Bernie Ecclestone wird heute (28. Oktober) 90 Jahre alt. Wir haben mit ihm über Hamilton, Vettel, Senna, Schumi und Co. gesprochen
Von Ralf Bach und Bianca Garloff
Herr Ecclestone, unsere Glückwünsche zum Geburtstag. Wie fühlen sie sich jetzt mit 90 Jahren?
Bernie Ecclestone (90): Sehr gut, danke für die Nachfrage. Ich spüre das Alter nicht. Mein kleiner Sohn hält mich zudem auf Trab.
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Die Formel 1 ist Ihr Lebenswerk. Sie haben sie zu dem globalen Sport gemacht, der er jetzt ist. Wie sehr sind Sie noch involviert?
Ich habe natürlich immer noch viele Kontakte, eine Menge Leute fragen mich noch um Rat. Die neuen Vermarkter gehören nicht dazu. Aber natürlich schaue ich mir noch jedes Rennen an. Das letzte Mal das in Portugal.
Hat es Ihnen gefallen?
Ehrlich gesagt nein. Es wirkte künstlich, ohne Atmosphäre. Es ist halt nicht sehr schön, vor fast leeren Tribünen zu fahren.
Und sportlich?
Die immer vorne sind waren es auch diesmal.
Das hört sich so an, als wären Sie gelangweilt.
Gelangweilt nicht. Aber seit es die Hybridmotoren gibt, ist Mercedes nicht zu schlagen. Ich habe ja damals den Motoren zugestimmt, aber schon nach kurzer Zeit merkte ich, welch großer Fehler das war. Ich wollte es wieder ändern, aber ich stieß auf taube Ohren.
Trotzdem: Wie bewerten Sie die Leistungen von Lewis Hamilton?
Lewis hat es verdient. Er hat seine Teamkollegen bis auf 2016 immer geschlagen. Er macht so gut wie keine Fehler. Aber ich vergleiche ihn mit einem Pokerspieler, der weiß, dass er vier Asse in der Hand hat. Da kann man ruhig pokern, während die anderen schwitzen. Ich würde ihn gerne mit einem Max Verstappen in einem Team sehen. Ob er dann auch noch so wenig Fehler machen würde, ist die Frage.
Dennoch: Hamilton hat jetzt Michaels Rekordmarke an Siege geknackt. Er wird auch in der Anzahl an WM-Titeln mit ihm gleichziehen. Ist er jetzt der Beste aller Zeiten?
Lewis gehört in die Reihe der Besten, ohne Frage. Wie Michael auch. Aber wer letztendlich der Beste ist, ist kaum zu beantworten. Man kann Michael, Lewis oder Ayrton Senna kaum miteinander vergleichen. Vor dem zweiten Weltkrieg erzählte man sich wahre Wunderdinge über einen Bernd Rosemeyer. In den 50ern gewann Juan-Manuel Fangio fünf WM-Titel und er ist in Bezug auf Siegquote immer noch vorn. Was wäre, wenn Jim Clark oder Ayrton Senna nicht so früh verunglückt wären? Oder Jochen Rindt, der für mich persönlich der Schnellste war, früher in seiner Karriere konkurrenzfähige Autos gehabt hätte? Bei mir steht auch Alain Prost mit seinen vier WM-Titeln ganz hoch im Ranking. Und auch Sebastian Vettel. Es ist noch nicht so lange her, da hat man ihn auch ganz oben in der ewigen Bestenliste gesehen. Jetzt redet leider kaum noch jemand positiv von ihm. In der Formel 1 ist ein Fahrer immer noch abhängig von seinem Auto. Und sein Ferrari scheint ihm gerade zur Zeit nicht gut zu liegen.
Ist denn Teamkollege Leclerc so viel stärker?
Leclerc ist sicher ein Riesentalent. Aber das war Sebastian Vettel auch, ist es immer noch. Und er hat mehr Erfahrung. Eigentlich müsste er also vorne sein. Da er das aber nicht ist, muss es andere Gründe geben. Ferrari war schon immer ein wenig durchschaubares Team, wo die Innenpolitik immer eine große Rolle spielte. Eigentlich zogen nur zur Zeit von Michael Schumacher dort immer alle an einem Strang. Zum Glück hat Sebastian Vettel im nächsten Jahr eine neue Herausforderung bei Aston Martin. Da wird er dann den Zweiflern die Antwort geben, die in diesem Jahr nicht mehr an seinen Fähigkeiten glauben.
Reden Sie noch viel mit Vettel?
Ja, wir telefonieren öfters. Ich höre ihm zu und gebe ihm dann meine Einschätzung der Dinge. Ich habe ihm auch geholfen, dass der Deal mit Aston Martin klappt.
Inwiefern?
Ich habe richtig Druck bei Teambesitzer Lance Stroll gemacht, Sebastian zu nehmen. Ich habe ihm gesagt, wie gut Sebastian immer noch ist und dass es am Ende es für alle eine Gewinnsituation sein wird, wenn der Deal zu Stande kommt. Ich denke, meine Argumente haben ihn mit überzeugt.
Wie kamen Sie eigentlich dazu, die Formel 1 zu führen?
Motorsport faszinierte mich schon immer. Ich besuchte auch das erste Formel-1-Rennen in Silverstone 1950. Später wollte ich dann selbst fahren. 1958 in Monaco war ich aber zu langsam. Deshalb wollte ich, dass Stirling Moss mit meinem Helm für mich mein Auto fährt. Doch die Rennkommissare bekamen irgendwie Wind davon und passten zu genau auf. Da beschloss ich, das mein Talent eher an der Boxenmauer liegt, weniger im Auto. Ich arbeitete mit Jochen Rindt zusammen, kaufte mir schließlich ein Team. Die anderen waren dann der Meinung, ich wäre der Richtige sie zu vertreten. Also machte ich das dann. Mir war völlig klar, dass das meiste Geld mit Fernsehrechten zu verdienen ist.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Deal?
