Norbert Haug hat als Mercedes-Motorsportchef sowohl mit Michael Schumacher als auch Lewis Hamilton gearbeitet. Im Interview spricht er darüber, was die beiden Champions ausmacht
Norbert Haug, Lewis Hamilton hat jetzt wie Michael Schumacher sieben WM-Titel. Hätten Sie das je für möglich gehalten?
Norbert Haug: Meine Antwort hat zwei Teile. Teil eins: Nach Michaels siebtem WM-Titel hätte ich Haus und Hof darauf verwettet, dass er einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt hat. Teil zwei: Seit Lewis mit Mercedes angefangen hat, Titel im Jahresrhythmus zu sammeln, war klar, dass irgendwann die Zahl „Sieben“ fällig sein würde. Aus ihr kann auch eine zehn werden, und die ist dann so wohlverdient wie alle der bisherigen sieben.
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Wie stolz sind Sie, beide Fahrer in ihren Karrieren begleitet zu haben?
Das freut mich natürlich sehr, vor allem, dass ich Michael wie Lewis in ihren Motorsport-Anfängen, als sie noch keine Profisportler waren, kennengelernt und dann so lange mit beiden zusammengearbeitet habe. Mit Michael zu Beginn seiner Profikarriere im Mercedes-Juniorteam und in der Schlussphase seiner Karriere für drei Jahre im heutigen Mercedes-Werksteam. Dazwischen waren wir zwölf Jahre Rivalen der Formel 1 in Rot und Silber und sind dabei stets Freunde geblieben. Hart – manchmal sehr, sehr, hart – ging´s auf der Strecke zu, empfindsam und emphatisch vor und nach den Rennen. Mit Lewis war ich 15 Jahre unterwegs – von seiner Kart-Nachwuchs-Zeit über die Formel 3 im Rahmen der DTM, die GP 2 bis zur Formel 1, seinem ersten Sieg dort und seinem ersten WM-Titel 2008. Es freut mich im Rückblick natürlich, dass ich bei Lewis erstem Sieg 2007 beim GP Kanada genauso dabei war wie beim ersten Sieg des aktuellen Mercedes-Formel-1-Werksteams 2012 beim GP China. Seither wurde die Zahl der Siege des Silberpfeil-Teams dreistellig, und jene von Lewis steht kurz davor, dreistellig zu werden. Unvorstellbar und nicht hoch genug einzuschätzen.
Welche Parallelen sehen Sie zwischen beiden?
Beide lieben was sie tun, beide fordern sich selbst mehr als alle andern, beide gehen immer die Extrameile, beide geben nie Ruhe, beide sind positiv unzufrieden. Was wie ein Widerspruch klingt, ist das Elixier des Super-Champions. Ohne das kannst Du zwar Sieger werden, nicht aber Dauersieger.
Und was sind die Unterschiede bzw. was hat beide unabhängig voneinander besonders gemacht?
Man kann einen Berggipfel auch von mehreren Seiten erklimmen, aber die Fähigkeiten des Bergsteigers müssen sehr gleich oder mindestens sehr vergleichbar sein – sonst stürzt er ab. Michael und Lewis haben den stechenden Blick des Wollens, sie fragen mehr, tun mehr, arbeiten mehr, schaffen mehr. Diese Eigenschaften sind unabhängig vom typspezifischen Habitus vorhanden. Beide sind die ganz Besonderen unter den Besonderen.
Sie haben beide schon in jungen Jahren kennengelernt: Wie war der junge Schumi und wie der junge Lewis?
Der junge Schumi – man kann es heute noch in alten Filmausschnitten sehen und hören – war ein rheinischer Jung mit Dialekt, ein Junge von der Kartbahn. Wenige Zeit später sprach er Englisch, und zwar so perfekt, dass mir ein englischer Journalist sagte: „Ich wünschte, unsere englischen Fahrer würden so gut sprechen wie Dein deutscher.“ Das zeigt den Perfektionisten: Kartbahn ade, ohne astreines Englisch reiße ich in der höchsten Motorsportklasse nichts, das ist die Grundvoraussetzung um vorwärts zu kommen. Der junge Lewis war bestens erzogen und sehr höflich. Er war bei uns schon mit 14 Jahren Gast bei Mika Häkkinens erster WM-Feier 1998 im Mercedes-Museum. All seine Siege in der Formel 3 und der Formel 1 hat Lewis seither mit Mercedes-Motoren geholt. Vom Lehrling, oder Stift, wie man in Schwaben sagt, zum Mehrfach-Weltmeister – in Hollywood würde man die Story wohl als übertriebene Fiktion abstempeln, in der Realität findet sie statt.
