Sebastian Vettel fährt am Wochenende sein letztes Rennen für Ferrari. Vorab stellten wir mit ihm exklusiv die Vertrauensfrage.
Herr Vettel, als Journalist sollte man ja immer objektiv sein. Trotzdem gebe ich zu, dass ich bei der Zieldurchfahrt in der Türkei das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder gejubelt habe. Weil ich mich über Ihren dritten Platz gefreut habe.
Sebastian Vettel (33): (lacht) Danke, ging mir auch so.
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Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit haben Sie immer in Ihre Fähigkeiten vertraut. Nun geht an diesem Wochenende Ihre Ferrari-Ära vorbei. Ganz grundsätzlich: Welchen Wert spielt das Wort „Vertrauen“ in Ihrem Leben?
Im Unterbewusstsein ist Vertrauen ganz weite vorne, weil es für uns alle eine große Bedeutung hat. Es steht für Teamgeist, Wahrheit, Richtigkeit.
Gibt es Menschen, denen Sie im „Haifischbecken der Formel 1“ vertrauen?
Ja, die gibt es. Es gibt gute Haie und schlechte Haie (lacht). Im Ernst: In der Formel 1 arbeiten immer noch Menschen und da gibt es schon welche, die man schätzt und auf die man hört.
Wie wichtig ist Vertrauen innerhalb des eigenen Teams.
Extrem wichtig. Weil man ja zusammen was erreichen und nicht allein auf weiter Flur stehen will. Dafür ist Vertrauen das Grundnahrungsmittel. Das Gegenteil wäre ja Misstrauen. Und dann wäre der Weg, den man zusammen beschreiten will, sehr, sehr weit weg. Und da es in der im wahrsten Sinne des Wortes schnelllebigen Formel 1 nicht um Tage, Stunden oder Minuten geht, sondern um Hundertstelsekunden, erklärt sich das von selbst.
Als Sie 2015 zu Ferrari wechselten, wirkten Sie geradezu euphorisch, was das das Vertrauen in Ferrari betrifft. Sie waren richtig heiß darauf, den Fußstapfen ihres Vorbildes Michael Schumachers zu folgen. Wie ernüchternd ist jetzt die Erkenntnis, das nicht geschafft zu haben?
(Vettel denkt lange nach): Natürlich ist man erst mal enttäuscht, weil man das Ziel, das man sich selbst gesteckt hat, nicht erreichen konnte. Aber man hat am Ende nur zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Entweder man zerbricht daran oder man kommt stärker zurück. Die erste Option kommt für mich nicht in Frage. Ich schaue immer nach vorne und glaube fest daran, dass es irgendwie immer weitergeht. Und das Irgendwie ist entscheidend. Manchmal kannst du Dinge nicht ändern, die von außen beeinflusst sind. Aber entscheidend ist, wie du dann damit umgehst.
Trotzdem: Die letzten zwei Jahre, so war zumindest der Eindruck, ist die Anfangseuphorie verschwunden. Sie haben das anders formuliert: „Es ist keine Liebesbeziehung mehr.“ Gerade ein Mensch, der wie Sie emotionale Konstanz so groß schreibt, muss doch von der Erkenntnis, dass es in der Formel 1 keine Liebe auf Lebenszeit gibt, davon besonders getroffen worden sein…
Dafür gibt es viele Erklärungen. Unterm Strich geht es um Erfolg, um das Erreichen der Ziele, die man sich setzt. Die ersten Jahre waren auch vielversprechend, die letzten Jahre dann nicht mehr. Auch wenn jeder mit dem ganzen Herzen dabei war. Es hat am Ende aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert. Die gesteckten Ziele habe wir verfehlt. Und dann nimmt logischerweise auch die Anfangseuphorie ab.
Jean Todt hat die Erfolge, die er zusammen mit Michael Schumacher bei Ferrari gefeiert hat, genau andersrum erklärt. Die vielen Rückschläge, die man hatte, haben den Zusammenhalt verstärkt, das Vertrauen vergrößert und am Ende zu dieser großen Stärke geführt. Hätten Sie das in Ihrer Zeit nicht auch gerne so erlebt?
Ich glaube, im Prinzip war das am Anfang auch so. Dann hat man aber festgestellt, dass es eben nicht mehr so zusammen passt. Das sollte man aber nicht zu negativ sehen, denn für mich ist das eher normal. Wichtig ist, dass alle Parteien individuell positiv nach vorne schauen. Klar hätte man sich im Nachhinein manche Dinge anders gewünscht. Aber bereuen tue ich nichts. Wichtig ist, die verbleibenden gemeinsamen Aufgaben mit Anstand zusammen zu Ende zu bringen.
Ein Formel-1-Pilot ist mehr als die meisten anderen Sportler von seinem Werkzeug abhängig. In Ihrem Fall vom Auto. Und da hat Ihnen das Vertrauen in diesem Jahr ja grundsätzlich gefehlt.
Vertrauen ins Auto ist natürlich für uns extrem wichtig. Bei uns geht es ja wie anfangs erwähnt um Hundertstelsekunden. Wenn dein Auto dir da nicht ganz geheuer vorkommt, hast du in diesem engen Wettbewerb keine Chance. Dann zögerst du mal hier, verschenkst mal eine Zehntel dort. In der Summe stehst du dann auf verlorenem Posten, wenn es darum geht, ganz oben anzugreifen. Da machen selbst kleine Dinge am Ende den Unterschied.
