Es kam, wie es kommen musste, wenn ein junger Bock den älteren Artgenossen herausfordert und ihm sein Revier streitig machen will. Schon drei Mal hatten sie zuvor bedrohlich ihr Gehörn gesenkt. Doch der „Jagdpächter“ des Ferrari-Geheges, der seine Pflegebedürftigen lieber streichelt als erzieht, nahm das laute Geröhre nicht ernst. Hätte der gute Mattia Binotto aber lieber mal tun sollen. Denn in Brasilien krachte es jetzt gewaltig zwischen Platzhirsch Sebastian Vettel (32) und seinem jungen Herausforderer Charles Leclerc (21).
Was war passiert: Kurz vor Ende des Rennens wollte Vettel nach einer Safety-Car-Phase den Angriff Leclercs kontern, der ihn kurz vorher mit frischeren Reifen überholt hatte. Diese Majestätsbeleidigung konnte der Deutsche nicht auf sich sitzen lassen. Er zog wieder neben ihn, dann vor ihn und dann nach links. Mit der Erwartung, dass der junge Raufbold nachgeben würde. Tat der aber nicht!
Das linke Hinterrad Vettels und das rechte Vorderrad Leclercs berührten sich. Vettels Reifen war platt, er ebenso, Leclercs Radaufhängung kollabierte genauso wie seine Stimmung. Rennen und Punkte waren futsch, die Schadenfreude groß, beide Piloten schrien vor Wut ins Bordmikrofon. Vettel sogar auf Deutsch. Er brachte die Peinlichkeit auf den Punkt. „So ein Bockmist!“
Allein: Teamchef Mattia Binotto (50) hat jetzt ein Problem. Der Italiener mit ewig blassem Teint, wildem Haarschopf und Harry-Potter-Brille sah im ersten Moment aus wie der stellvertretende Direktor einer Walldorf-Schule, der nicht wahrhaben wollte, dass ihm seine Musterschüler wieder einen Streich gespielt haben. Dem gerade klar wurde: Seine antiautoritäre Erziehung ging nach hinten los. Und das „All you need is love“ ganz bestimmt nicht in der Formel 1 funktioniert – der fleischgewordenen Ansammlung von ICH-AGs, wo es nicht mal „Sympathy for the Devil“ gibt.
Wie ratlos Binotto und Co. wirkten, zeigten die Reaktionen danach. Ferrari änderte das Prozedere der Pressekonferenz nach dem Rennen. Diesmal versuchte sich Binotto alleine zu rechtfertigen. Die Fahrer, die sonst üblicherweise ihren Teamchef immer bei den PKs nach den Rennen entspannt in die Mitte nahmen, waren nicht da. Klar ist: Krisenmanagement sieht anders aus.
Binotto wollte keine verfrühten Schuldzuweisungen treffen und erst zuhause in Maranello mit den beiden reden. Gähn! Und ewig grüßt das Murmeltier. Denn Gespräche der beiden hatten immer wieder mal schon vorher stattgefunden. Nach Monza, als Leclerc im entscheidenden Qualifying seinem ungeliebten Teamkollegen trotz vorheriger Absprache den noch entscheidenderen Windschatten verweigerte. In Sotschi, als sich Vettel rächte und Leclerc nicht wie abgesprochen die Führungs-Position zurückgab, zu der er ihm – mit Windschatten übrigens – auf der langen Startgeraden verholfen hatte. Am Ende gewann Mercedes-Weltmeister Lewis Hamilton. Weil Ferrari den in Führung liegenden Vettel vor seinem Boxenstopp so lange auf alten Reifen herumrutschen ließ, bis Leclerc vor ihm war.
Binotto und Ferrari haben jetzt ein großes Problem. 2020 will man Weltmeister werden. Das geht aber nicht, wenn sich die beiden Fahrer ständig den Nachtisch vom Teller klauen wollen. Macht Binotto für nächstes Jahr keine klare Ansage, wer Nummer-1-Pilot wird, wird ihm das besonders in Italien schnell als Führungsschwäche ausgelegt. Im Prinzip hat er keine Wahl. Er muss den jungen Monegassen zum neuen Michael Schumacher machen, der den Titel bringen soll, und Vettel zum Rubens Barrichello, der Leclerc helfen soll.
Leclerc ist jung, beliebter als Vettel bei Italiens emotionaler und mächtiger Presse und auch bei den meisten im Team. Vettel aber würde nie akzeptieren, als Helfer zu dienen. Eher hört er auf. Deshalb ist trotz Vertrag alles möglich, was die Zukunft des Heppenheimers betrifft.
Zur Erinnerung: Auch Fernando Alonso hatte für 2008 einen Vertrag bei McLaren-Mercedes. Doch die ewigen Gemetzel 2007 mit dem jungen Emporkömmling Lewis Hamilton als Teamkollegen, die am Ende die WM kosteten, führten dazu, dass McLaren und Alonso den Vertrag auflösten. Und wieder grüßt das Murmeltier…