Wie konnte es zum Ferrari-Zoff nach dem Start des Russland-GP überhaupt kommen? Teamchef Mattia Binotto erklärt die Strategie.
Ferrari hatte auch in Sotschi das schnellste Auto. Aber statt des vierten Sieges in Folge gab es für Ferrari gerade mal 15 Punkte. Sebastian Vettel schied wegen eines Motordefekts aus, Leclerc wurde nur Dritter. Schlimmer noch: Zwischen den Fahrern hat es schon wieder gekracht.
Grund dafür ist der Start. Da zog Vettel – auch dank Leclercs Windschatten – von Platz drei auf eins. Leclerc forderte daraufhin über Funk, Vettel solle ihn wie abgesprochen wieder vorbeilassen. Der Deutsche aber war viel schneller als sein Teamkollege und sah den Ferrari-Erfolg gefährdet, wenn er unnötigerweise auf die Bremse tritt.Der Ferrari-Funk in der Startphase beweist das. Hier ist er im Wortlaut:
Ferrari an Leclerc: „Sebastian wird dich in der nächsten Runde vorbeilassen.“
Vettel: „Ich hätte ihn auch so gehabt. Lasst uns noch zwei Runden lang wegfahren. Lasst es mich wissen.“
Ferrari an Vettel: „Lass Charles vorbei.“
Vettel: „Dann sagt ihm, dass er aufschließen soll.“
Leclerc: „Ihr habt mich hinter ihn gebracht. Ich habe das alles respektiert. Wir sprechen später, aber jetzt ist es natürlich schwierig, die Lücke zu schließen.“
Ferrari an Vettel: „Er versucht die Lücke zu schließen. Lass ihn vorbei, er liegt 1,4 Sekunden hinter dir.“
Ferrari an Vettel: „Wir schauen auf Plan C. Charles ist 1,9 Sekunden hinter dir.“
Ferrari an Vettel: „Du bist das schnellste Auto. Konzentrier dich, du machst es gut.“
Ferrari an Leclerc: „Charles, wir machen den Tausch etwas später. Lewis ist ein bisschen zu nah dran und wir wollen jetzt pushen. Wir werden es später machen, fokussiere dich einfach auf dein Rennen. Danke.“
Leclerc: „Ich verstehe das komplett. Es ist nur: Ich habe es respektiert. Ich habe euch den Windschatten gegeben, kein Ding. Aber dann habe ich zu Beginn des Rennens versucht zu pushen, dabei aber die Reifen überhitzt. Aber egal: kein Problem. Managt die Situation.“
Allein: Der Funkverkehr ist auch ein Beleg dafür, dass Ferrari im Moment seine Fahrer nicht managen kann. Die Teamführung wirkt in der Tat überfordert, Teamchef Mattia Binottos Rechtfertigungsversuche nach dem Rennen hilflos.
Binotto: „Wir wussten: Wir dürfen Hamilton auf keinen Fall einen Windschatten geben. Also sollte Charles vielmehr Seb nach vorne ziehen. Und Leclerc würde sich dabei nicht gegen Vettel wehren, der später seine Position zurückgeben sollte. Das war die Abmachung. Der Start der beiden Fahrer war ungefähr gleich, Seb konnte gleich an Hamilton vorbeigehen und war dann auf natürliche Art und Weise hinter Leclerc, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein. Er ging in Führung.“
Was Binotto und seine Strategen nicht auf dem Zettel hatten: Vettel konnte wesentlich schneller fahren als der Monegasse. Grund: „Vettel“, erklärt Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve, „hatte sich seine Fahrzeugabstimmung für das Rennen ausgelegt und profitierte deshalb davon.“
Binotto bestätigt indirekt, dass der Deutsche zu schnell für Leclerc und auch zu schnell für seine Strategen war. Binotto: „Der Start verlief wie geplant. Klar hatten dann die Fahrer unterschiedliche Ansichten darüber, wie das ablaufen sollte. Und ja, wir haben Seb angewiesen, den Platz herzugeben. Aber Vettel hat auch richtig argumentiert, dass Charles nicht nahe genug sei, um das ohne Zeitverlust zu vollführen. Dann zog Vettel vorne weg. Wir beschlossen, den Platzwechsel später vorzunehmen“, erklärt Binotto.
Ferrari holte Leclerc dann deutlich früher rein als Vettel. Ein klassischer Undercut also. Doch ein geplanter Platztausch war laut Binotto nicht der Grund für den früheren Leclerc-Stopp. So erklärt der Ferrari-Boss: „Wir holten Charles früher rein, weil sein linker Hinterreifen zerschlissen war.
Der Moment war einfach der richtige. Wenn wir beide Autos hereinholt hätten, dann wären wir angreifbar gewesen in Sachen Safety-Car. Also ließen wir Vettel draußen, um unsere Führung zu verteidigen. Dann meldete er, dass seine Reifen nachließen. Also holten wir auch ihn rein.“
Villeneuve sieht das anders. Ausgerechnet bei Sky Italia macht er Ferrari schwere Vorwürfe. Villeneuve:
„Es gab keinen Grund für Ferrari, Vettel zurückzupfeifen, weil er der klar schnellere Mann war. Sie verwendeten ihre ganze Konzentration nur noch darauf, wie sie Leclerc nach vorne bringen konnten. Dafür wurden sie zu Recht vom Karma bestraft.“
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.