Zu Ihren glorreichen Red Bull-Zeiten hatten Sie blindes Vertrauen in Ihr Auto. Sie konnten mit ihm spielen. Warum konnten Sie das nicht mit dem Ferrari?
Das ist eine komplexe Angelegenheit. Das Fahrverhalten eines Auto verändert sich ja quasi jede Runde, das Verhalten der Reifen ebenso. Grundsätzlich kann man sagen: Wenn Du dein Auto kennst, wenn du ihm vertraust, weißt du schon vorher, was es macht. Dann fährst du instinktiv, machst automatisch das Richtige. Hast du aber Zweifel und musst vorher zu viel nachdenken, verlierst du eben die entscheidende Zeit. Beim Ferrari ist das bei mir leider so. Das Auto hat aber kein spezielles Problem, es ist die Summe von Kleinigkeiten. Im Qualifying, das steht fest, war ich weiter vom Limit des Autos weg als in den Rennen.
Sie mussten dafür einige Kritik einstecken. Hat das Ihr Vertrauen in Sie selbst geschmälert, das Vertrauen in Ihre Fähigkeiten?
Wenn man selbstkritisch ist, hat man immer Zweifel. Aber ich habe das Fahren nicht verlernt, sondern analysiere viel eher, woran es liegt, dass ich meine Fähigkeiten nicht zu Hundertprozent abrufen konnte. Wie gesagt: Ich bin selbst mein größter Kritiker. Ich weiß: Auf und neben der Strecke hätte ich Dinge anders machen können. Da geht es auch um Prioritäten, die man vielleicht falsch setzt. Oder um zwischenmenschliche Themen. Aber indem man das reflektiert, entwickelt man sich ja auch weiter und wird stärker.
Beim harten Zweikampf bei über 300 km/h muss man ja auch seinen Gegnern vertrauen. Gibt es da Unterschiede?
Das will ich hier nicht beantworten. Denn egal, was ich von mir gebe: Einige könnten da immer negative Rückschlüsse ziehen. Aber sagen wir mal so: Bei einem harten Zweikampf mit Lewis Hamilton habe ich nie irgendwelche Bedenken.
Was macht ihn denn so besonders vertrauenserweckend?
Erfahrungswerte aus der Vergangenheit. Er hat halt eine totale Rundumsicht über das Geschehen und ist jetzt eben nicht umsonst siebenmaliger Weltmeister.
2021 bricht für Sie mit Aston Martin ein neues Kapitel an. Warum vertrauen Sie darauf, dass dieses Projekt ein Erfolg wird?
Das ist weniger eine Sache des Vertrauens. Eher eine Sache der Neugier und der Freude auf das Neue. Ich bin extrem gespannt auf das Projekt und freue mich darauf. Im Begriff Neugier steckt ja schon viel positive Energie. Und auf die kann man vertrauen genau wie auf eine ganz andere Zielsetzung, um das Team nach vorne zu bringen. Ich baue da auf meine Erfahrung und auch auf das, was ich hinter dem Lenkrad leisten kann. Die Zeit bei Ferrari hat mich ja auch geprägt, ich habe viel gelernt, mich weiterentwickelt und bin jetzt auf einem anderen Level als davor – auf und neben der Strecke. Ich erwarte für die Zukunft aber keine Garantien auf Erfolg, sondern sehr viel harte Arbeit.
Aston Martin setzt auch ja auch viel Vertrauen in Sie, indem Sie sich für Sie sogar von Sergio Perez getrennt haben: Wie können Sie das zurückzahlen?
Mit meiner Erfahrung, einem klaren Blick. Indem wir die Aufbruchstimmung im Team nutzen, gleichzeitig nicht überhastet rangehen und Schritt für Schritt versuchen dem Erfolg näherzukommen. Realistisch gesehen bleibt Mercedes auch 2021 der große Favorit. Wir müssen auf uns schauen.
Seinen Helden vertraut man auch. Sonst wären sie ja keine Helden. Warum vertrauten Sie in Ihrer Jugend so sehr auf Michael Schumacher?
Weil er mit dem roten Auto schneller fahren konnte als alle anderen und in jedem Rennen immer das Maximum abrufen konnte. Er konnte immer noch Extra-Leistung abrufen, wie ich das bei keinem anderen gesehen habe. Damals und heute. Und das über viele Jahre. Sportlich steht das für extreme Zuverlässigkeit. Das hat er dann später auch als Mensch bestätigt, nachdem ich ihn kennengelernt habe. Er hat immer zu dem gestanden, was er gesagt hat.
Sie haben ihm auch als Mentor vertraut. Mittlerweile fährt sein Sohn Mick in der Formel 1.
Ja, und jetzt sind die Rollen quasi vertauscht (lacht). Ich bin für Mick das, was Michael für mich war. Mick ist ein toller Junge. Und ja, ich versuche ihm zu helfen, wann immer es möglich ist. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Fahren kann Mick sowieso schon selbst, da brauche ich ihm keine Tipps mehr zu geben. Da geht es vielmehr um andere Dinge – neben der Rennstrecke. Und so wie Michael mir da Tipps gegeben hat, wenn ich sie hören wollte, so werde ich das auch tun, wenn Mick mich fragt.
Als Vater muss man ja auch Vertrauen schenken und Werte vermitteln. Haben sich diese Dinge bei ihnen verschärft, seit Sie Vater sind?
In der Theorie ist immer alles schön. Am wichtigsten ist die Praxis. Man muss seinen Kindern das richtige vorleben.
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