Wunderkind, jüngster Sieger, Überflieger: Colton Herta hat unverkennbar viele Parallelen zu Max Verstappen. Das US-Supertalent im Portrait.
Der Formel-1-Boom in den USA dauert an: Dank des Netflix-Hits „Drive to Survive“ erreicht die Königsklasse in den Staaten ein neues Publikum, 2023 gibt es bereits drei US-Rennen: Zu Austin und Miami kommt Las Vegas hinzu, weitere Austragungsorte sollen folgen. Was den amerikanischen F1-Chefvermarktern von Liberty Media jetzt noch fehlt, ist ein heimischer Fahrer, am besten ein erfolgreicher.
Doch daraus wird auch in absehbarer Zukunft erstmal nichts: Obwohl Red Bulls B-Team AlphaTauri zuletzt heftig um einen passenden Kandidaten warb, erteilt die FIA US-Megatalent Colton Herta keine Superlizenz. Eine vergebene Chance für die Formel 1, denn glaubt man den Experten, wäre der 22-Jährige der richtige Mann, um die lange Durststrecke seines Landes in der Top-Liga des Motorsports endlich zu beenden.
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Unglaubliche 44 Jahre ist der letzte Sieg und der letzte WM-Titel eines Amerikaners in der Formel 1 schließlich schon her: Mario Andretti wurde 1978 im Lotus Weltmeister. Fragt man den mittlerweile 82-Jährigen, wen er für seinen legitimen Nachfolger hält, antwortet dieser: „Colton Herta. Wenn ich ihn sehe, dann sehe ich mich selbst.“
Andretti, der Herta schon seit dessen drittem Lebensjahr kennt, glaubt: „Du kannst niemandem beibringen, schnell zu sein. Das hast du entweder in dir oder nicht. Gute Fahrer gibt es einige, großartige auch – und dann gibt es da die Racer. Das sind die, die es wirklich haben. Und er ist ein Racer.“
Doch warum ist sich der Italo-Amerikaner in Hertas Fall so sicher? Der Grund dafür ist fast ein Jahr her: Andrettis Sohn Michael will mit seinem Team Andretti Autosport den Sauber-Rennstall (derzeit Alfa Romeo) in der Formel 1 übernehmen und den jungen Herta, der auch in der IndyCar-Serie für ihn fährt, als Fahrer gleich mitbringen. Schon einmal schnuppert Herta also an der F1, bekommt aber auch damals schlussendlich keine Chance, weil die Übernahme am Geld scheitert.
„Als wir dem Deal mit Sauber ganz nahe waren, hat Colton eine Woche in der Fabrik in Hinwil verbracht. Am dritten Tag im Simulator war er schon schneller als die Stammpiloten Antonio Giovinazzi und Kimi Räikkönen (Weltmeister von 2007; d. Red.)“, verrät Mario Andretti. Die US-Legende glaubt: „Er hat den puren Speed. Schon als Rookie war er eine Sensation, hat allen Widerständen getrotzt, ohne dabei auch nur einen Fehler zu machen: Dafür brauchst du Eier.“
Tatsächlich schlägt Herta in der IndyCar ein wie eine Bombe: Beim erst dritten Start in der Serie gewinnt er 2019 in Austin sein erstes Rennen und kürt sich damit zum jüngsten Sieger der IndyCar-Geschichte, im Alter von gerade einmal 18 Jahren, 11 Monaten und 22 Tagen. Naheliegend sind da die Vergleiche zu Max Verstappen, dem dieses Kunststück ebenfalls als Achtzehnjährigem bei seinem ersten Formel-1-Sieg in Barcelona 2016 gelingt.
Doch die Parallelen zwischen Herta und dem Holländer reichen weiter: Beiden wird das Talent von ihren Rennfahrer-Vätern quasi in die Wiege gelegt. Jos Verstappen und Bryan Herta fördern die Karrieren ihrer Söhne früh, nachdem ihnen selbst der ganz große Wurf verwehrt bleibt – wenngleich Herta Sr. zumindest vier Rennen im Oberhaus des US-Formelsports (zwei in der CART-Serie, zwei in der Indy Racing League) gewinnen kann.
