Die Formel 1 steht wegen möglicher Kartellrechtlicher Verstöße am Pranger.
Es sind immer die gleichen Szenen. Egal ob in Monza, Monaco oder vergangenes Wochenende in Mexiko: Voller Genuss weisen die Formel-1-Macher jedem neuen Besucher im abgesperrten Fahrerlager des Vollgaszirkus darauf hin, wie exklusiv und einzigartig die Eintrittskarte in ihrem hermetisch abgeriegelten Theater der Träume. „Zugang nur für ganz Wichtige“, das ist die Nachricht, die sie versenden.
Allein: Was die Macher im Club der Multimillionäre nicht ahnen konnten und auch nicht wollten: Den Skandal in ihrem Sperrbezirk. Und der fegt gerade wie ein Torpedo der Stärke fünf durch die luxuriösen Teamunterkünfte. Er ist so groß und heftig, dass in der Königsklasse des Automobils gerade die Angst mitfährt.
Aber nicht die vor Unfällen. Einige Entscheidungsträger der Formel 1 fürchten sich stattdessen vor Untersuchungen und Prozessen. Es geht dabei um verbotene Kartellabsprache, illegale Wettbewerbsverzerrung und sogar Korruption.
Auslöser: Rechteinhaber Liberty Media hat gemeinsam mit einigen Formel-1-Teams die Teilnahme der US-Mannschaft Andretti aus – wie jetzt untersucht wird „fadenscheinigen Gründen“ – abgelehnt, obwohl der Automobilweltverband FIA dem Antrag Andrettis wohlwollend zustimmte. Man wollte nichts vom goldenen Kuchen abgeben, war die einfache Rechnung.
Soll heißen: Zehn Teams bekommen mehr vom Gesamtgewinn, der bei hohen dreistelligen Millionenbeträgen liegt, als elf. Fest steht: Die Habgier wurde zu groß. Die Schlinge zieht sich langsam immer weiter zu. Denn die Bedrohung für einige Protagonisten des Vollgaszirkus kommt von beiden Seiten des Atlantiks.
Besonders kritisch wird es aber in den USA, dem Heimatland des Rechteinhabers Liberty Media. Dort hat sich mittlerweile das Justizministerium eingeschaltet.
Auslöser war der US-Kongress. „Der Versuch, amerikanische Unternehmen von einem Beitritt zur Formel 1 abzuhalten, ist unfair und falsch. Dies könnte auch gegen das amerikanische Kartellrecht verstoßen“, heißt es in einem Brief Kongress-Mitgliedern. „Die Teilnahme aller Formel-1-Teams, einschließlich aller amerikanischen Teams, sollte auf Leistung basieren und nicht nur auf dem Schutz der aktuellen Aufstellung der Rennteams beschränkt sein.“
Im Visier der US-Ermittler sollen jetzt besonders Mercedes-Formel-1-Boss Toto Wolff, Aston-Martin-Besitzer Lawrence Stroll sowie Red-Bull-Teamchef Christian Horner und Libertys Formel-1-Chef Stefano Domenicali stehen. Alle vier, so wird hinter den Kulissen berichtet, seien beim GP der USA in Austin mit persönlichen Anwälten angereist.
Sicher ist: Beamte der US-Justizbehörden waren vor Ort, um zu ermitteln. Sie bestanden nach F1-Insider-Informationen auf Befragungen mittels Video-Konferenz in nächster Zeit und sollen unmissverständlich klar gemacht haben: Falschaussagen würden drastische Konsequenzen bedeuten. Beweise soll es demnach in Form einer WhatsApp-Gruppe geben, welche die illegale Absprache belegt.
Damit aber nicht genug: Auch in Europa schaut man jetzt genau auf die Formel 1. Vor zwei Wochen forderte der belgische Europaabgeordnete Pascal Arimont die Europäische Kommission auf, gegen Liberty Media zu ermitteln, da der Formel-1-Eigentümer möglicherweise gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstoßen habe.
Arimont sagte der belgischen Zeitung „Het Belang van Limburg“, er wolle mit der Untersuchung „die Verbraucher schützen und einen fairen Wettbewerb sicherstellen“.
Letzte Woche zog die deutsche Abgeordnete Christine Anderson nach. Auch sie hat eine offizielle Anfrage an die Europäische Kommission gestellt, in der sie die wettbewerbsrechtlichen Praktiken der Formel 1 untersuchen lassen will.
In der Anfrage steht: „Die Ablehnung des Andretti-Einstiegs durch die Formel-1-Gruppe (FOG) trotz FIA-Zustimmung könnte einen grundlegenden Interessenkonflikt offenbaren.“ Sie äußerte konkret den Verdacht, dass die bestehenden Teams ein Kartell bilden, um neue Mitbewerber systematisch auszuschließen und den eigenen Marktwert zu schützen.
Anderson: „Durch diese Praxis könnte der Wettbewerb in der europäischen Motorsportbranche erheblich verzerrt werden.“ Das könnte erhebliche negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Motorsport- und Automobilsektors haben. Deshalb soll die Kommission die Strukturen in der Formel 1 eingehend prüfen und Maßnahmen erwägen, um einen faireren Zugang für neue Teams zu gewährleisten.
Allein: Gegenwind gibt es auch aus der eigenen Zunft. Der spanische Formel-E-Chef Alejandro Agag fordert, dass die Europäische Kommission die von Liberty Media geplante Übernahme der MotoGP-Muttergesellschaft Dorna für 4,2 Milliarden Euro sorgfältig prüft.
„Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht bestehen erhebliche Herausforderungen“, sagte Agag der Financial Times . Der Spanier weiter: „Der Einfluss, den diese Fusion dem neuen Unternehmen bei den Verhandlungen mit den Rundfunkveranstaltern verleiht, wird erheblich sein, und ich denke, die Europäische Kommission wird sich diesen Deal sehr genau ansehen. Es müssen geeignete Abhilfemaßnahmen vorhanden sein, um Fairness auf dem Markt zu gewährleisten.“
Fest steht: Es herrscht helle Aufregung im Sperrbezirk der Formel 1. Hinter den Kulissen versucht nun der laut Forbes 10,8 Milliarden Dollar schwere Liberty-Besitzer John Malone, ein Patriarch alter Schule, den Schaden in Grenzen zu halten. Insider sind überzeugt: Man wird einen Deal mit Andretti eingehen, ihm jetzt doch die Eintrittskarte ermöglichen, um zumindest die bekannt kompromisslosen Ermittler des Justizministeriums zu besänftigen.
Denn die machen gerne Gefangene, wenn sie sich mal festgebissen haben. Die FIFA kann ein Lied davon singen. Es werden aber auch intern Sündenböcke gesucht. Ein Bauernopfer wurde schon gefunden. Liberty-Chefjustiziarin Sacha Woodward Hill musste schon ihren Hut nehmen.
Fest steht aber auch: Von den Fahrern sind keine Kommentare zu erwarten. Sie werden wie immer schweigen. Anders als im Fußball. Dort kritisierten mehr als 100 Profi-Fußballerinnen erst kürzlich die Fifa für den Sponsoring-Deal mit dem saudischen Ölkonzern Aramco und forderten ein Ende der Partnerschaft. Der Deal sei „wie ein Mittelfinger für den Fußball der Frauen“, schreiben sie in einem Brandbrief. Saudi-Arabien trete „nicht nur die Rechte der Frauen mit Füßen, sondern auch die Freiheit aller anderen Bürger“.
Zur Erinnerung: Aramco ist nicht nur Hauptsponsor des Aston-Martin-Teams, sondern auch einer der wichtigsten Partner von Liberty Media.
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