Exklusives Interview mit Formel-1-Chef Stefano Domenicali. Der Italiener will sich aktiv für einen GP in Deutschland einsetzen und blickt auf die Saison 2022 voraus
Stefano Domenicali, Ihre erste Saison als Formel-1-Chef ist vorbei. Wie lautet Ihr Fazit?
Stefano Domenicali (56): Ich bin sehr zufrieden. Die Formel 1 stand aufgrund der Corona-Pandemie vor einigen Herausforderungen. Jetzt ist es leicht auf eine unglaubliche Meisterschaft zurückzublicken. Aber 22 Rennen unter diesen Bedingungen zu absolvieren, das war für jeden Beteiligten eine Mammutaufgabe. Doch wir wurden belohnt: Das Interesse war dank des spannenden Kampfs zwischen Lewis (Hamilton; d. Red.) und Max (Verstappen; d. Red.) enorm. In den USA erleben wir gerade einen Boom. Das ist für uns sehr wichtig. Deshalb hatte ich einen guten Start und ich hoffe: Das ist das Fundament für eine Saison 2022, die noch besser wird.
Dann startet Max Verstappen als Titelverteidiger. Sie haben bei Ferrari schon mit Michael Schumacher und Fernando Alonso gearbeitet. Was halten Sie von Verstappen?
Jeder Fahrer ist einzigartig. Max ist in den letzten Jahren unheimlich gewachsen. 2021 fuhr er permanent am Limit. Deshalb glaube ich, dass er den Titel verdient hat. Ich freue mich schon darauf, ihn in der neuen Situation als amtierenden Champion zu sehen. Er hat seinen Traum verwirklicht. Ich bin gespannt, wie er 2022 auffährt.
Wie sehr freuen Sie sich auch auf eine Fortsetzung des Duells zwischen Verstappen und Hamilton?
Ich hoffe natürlich sehr, dass das Duell fortgesetzt wird. Ich hoffe aber auch, dass weitere Piloten in den Titelkampf eingreifen können. Wir haben derzeit so viele junge und talentierte Fahrer, ein extrem starkes Fahrerfeld. Deshalb liegt der Fokus derzeit darauf, ob die neuen Autos es mehr Piloten erlauben werden, damit um Siege und den Titel zu kämpfen.
Sie sprechen die neuen Autos an. 2022 kommt ein komplett neues technisches Reglement mit ganz anderen Rennwagen. Was erwarten Sie davon?
Viel. Die Autos sollen es den Fahrern ermöglichen, enger hintereinander herzufahren und sich so noch intensiver miteinander zu duellieren. Wenn Sie mich fragen, ob wir vom ersten Rennen an ein extrem enges Feld erleben werden, glaube ich das zwar nicht. Aber durch die Restriktionen bei der Weiterentwicklung der Autos und durch die Budget-Obergrenze dürfte sich die Lücke schneller schließen. Jedenfalls freue ich mich sehr auf die neuen Autos. Mir wurde gesagt, sie sollen teilweise doch anders aussehen als das Modell, das wir in Silverstone präsentiert haben. Ich bin selbst neugierig.
Denken Sie, dass ein Team – wie BrawnGP 2009 – einen besonderen Trick gefunden haben könnte?
Das könnte schon sein. Denn bei neuen Regeln weiß man nie, ob ein Team nicht doch ein Schlupfloch gefunden hat. Wobei ich eher erwarte, dass ein oder zwei Teams eine andere Entwicklungsrichtung eingeschlagen haben, als dass sie eine Lücke im Reglement ausgemacht haben.
2022 stehen 23 Rennen im Kalender, so viele wie noch nie. Welche Regionen der Welt wollen Sie neben den USA in Zukunft noch erobern?
Wie gesagt: Die USA ist wichtig für uns und wir arbeiten hart daran, dass Miami 2022 ein Erfolg wird. Die andere Region, die wir nicht unterschätzen dürfen, ist der ferne Osten, vor allem mit Guanyu Zhou, der ja nun für Alfa Romeo fährt. Das Interesse aus China wächst, deshalb wird die Region auch in unseren Fokus rücken. Ein Comeback in Afrika – egal ob im Norden oder Süden – wäre toll. Wie schnell das klappt, wird aber auch von der Situation rund um Covid abhängen. Wir dürfen die Corona-Pandemie weiterhin nicht unterschätzen. Auch 2022 könnte es sein, dass wir den Kalender wieder anpassen müssen.
Wie wichtig bleibt Ihnen bei all den Rennen im mittleren und fernen Osten oder dem Westen die Basis der Formel 1 in Europa?