Berühmtheit erlangt der heute 52-Jährige aber vor allem durch eine Niederlage: 1996 entreißt ihm Alex Zanardi mit dem als „The Pass“ berühmt gewordenen Überholmanöver im berüchtigten Corkscrew von Laguna Seca auf der Zielrunde den Sieg. 23 Jahre später schließt sich der Kreis auf schöne Art: Sohn Colton geht bei den legendären 24 Stunden von Daytona gemeinsam mit Zanardi für BMW an den Start – und gewinnt das Rennen in der GT-Kategorie auf Anhieb.
Auch dieses Jahr bekommen die Fans in Daytona wieder eine Kostprobe von Hertas Talent: Elf Minuten vor Ende des 24-Stunden-Marathons liegt der Youngster in seiner LMP2-Kategorie auf dem zweiten Rang, soll einfach nur das Auto heil ins Ziel bringen, während seine Mechaniker und Teamkollegen von Dragonspeed an der Box bangen. Und was macht Herta? Der attackiert mit viel Risiko den Führenden, drückt sich mit einem knallharten Manöver vorbei und holt den Sieg.
„Ich hatte auch immer diese brennende Leidenschaft und Liebe für den Sport, die ich bei Colton sehe. Und wenn du derart motiviert bist, dann machst du eben keine Gefangenen“, sagt Altmeister Andretti wenig später zu F1-Insider und nennt es einen „All-or-Nothing-Approach“. Für seine kompromisslose Fahrweise verpasst ihm ausgerechnet Lando Norris schon in frühen Jahren den Spitznamen „Hooligan Herta“. Der McLaren-Star und Herta sind 2015 in der britischen Formel 4 Teamkollegen bei Carlin und bis heute gut befreundet.
Gemeinsam haben beide unter anderem den etwas schrägen Sinn für Humor: So posiert Herta auf Social Media schon mal mit Freundin Riley als Borat verkleidet. Auch abseits der Piste ist der Kalifornier kein typischer Rennfahrer, sondern eher Typ Rockstar, spielt in seiner Freizeit als Drummer in der Band „The Zibs“, die er mit zwei Highschool-Freunden gründete – die langen Haare sind dabei die passende Zugabe.
Sportlich stehen bei Herta indes Straßenkurse hoch in der Gunst, im Oval hat der Mann aus Santa Clarita so seine Schwächen: All seine Podiumsplatzierungen holt er auf Rundstrecken. Alles oder nichts, das spiegelt sich hingegen auch in Hertas Statistiken wider: Sieben seiner bisher elf Podestfahrten sind Siege. Bevor er Zweiter wird, riskiert der 22-Jährige lieber alles – so wie beim Music City Grand Prix in Nashville 2021:
Der Andretti-Pilot dominiert das ganze Wochenende, ist zeitweise eine Sekunde schneller als der Rest des Feldes und überlegen in Führung, als ihn ein unglücklich getimter Boxenstopp unter Gelb weit zurückwirft. Herta stampft den Rückstand in Windeseile wieder ein, überholt ein Auto nach dem anderen und hängt fünf Runden vor Schluss dem Führenden schon wieder im Getriebe – dann übertreibt er es und setzt sein Auto in die Wand: Lehrgeld.
Auch Verstappen verformt zu Beginn seiner Karriere das ein oder andere Chassis und muss für den jugendlichen Übermut teils harsche Kritik einstecken. Als der Holländer aber endlich Konstanz in seine Leistungen bringt, ist sein kometenhafter Aufstieg kaum zu stoppen. Diesen Weg will nun auch Herta einschlagen und zeigt dabei ähnliche Ansätze: Nur wenige Monate nach dem Dämpfer von Nashville rast er beim prestigeträchtigen Klassiker in Long Beach zum Sieg – vom 14. Startplatz aus, so wie Verstappen zuletzt in Spa.
Allein: Dass Hertas Leistungen in Europa keinerlei Anerkennung erfahren, beweist in diesen Tagen die FIA: Weil die IndyCar-Serie von der Sportbehörde bei der Vergabe von Superlizenz-Punkten vergleichsweise schlecht eingestuft wird, fehlen dem Ami derzeit die nötigen Zähler für den Formel-1-Führerschein. Gegen eine Ausnahmeregelung sperrt sich der Weltverband, obwohl er genau so eine auch fand, als 2014 ein anderes Supertalent das gleiche Problem hatte:
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„Max Verstappen hätte sonst damals keine Superlizenz bekommen und Kimi Räikkönen ein paar Jahre davor auch nicht. Wenn man zurückblickt gibt es einige Jungs, die jetzt Weltmeister sind und sich nach heutigen Spielregeln nicht qualifiziert hätten“, lacht McLaren-Boss Zak Brown über die bizarre Situation.
