geholt, weil er schnell aufgegeben hat.“
Hamilton sei vom Typ her völlig anders. Brawn: „Ich hatte früher einen konservativen Blick auf das Leben, das ein Champion außerhalb der Rennstrecke zu führen hatte. Lewis hat mich eines Besseren belehrt. Er liebt es, um die Welt zu reisen und zu Pop- und Modeveranstaltungen zu gehen. Ich bewundere seine Stärke, sein Ding so erfolgreich durchzuziehen.“
Allein: Hamilton selbst macht sich gar keine so großen Gedanken über die Jagd nach Michael Schumachers Rekorden. „Für mich ist das fast schon surreal“, gibt der Mercedes-Star zu. „Früher sah ich Ayrton Senna und Michael Schumacher im Fernsehen. Jetzt bin ich plötzlich der Typ, den die Leute bewundern.“ Bald vielleicht sogar in einem roten Overall. Hamilton schließt nicht aus, 2021 zu Ferrari zu wechseln. Würde heißen: Der Brite könnte Schumi ausgerechnet in dem Team übertrumpfen, in dem der Deutsche Geschichte schrieb.
Vergleich Schumacher-Hamilton
7:6 WM-Titel
91:84 Siege
68:88 Poles
77:47 Schnellste Runden
155:151 Podestplätze
307:250 WM-Rennen
13:11 Siege in einer Saison
23:26 Rennstrecken mit Sieg
221:213 Rennen mit WM-Punkten
142:148 Rennen mit Führungsrunden
19:13 Jahre in der Formel 1