Sehr wichtig. Wir müssen sicherstellen, dass die traditionellen Grand Prix ihren Platz behalten. Und glauben sie mir: Ich bin enttäuscht und auch traurig, dass wir derzeit keinen deutschen Grand Prix haben. Allerdings sehe ich leider auch kein wirkliches Interesse aus Deutschland, wieder Teil des Formel-1-Kalenders zu werden. Das ist schade und eigentlich kaum zu glauben. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft wieder ändert. Wir haben so viele Anfragen von überall auf der Welt. Wir könnten locker auf 30 verschiedenen Rennstrecken fahren. Und zu sehen, dass aus Deutschland niemand anklingelt, ist bedauerlich.
Woran könnte das liegen? Sie selbst haben das volle Motodrom in Hockenheim erlebt, als Michael Schumacher mit Ihnen als Teammanager bei Ferrari fuhr.
Genau, und ich werde diese guten alten Tage nie vergessen. Die Deutschen sind leidenschaftliche Motorsport-Fans, die Stimmung am Nürburgring und in Hockenheim war immer fantastisch. In Anbetracht dieses Interesses glaube ich, dass darauf im Moment nicht die richtige Antwort gegeben wird. Auch deshalb möchte ich Anfang 2022 das Gespräch mit den Promotern aber auch anderen interessierten Parteien in Deutschland suchen. Es soll eine offene Diskussion werden, um auszuloten, wie die Formel 1 nach Deutschland zurückkehren kann. Und ich werde dabei eine aktive Rolle einnehmen.
Am Ende ist es aber auch ein Problem der Finanzierung. Deutschland subventioniert eben kein Formel-1-Rennen wie die Staaten des Mittleren Ostens das beispielsweise tun.
Es kann aber auch anders funktionieren. Nicht allzu weit von Deutschland entfernt liegt Zandvoort. Dort gibt es einen privaten Organisator, der auf drei Jahre im Voraus Tickets verkauft hat – natürlich dank Max Verstappen. Wenn ich in Deutschland etwas zu sagen hätte, würde ich in Fahrer investieren. Wobei Ihr auch da schon jetzt gut aufgestellt seid. Mit Seb (Vettel; d. Red.) habt Ihr einen viermaligen Weltmeister und unglaublich talentierten Piloten im Feld. Ihr habt Mick Schumacher, der am Anfang einer hoffnungsvollen Karriere steht. Und es geht auch nicht ums Geld. Die Liquidität ist da. Es geht darum, das Interesse zurückzubringen, das Deutschland an der Formel 1 haben sollte. Für mich ist das eine Priorität.
Ein Grund für das sinkende Interesse ist aber die fehlende Übertragung im Free TV.
Das könnte ein Element sein, über das man auch diskutieren muss. Aber Sport entwickelt sich in eine Richtung, in der es nicht mehr nur um Free- oder Pay-TV geht, sondern auch um OTT-Plattformen oder Streaming-Dienste. All das möchte ich aber diskutieren, um zu sehen, ob wir den deutschen Markt wachrütteln können. Wenn dabei rauskommt, dass das nicht zu schaffen ist, müssen wir das akzeptieren. Zu einer Partnerschaft gehören immer zwei und es gibt – wie gesagt – genug Alternativen. Trotzdem bleibe ich dabei: Es wäre schade.
Immerhin könnte sich auf Herstellerseite etwas ändern. Der Volkswagen-Konzern hat bereits am neuen Regelwerk für die Motoren ab 2026 mitgewirkt. Was würde Ihnen ein Einstieg bedeuten?
Ich denke, dass uns ein wichtiger Monat hinsichtlich der Entscheidung der Volkswagen-Gruppe bevorsteht. Ein Einstieg wäre großartig, aber ich kann nicht im Namen von VW sprechen. Ich war ein paar Jahre lang Teil dieses unglaublichen Konzerns und ich weiß, wir hart sie an der Zukunft arbeiten. Unser nachhaltiges Benzin, das wir parallel zu neuen Hybridmotoren mit einem höheren Elektroanteil einsetzen wollen, kann ihnen einen zweiten Weg neben der Elektromobilität eröffnen. Und das gilt nicht nur für die Volkswagen-Gruppe, sondern für jeden Automobilhersteller. Hinsichtlich Volkswagen hoffe ich aber, dass sie bald eine Entscheidung treffen werden. Es war großartig, dass sie in die Entwicklung der neuen Antriebsregeln involviert waren. Jetzt liegt es an ihnen, den letzten Schritt zu gehen.
Könnte auch das ein Türöffner für einen deutschen GP werden?
Ich hoffe, dass das ein zusätzliches, positives Element werden kann. Aber wir haben ja jetzt auch schon Mercedes, die den Konstrukteurs-WM-Titel gewonnen haben und die Formel 1 seit 2014 dominieren. Acht Hersteller-Titel in Folge, das hat niemand zuvor geschafft. Eine großartige Leistung. Aber alles, was das Interesse der Deutschen steigert, ist willkommen.
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