Red Bull-Motorsportberater Helmut Marko ist sauer über die aktuellen Ereignisse in der Formel 1: Er beklagt sich über Strafen und fordert Regeländerungen.
Die Fünf-Sekunden-Strafe für Ferrari-Pilot Sebastian Vettel (31) beim GP von Kanada bleibt Gesprächsthema Nummer eins in der Formel 1. Auch Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko (76) hat sich noch nicht beruhigt – im Gegenteil!
Der Österreicher im Telefonat mit F1 Insider Ralf Bach: „Sebastian hat nichts falsch gemacht. Er hatte alle Hände voll zu tun, das Auto auf der Strecke zu halten. Hamilton hätte doch einfach innen vorbeifahren können oder ganz einfach bremsen. Auch er hatte die Pflicht, einen Unfall zu verhindern. Aber er nahm bewusst das Risiko einer Kollision in Kauf, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Deshalb hat er sich über Funk auch gleich beschwert. Die Strafe für Sebastian ist deshalb ungerecht und hinterlässt einen faden Beigeschmack. Die Regeln gehören dringend geändert.“
Marko erklärt: „Anders als im Fußball haben die Kommissare im Rennen genügend Zeit, um alles abzuwägen. Auch, um frühere Fälle als Beispiele heranzuziehen. In Monaco 2016 hat Hamilton einen Fehler in der Hafenschikane gemacht und bei der Rückkehr auf die Strecke unseren Daniel Ricciardo abgedrängt. Im Gegensatz zu Sebastian auch noch mit Absicht. Eine Strafe aber blieb aus. Das hinterlässt ein Geschmäckle, wie man im Schwabenland sagen würde.“
Marko weiter: „So macht man den Sport kaputt. Die Fans, besonders die jungen, wollen harte Kämpfe sehen – von den besten Piloten der Welt. Zweikämpfe wie zwischen Gilles Villeneuve und Réné Arnoux 1979 in Dijon haben den Sport zu dem gemacht, was er mal war. Die fuhren sich zwanzig Mal ins Auto, drängten sich von der Strecke, kamen wieder zurück.
Am Ende umarmten sie sich und wurden gefeiert. An Strafe hatte keiner gedacht.“Für Ex-Formel-1-Fahrer Gerhard Berger (59) könnte die Einführung permanenter Rennkommissare helfen. Der heutige DTM-Chef zu ABMS: „In der Formel 1 entscheiden immer andere Leute über Situationen. In der DTM haben wir dagegen immer dieselben. Beim letzten Rennen wurde der Südafrikaner Jonathan Aberdein bestraft, weil er das Gleiche gemacht hatte wie Marco Wittmann im Rennen davor. Auch der wurde bestraft.“
Marko warnt auch davor, Vettel im Nachhinein für seine Aktionen nach dem Rennen zu bestrafen: „Sebastian hat alles richtig gemacht. Als er die Platzierungsschilder vertauscht hat, machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er hat öffentlich gezeigt, was er gerade fühlt. Nämlich, dass man ihm den Sieg gestohlen hatte. Das zeigt der Jugend, dass man immer zu seinen Werten stehen sollte.
„Die meisten Piloten heute reden doch nur noch ihren Rennställen nach dem Mund. Opportunismus soll vorbildlich sein? Bestimmt nicht! Ich will Fahrer haben, die fest zu ihrer Meinung stehen. Das habe ich auch zu Max Verstappen gesagt, der zwei Tage nach Monaco (unsichere Boxenausfahrt; Anmerkung der Red.) seine Strafe plötzlich akzeptierte. Das machte er aber nur, weil er keinen weiteren Ärger haben wollte. Die Strafe war aber nicht korrekt. Und auch damals hat Mercedes davon profitiert.“
Hat Mercedes etwa einen Weltmeister-Bonus? Marko: „Sagen wir mal so: Es ist auffällig, dass die Regeländerungen und Entscheidungen in letzter Zeit immer gut für Mercedes waren. Ein Beispiel: Pirelli hat die Lauffläche der Reifen für 2019 geändert, damit sie nicht mehr überhitzen. 2018 hatte aber nur Mercedes ein Problem damit. 2019 bekommt plötzlich nur Mercedes die Temperaturen immer ins richtige Arbeitsfenster. Alle anderen nicht. Ist doch komisch. Zwar hatten wir alle die Möglichkeit, darauf zu reagieren, aber die Konzepte der Autos waren alle auf weniger Abtrieb ausgelegt. Nur Mercedes wählte einen anderen Weg. Sie bauten ein Auto mit extrem viel Anpressdruck und Bodenhaftung – im Nachhinein war genau das der Weg, um mit den Reifen der neuen Generation optimal umzugehen.“
Marko weiter: „Ich kann zwar nicht beweisen, dass Mercedes früher Daten bekommen hat als wir, aber ausschließen kann ich es auch nicht. Es fördert jedenfalls nicht das Vertrauen, wenn man Libertys (die Formel-1-Vermarkter; die Red.) Mercedes-Dienstwagen mit Stuttgarter Nummer im Fahrerlager von Monaco stehen sieht – und der auch noch Pirelli-Reifen drauf hat. Wir bei Red Bull werden uns jedenfalls die zukünftige Entwicklung der Formel 1 sehr genau anschauen. Und es wird auch Gespräche mit Pirelli geben.“
Bei Mercedes sieht man die Vorwürfe gelassen. „Von solchen Stimmen lassen wir uns nicht ablenken“, hat Sportchef Toto Wolff schon in Kanada gesagt. „Wir bekommen jedes Jahr neue Reifen von Pirelli. Manchmal verstehst du sie schneller, manchmal hast du damit mehr Schwierigkeiten. Als faire Wettbewerber machen wir das Beste aus dem, was uns gegeben wird.“ Die Geschichte geht weiter.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.