Das legendäre Finale in Fuji 1976 war das erste Rennen, das weltweit übertragen wurde und richtig Geld einbrachte. Dabei wäre es fast ins Wasser gefallen. Zum Glück fuhren sie dann doch und James Hunt wurde Weltmeister. Niki Lauda warf mir aus Spaß jahrelang vor, dass ich wegen der Fernsehverträge auf die Austragung des Rennens bestand. Das hätte ihm den Titel gekostet. Wie auch immer: Fuji 1976 war die Initialzündung für den Erfolg, den wir dann hatten.
Was war damals anders als heute?
Damals fuhren die Fahrer nur aus purer Leidenschaft. Sie riskierten ihr Leben in jeder Runde, aber das ignorierten sie einfach. Das Gefühl, das nächste Rennen könnte das letzte sein, schweißte sie zusammen. Sie waren wie Kameraden, die gemeinsam in eine Schlacht zogen.
Was waren Ihre schlimmsten Erlebnisse?
Da gab es eine Menge. Jedes Mal, wenn du einen Fahrer verloren hast, musstest du deine Trauer bekämpfen. Imola 1994, als Roland Ratzenberger und Ayrton Senna tödlich verunglückten, war sicherlich extrem schlimm. Und für mich persönlich natürlich Monza 1970, als mein Freund Jochen Rindt starb.
Können Sie sich noch daran erinnern?
Ja, als wäre es gestern. Ich rannte so schnell ich konnte zur Unfallstelle. Da transportierten sie Jochen gerade auf einer Trage. Ich sah es und wusste sofort, es ist vorbei. Ich packte seinen blutverschmierten Helm und ging unter Tränen zurück in die Box. Ich musste mit Nina reden, seiner Ehefrau. Das lenkte mich von meiner eigenen Trauer ab. Denn ich war völlig verzweifelt. Jochen war nicht nur mein Freund, er war auch mein Geschäftspartner. Wir hatten noch so viel vor gehabt. Ich bin sicher, dass wir später zusammen die Formel 1 geleitet hätten. Ganz sicher.
Wie würden Sie Michael Schumacher beschreiben?
Man konnte ihm vertrauen. Wenn man ihm einen Job gab, konnte man sicher sein, dass er ihn erfüllen würde. Er legte die Limits für andere Fahrer nochmal nach oben. In jeder Beziehung.
War das Comeback bei Mercedes gut für ihn?
Für ihn nicht so gut wie für die Formel 1. Aber er wusste, dass er wie damals mit Ferrari erst mal Aufbauarbeit leisten musste. Das hat er getan. Und es fast schon tragisch, dass ausgerechnet der jetzt davon profitiert, der ihm gerade einen Rekord nach dem anderen abjagt.
Also Lewis Hamilton…
…Genau! Aber auch Toto Wolff und all die anderen. Ich möchte die Leistung aller Beteiligten nicht schmälern, aber sie mussten sich 2014 nur noch in das Bett legen, das Ross Brawn und unter anderem Michael für sie gemacht haben. Die wahre Leistung bestand dann eher darin, das Niveau zu halten. Ich denke, da trug Niki Lauda einen großen Teil dazu bei. Aber, wie gesagt: Der Mercedes-Motor war schon mehr als die halbe Miete.
Was denken Sie über Mick Schumacher?
Was ich so mitbekomme, ist er ein sehr netter Junge, der gute Arbeit leistet. Er wird nächstes Jahr in der Formel 1 fahren. Aber man darf nicht zu viel von ihm erwarten. Die Geschichte seines Vaters lässt sich nicht wiederholen.
Können Sie die beiden vergleichen?
Dafür kenne ich Mick zu wenig. Auffällig ist nur, dass er immer in seiner zweiten Saison den Durchbruch schafft. Das war bei seinem Vater anders. Der war sofort extrem schnell und hinterließ gleich mächtige Spuren. Ich kann mich noch gut an sein erstes Training in Spa erinnern, als er mit dem Jordan wie aus dem Nichts gleich in die Weltelite vorstieß. Nicht nur dass er extrem schnell war, er musste schon nach seinem ersten freien Training zu den Rennkommissaren. Michael war der Meinung, Alain Prost hätte ihn blockiert und bremste ihn danach zur Rache ein. Der gute Alain konnte das gar nicht richtig fassen. Ich rieb mir damals die Hände, weil ich sah: Das ist genau der Deutsche, den ich wollte. Schnell, eiskalt, respektlos – einer, der genau wusste, was er wollte.
Vielleicht hat Deutschland mit Nico Hülkenberg 2021 noch einen dritten Fahrer im Feld. Kennen Sie ihn?
Ja. Er ist schnell, clever und sagt immer, was er denkt. Nicht so wie die meisten anderen Piloten, die nur noch nachplappern, was ihnen die Teams vorschreiben. Red Bull sollte ihn nehmen, weil er auch vom Typ her zu ihnen passt. Das Wichtigste aber: Er kann Ergebnisse liefern, weil er im Kopf sehr stark ist. Das muss man auch neben Max Verstappen sein, denn der Junge ist eine richtige Naturgewalt.
Danke, Herr Ecclestone, nur noch eine Bitte: Können wir uns in zehn Jahren zu ihrem 100. Geburtstag wieder verabreden?
Bingo, das machen wir.
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