Wie war Schumacher als Ihr Gegner im Ferrari?
Gnadenlos. Wenn Du Dir einen Gegner wünschst, heißt der nicht Michael Schumacher. Wenn Du Dir einen Fahrer wünschst, heißt er so.
Schumacher musste scheinbar stärker für seine Erfolge kämpfen, Hamilton nur selten Aufbauarbeit leisten: Wie bewerten Sie diese These?
Wer nachschaut, kann nachlesen: „These bedeutet eine zu beweisende Behauptung“. Ich kenne niemanden, der diesen Beweis beibringen kann. Sicher gibt es im Jahr 2020 eine ganz andere Menge von Daten als 2004. Aber eben auch die gesteigerte Möglichkeit, sich im Datendschungel zu verirren. Michael und Lewis auf dem Peak ihrer Leistungsfähigkeit als Teamkollegen zu haben und zu koordinieren, wäre – ein siegfähiges Auto vorausgesetzt – wohl die ultimative Kombination mit den allergrößten Siegchancen gewesen. Aber wohl auch jene, die den Verantwortlichen an den Rande des Wahnsinns getrieben hätte – oder darüber hinaus.
Wer ist für Sie der bessere von beiden bzw. der Beste?
Wer seriös ist, wird Ihnen darauf keine zutreffende Antwort geben können.
Wie wichtig war Schumacher für den Aufbau des Mercedes-Teams und damit als Wegbereiter für Hamiltons Erfolge?
Ich bin sicher, sehr wichtig. Mit Ross Brawn als technichem Kopf hat er all seine 91 Siege und all seine sieben WM-Titel geholt. Mit Ross wurde 2010 das Grundgerüst des Silberpfeil-Werksteams aufgestellt, mit vielen Kollegen und Technikern, die auch zehn Jahre danach noch im Team aktiv sind und nach wie vor auch Schlüsselrollen besetzen. Wir hatten damals, nach der Finanzkrise, ein ganz minimales Budget und kein Drittel der heutigen Mitarbeiterzahl. Aber ohne Idee, Vision und zielgerichteten Anfang gibt es keine fruchtbare Fortsetzung. Unseren ersten Sieg 2012 holte in China Nico Rosberg und auch Michael war bis zu seinem Ausfall nach falsch montierter Radmutter absolut siegfähig. Danach fuhr er mit dem nicht besten Auto im Feld Bestzeit beim Qualifying zum GP Monaco – auf der Mutter aller Rennstrecken.
Immer wieder wird gesagt, Schumacher musste sogar für Hamilton weichen: War der Rücktritt tatsächlich erzwungen?
Nein, das war er nicht, und wer nachschaut, wird sehen, dass Michael bei seinem Rücktritt kurz vor seinem 44. Geburtstag war. Was nicht heißt, daß er 2013, 2014 und 2015 nicht mehr siegfähig war und gar WM-Titel hätte sein können. Wie gesagt: Wer 2012 die Pole-Zeit in Monaco fährt, kann 2014 nach meiner Einschätzung mit einem entsprechenden Auto auch gewinnen, und mit einem überlegenen erst recht. Alles bei uns wurde auf das Hybrid-Motorenzeitalter ausgerichtet, das – weil die Konkurrenz nicht fertig geworden war – 2014 statt 2013 begann. Und seit 2014 hat Mercedes bekanntlich sämtliche Formel-1-WM Titel gewonnen, sieben Mal hintereinander bei Fahrern und Konstrukteuren. Eine unvorstellbare und in der Geschichte der Formel 1-Weltmeisterschaft einmalige Leistung , was für Team, Fahrer, Mannschaft und Mannschaftsleitung spricht: eine glatte 1 mit sieben doppelten Sternen.
Nico Rosberg hat im selben Auto beide geschlagen: Was sagt Ihnen das?
Wäre er mal lieber weitergefahren… Im Ernst: Nico wußte genau, warum er 2016 einen Schlussstrich unter seine Formel-1- und Rennkarriere zog, er hat das ja auch ausführlich kommuniziert. Und ich kann seinen Entschluss absolut verstehen und respektieren: Es gibt Wichtigeres im Leben als im Kreis rumzufahren. Aber wenig Schöneres, Fordernderes und Lehrreichereres.
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