Formel 1: Der erste Wintertest ist vorbei. Mercedes setzte die Bestzeit. Eine Analyse.
Drei Test-Tage sind die Formel-1-Autos der neuen Generation nun alt. Und sie sehen nicht nur anders aus, sie hören sich auch anders an. Wenn die Rennwagen die Start-Ziel-Gerade des Circuit de Catalunya vor den Toren von Barcelona entlangjagen, ziehen sie ein dumpfes Geräusch hinter sich her. Der Ground Effect, mit dem sie ihren Anpressdruck generieren, ist hörbar – und auch sichtbar.
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Denn die Wagen liegen in schnellen und mittelschnellen Kurven wie auf Schienen. Auf den Geraden dagegen hoppeln sie wie die Hasen!
Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer, der die Autos an der Strecke beobachtete: „Es ist unglaublich, wieviel Abtrieb die Autos, die ja mit 795 Kilogramm Mindestgewicht viel schwerer als die Vorgänger sind, in schnellen und mittelschweren Kurven schon haben. Sie laufen wie auf Schienen. Nut in langsamen Ecken merkt man deutlich das Mehrgewicht. Da rutschen sie ziemlich träge herum. Auf den Geraden wirken sie sehr unruhig.“
Das Phänomen, das die Engländer „Porpoising“ nennen, entsteht, wenn der Unterboden durch den starken Ansaugeffekt auf dem Asphalt aufsetzt und dadurch der Abtrieb abreißt. Je schneller die Fahrt, desto häufiger wiederholt sich der Effekt. Die Autos pumpen dann regelrecht am Ende der Geraden. „Das fühlt sich nicht gut an“, sagt Ferrari-Star Carlos Sainz, „besonders wenn man bedenkt, dass wir bei mehr als 300 km/h rund 30 bis 40 Millimeter hoch und runter springen.“ Aston Martin-Pilot Lance Stroll ergänzt: „Das geht auf den Nacken und den unteren Rücken. Das Problem müssen wir in den Griff bekommen.“
Es gilt den besten Kompromiss zwischen geringer Bodenfreiheit und dem unerwünschten Pumpen zu finden. „Wir brauchen den goldenen Mittelweg“, sagt Haas-Teamchef Günther Steiner, dessen Auto zu Beginn besonders unter dem Effekt zu leiden hatte. „Nicht zu tief, damit der Unterboden nicht aufsetzt, aber auch nicht zu hoch, damit wir nicht zu viel Abtrieb verlieren.“
Eine mögliche Folge des Pumpens: Zuverlässigkeitsprobleme. Besonders Haas und Mick Schumacher – ohnehin schon gebeutelt wegen des russischen Hauptsponsors Uralkali, dessen Namen vom nunmehr fast rein weißen Renner gelöscht wurde – kamen weniger zum Fahren als erhofft. Nur 748 Kilometer absolvierte das US-Team. Am letzten Tag war wegen eines Defekts im Ölsystem nach nur neun Runden Schluss.
Trotzdem bleibt Mick Schumacher optimistisch: „Insgesamt sind wir positiv“, betont er. „Es geht in die richtige Richtung. Wir haben das Werkzeug, um den nächsten Schritt zu machen. Und auch ich selbst fühle mich gut im Auto.“ Haas hat die vergangene Saison geopfert, um sich voll auf die Entwicklung des neuen Rennwagens zu konzentrieren. Immerhin Alfa Romeo scheint man damit überholt zu haben.
Weiter vorne dagegen ist nach drei Testtagen alles beim Alten. Mercedes und Red Bull sind zuverlässig (und) schnell. Mehr noch: Beide Autos liegen wie ein Brett auf der Straße. Surer beobachtete: „Besonders bei Max Verstappen ist ein Unterschied zum Vorjahr festzustellen. Wir liebten ihn ja alle wegen seines wilden Fahrstils. Aber mit dem neuen Red Bull fährt er viel ruhiger, man sieht keine großen Lenkradkorrekturen mehr.“
Wie gut der Red Bull im Vergleich zu den anderen ist, will man bei den Österreichern noch nicht sagen. Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko zu F1-Insider.com: „Wir sind zufrieden, denn wir haben ja nur Basistests gemacht und sind noch nicht auf Zeit gefahren. Ich bin sicher, dass wir im Vergleich zu den meisten anderen mehr Sprit an Bord hatten. Ich denke, wir sind auf Augenhöhe mit Mercedes und knapp vor Ferrari.“
Sein Fahrer und Weltmeister Max Verstappen gibt aber zu bedenken: „Wo wir wirklich stehen, ist nach dem Barcelona-Test nicht einzuschätzen. Wichtig ist, dass alles mehr oder weniger reibungslos verlaufen ist. Ich bin angetan von der Fahrzeugbalance, aber ich weiß auch – schon in Bahrain beim nächsten Test wird wieder alles anders sein.“
Grund: Die Teams haben ihre Geheimnisse noch gar nicht gelüftet, um die Konkurrenz und auch die Regelhüter der FIA nicht zu früh auf mögliche Schlupflöcher im Regelwerk aufmerksam zu machen, die sie mit ihren Innovationen gefunden haben. Und, so der Grazer: „Beim ersten Rennen in Bahrain dann haben wir neue Teile am Auto, die es vorher noch nicht gab“, verrät Marko. Dazu passt: Aus dem Umfeld von Mercedes-Teamchef Toto Wolff sickerte durch, dass der Österreicher die ersten Tests überhaupt nicht ernst nimmt. „Da zeigt doch eh keiner was“, hat er bei Freunden eingeräumt.