Der Amerikaner ist es, der für Herta im vergangenen Juli seinen ersten F1-Test im portugiesischen Portimao organisiert. Wenngleich McLaren die unsichere Situation des IndyCar-Talents frühzeitig umgeht – indem sich der Rennstall für eine Verpflichtung von Alpine-Junior Oscar Piastri entscheidet, der als Formel-2-Champion genügend Punkte für die Superlizenz mitbringt – hegt Brown keine Zweifel: „Colton hat für uns einen tollen Job gemacht. Der Kerl ist bereit für die Formel 1.“
Die Entscheider der Königsklasse sehen das anders. So bleibt dem Freund der lauten Töne jetzt eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Am besten gewinnt er 2023 einfach die IndyCar-Meisterschaft und beweist den F1-Verantwortlichen damit endgültig, dass nicht nur für den Schlagzeuger Herta gilt: America’s Got Talent.
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1. Max Verstappen (Niederlande) – Red Bull 1:20:27,511 Std.
2. Charles Leclerc (Monaco) – Ferrari +2,446 Sek.
3. George Russell (Großbritannien) – Mercedes +3,405
4. Carlos Sainz Jr. (Spanien) – Ferrari +5,061
5. Lewis Hamilton (Großbritannien) – Mercedes +5,380
6. Sergio Perez (Mexiko) – Red Bull +6,091
7. Lando Norris (Großbritannien) – McLaren +6,207
8. Pierre Gasly (Frankreich) – Alpha Tauri +6,396
9. Nyck de Vries (Niederlande) – Williams +7,122
10. Zhou Guanyu (China) – Alfa Romeo +7,910
11. Esteban Ocon (Frankreich) – Alpine +8,323
12. Mick Schumacher (Gland/Schweiz) – Haas +8,549
13. Valtteri Bottas (Finnland) – Alfa Romeo + 1 Rd.
14. Yuki Tsunoda (Japan) – Alpha Tauri + 1 Rd.
15. Nicholas Latifi (Kanada) – Williams + 1 Rd.
16. Kevin Magnussen (Dänemark) – Haas + 1 Rd.
Ausfälle:
Sebastian Vettel (Heppenheim) – Aston Martin (11. Rd.)
Fernando Alonso (Spanien) – Alpine (32. Rd.)
Lance Stroll (Kanada) – Aston Martin (40. Rd.)
Daniel Ricciardo (Australien) – McLaren (46. Rd.)
1. Max Verstappen (Niederlande) – Red Bull 335 Pkt.
2. Charles Leclerc (Monaco) – Ferrari 219
3. Sergio Perez (Mexiko) – Red Bull 209
4. George Russell (Großbritannien) – Mercedes 203
5. Carlos Sainz Jr. (Spanien) – Ferrari 187
6. Lewis Hamilton (Großbritannien) – Mercedes 168
7. Lando Norris (Großbritannien) – McLaren 88
8. Esteban Ocon (Frankreich) – Alpine 66
9. Fernando Alonso (Spanien) – Alpine 59
10. Valtteri Bottas (Finnland) – Alfa Romeo 46
11. Pierre Gasly (Frankreich) – Alpha Tauri 22
12. Kevin Magnussen (Dänemark) – Haas 22
13. Sebastian Vettel (Heppenheim) – Aston Martin 20
14. Daniel Ricciardo (Australien) – McLaren 19
15. Mick Schumacher (Gland/Schweiz) – Haas 12
16. Yuki Tsunoda (Japan) – Alpha Tauri 11
17. Zhou Guanyu (China) – Alfa Romeo 6
18. Lance Stroll (Kanada) – Aston Martin 5
19. Alexander Albon (Thailand) – Williams 4
20. Nyck de Vries (Niederlande) – Williams 2
1. Red Bull 544 Pkt.
2. Ferrari 406
3. Mercedes 371
4. Alpine 125
5. McLaren 107
6. Alfa Romeo 52
7. Haas 34
8. Alpha Tauri 33
9. Aston Martin 25
10. Williams 6