Allein: Die bisherigen Rundenzeiten bestätigen Red Bulls Kaffeesatzleserei: Die Bestzeit sicherte sich der Silberpfeil gleich doppelt. Am Freitagnachmittag fuhr Lewis Hamilton eine Zeit von 1:19.138 Minuten, Teamkollege George Russell war am Vormittag eine Zehntelsekunde langsamer. Das ist gerade mal 2,5 Sekunden langsamer als im Qualifying 2021 (1.16,741 Min). Hamilton übt sich dennoch in Tiefstapelei: „Es waren interessante Tage, aber leicht war es nicht für uns. Das Auto ist ganz anders zu fahren als in den vergangen Jahren und das gilt auch für die Reifen (18 statt 13 Zoll). Aber wir arbeiten uns da durch.“
Besonders beeindruckend: die schmale Taille des W13. Aus dem Pressezentrum in Barcelona oberhalb der Boxengasse gut zu beobachten, macht sie Eindruck auf Fotografen und Experten. Red Bull-Motorsportberater Helmut Marko aber zuckt nur mit den Schultern und grinst: „Wir sind auch sehr schmal, aber im Bereich weiter vorne.“
Red Bull und Mercedes vorne – alles beim Alten also? Mitnichten. Ferrari und McLaren wähnen sich dichter dran als im Vorjahr. Gut möglich, dass das britische Traditionsteam mit dem deutschen Teamchef Andreas Seidl dabei sogar einen Trick gefunden hat, das gefürchtete Pumpen abzustellen. Auf dem hinteren Teil der Unterbodenplatte befindet sich ein langer Schlitz. Er lässt praktisch die Luft ab, wenn der Saugeffekt unter dem Auto zu stark wirkt. Haas und Ferrari brachten am zweiten und dritten Testtag ähnliche Lösungen.
Und Sebastian Vettel? Angesichts des dickbäuchigen Aston Martin befürchteten Experten ein erneutes Seuchenjahr für den Deutschen. Doch die Konkurrenz sieht den AMR22 derzeit auf Platz fünf hinter Ferrari und McLaren – potenziell im Duell mit AlphaTauri. Nur die Zuverlässigkeit stimmt noch nicht. Am Freitag musste Vettel wegen eines Öllecks mal wieder zum Feuerlöscher greifen, spielt den Vorfall aber herunter: „Wir hatten hier kaum Zuverlässigkeitsprobleme und nichts, was uns wirklich Sorgen bereitet“, betont er. Der Hesse konzentriert sich tatsächlich mehr auf die Performance seines AMR22. „Das Fahren ist anders und damit spiele ich noch etwas herum“, verrät er. „Das Auto ist einfach eine ganz andere Bestie und die will anders gezähmt werden. Es gibt also noch viel zu lernen, aber soweit ist alles gut.“
Zumindest nach dem Test in Barcelona scheint es also, als hätten die Regelmacher ihr Ziel erreicht: Das Feld ist zusammengerückt. Aber klappt auch das Überholen besser? Die Groundeffect-Autos sollen das Hinterherfahren in schnellen Kurven erleichtern, damit der Angreifer dann auf der folgenden Geraden besser attackieren kann. „Die Rennwagen sehen gut aus und die Fahrer scheinen auch auf der Strecke mit ihrem Fahrverhalten zufrieden zu sein“, sagt F1-Sportchef Ross Brawn zu F1-Insider.com. AlphaTauri-Pilot Pierre Gasly bestätigt: „Die Autos scheinen bei hohen Kurvengeschwindigkeiten tatsächlich besser zu funktionieren.“
Doch wo Vorteile entstehen, gibt es immer auch Nachteile: „Der Windschatteneffekt wurde anscheinend ziemlich stark reduziert“, konstatiert Mercedes-Pilot George Russell. „Offensichtlich braucht man nun einen echten Geschwindigkeits-Vorteil auf der Geraden, um überholen zu können. Ich war direkt hinter Lando. Und ich konnte ihn auf der Geraden nicht einholen. Das war etwas beunruhigend.“
Aus Russells Sicht ist das allerdings noch kein Weltuntergang, denn im Mercedes fährt er ja eher vorneweg…
Von: Bianca Garloff und Ralf Bach
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