Formel 1: Red Bull

Interview mit Red Bulls Motorsport-Berater Helmut Marko über Max Verstappen, die Teamzukunft, den neuen Teamchef und Nachwuchstalente.
Autoren: Ralf Bach, Bianca Garloff
Herr Dr. Marko, das Hauptthema in den letzten Tagen war Max Verstappen. Jetzt steht fest: Er bleibt bei Red Bull – auch 2026. Wie erleichtert sind Sie?
Helmut Marko: Max ist ein ganz wichtiger Bestandteil unseres Teams. Er hat all seine Erfolge mit Red Bull Racing erzielt. Er ist überhaupt in seiner Formel-1-Laufbahn immer nur Red-Bull-Autos gefahren. Und neben seinem fahrerischen Potenzial ist er einfach ein wichtiges Familienmitglied bei uns.
Wie sehr freuen Sie sich über diese Form der Loyalität?
Marko: Er hatte einen Vertrag bis 2028 und es gab nichts, was gegen die Weiterführung dieses Vertrages gesprochen hätte.
Die so genannte Leistungsklausel wollte Verstappen nach unseren Informationen gar nicht ziehen – die Entscheidung, zu bleiben, fiel unabhängig davon. Auch weil mit Christian Horner ein Wechsel stattfand und Laurent Mekies für Aufbruch sorgte.
Marko: Was er für Überlegungen angestellt hat, persönlich und mit seinem Management, das weiß ich nicht. Aber von seinen Äußerungen war klar, dass er bleiben wollte. Selbst wenn die Ausstiegsklausel geschlagen hätte (wirksam geworden wäre; d. Red.) – niemand weiß, wie die Situation 2026 aussieht. Mercedes erklärt sich zum Klassenprimus, aber Beweise gibt es keine. Auch beim Chassis weiß man nicht, wer das große Los zieht. Es ist viel Unsicherheit da. Aus seiner Perspektive macht es viel mehr Sinn zu bleiben, sich das anzuschauen und wenn wir eventuell nächstes Jahr nicht wettbewerbsfähig sein sollten, dass er seine Entscheidung noch einmal überdenkt.
Verstappen hat sich vergangenes Jahr auch sehr deutlich zu Ihnen persönlich bekannt. Was hat Ihnen das bedeutet?
Marko: Das war sehr angenehm und hat mich sehr gefreut. Solche Loyalität ist in der heutigen Prominenz selten bzw. eine Ausnahme.
Wie nehmen Sie Laurent Mekies als neuen Teamchef wahr? Er steht für die Aufbruchstimmung, die in Spa schon deutlich zu erkennen war.
Marko: Mekies hat einen sehr guten Einstand geliefert. Er war sicher 14 oder mehr Stunden täglich im Einsatz, hat den Kontakt zu den Führungskräften gesucht, Gespräche geführt. Er ist ein exzellenter Ingenieur, konzentriert sich stark auf die Technik. Das war auch unser Ziel: Er muss sich nicht um Marketing, PR oder Red Bull Powertrains kümmern – das bleibt alles eigenständig. Sein Fokus liegt voll auf dem Rennteam.
Wer leitet aktuell Red Bull Powertrains?
Ben Hodgkinson – ein ausgezeichneter Mann. Wir sind im Plan, aber mit den neuen Parametern ist es schwierig zu sagen, wer vorne liegt.
Was sind die entscheidenden Komponenten für den neuen Antrieb?
Marko: Erstens: das Benzin – erstmals komplett frei von fossilem CO₂. Wir arbeiten mit Exxon sehr gut zusammen und die Werte sind sehr ermutigend. Zweitens: Die Batterie – aktuell Standardlösung, aber wir entwickeln auch eine eigene, individuelle Lösung. Drittens: Der Verbrennungsmotor, der ist bei Ben Hodgkinson gut aufgehoben und wir haben ja da die Unterstützung von Ford, die in vielen Bereichen sehr eng und für uns sehr hilfreich mit uns zusammenarbeiten. Viertens: Die Software – alles zusammenzubringen ist die große Herausforderung.
Noch mal zurück zum Teamchef: Welchen neuen Stil bringt Mekies ins Team?
Marko: Er ist sachorientiert, steht mit beiden Beinen am Boden. Auch in Gesprächen mit den Fahrern geht es technischer zu. Yuki Tsunoda hat sich im Qualifying verbessert. Im Rennen war die Strategie leider falsch.
Heißt das, dass Tsunoda jetzt wieder eine Chance hat, sich zu beweisen?
Marko: Unsere Fahrerevaluierung findet traditionell nach der Sommerpause statt. Derzeit ist alles offen. Wir schauen uns die Leistungen an – positiv wie negativ.
Sie hatten vor Spa noch WM-Chancen für Verstappen gesehen. Wie bewerten Sie die Meisterschaft jetzt?
Marko: Es ist sehr schwierig. In Silverstone haben wir beim Wetter falsch gelegen, in Spa war’s umgekehrt. In beiden Fällen haben wir strategisch danebengegriffen. Der Sprintsieg in Spa zeigt aber: Das Potenzial ist da. Aber die Situation ist deutlich schwieriger geworden und es braucht man schon viel Optimismus, um noch an den Titelgewinn zu glauben.
Wie kann man die restliche Saison im Hinblick auf 2026 nutzen?
Marko: Das Reglement ändert sich grundlegend. Viel Erfahrung bringt wenig fürs neue Auto. Aber wir können lernen, die Reifen ins Fenster zu bringen – da ist McLaren aktuell das Maß der Dinge. Mercedes und Ferrari erleben da auch ein Auf und Ab.
Wenn Rob Marshall (Ex-Red-Bull-Designer; d. Red.) nicht zu McLaren gegangen wäre – sähe es jetzt anders aus?
Marko: Das ist spekulativ. Marshall ist ein exzellenter Techniker und spielt sicher eine Rolle. Aber Erfolg ist Teamwork.
McLaren hat zwei Topfahrer, Red Bull fährt im Prinzip ein Ein-Wagen-Team. Ist das für McLaren eher Vorteil oder Nachteil?
Marko: Solange sie so überlegen sind, können sie ohne Stahlregie auskommen und ich finde das sehr sportlich, dass sie noch keine Team-Order gemacht haben. Aber wenn es enger wird, dann ist es sicher ein Nachteil, wenn zwei Top-Fahrer sich gegenseitig die Punkte wegnehmen. Aber das ist derzeit nicht der Fall. Mit dem Vorsprung, den sie haben, riskieren sie ja nichts.
Wer ist langfristig stärker – Norris oder Piastri?
Marko: Piastri ist nervenstärker, konstanter, holt immer das Beste raus. Den habe ich noch nie emotional aufgeladen gesehen. Norris ist vielleicht schneller auf eine Runde, aber insgesamt sehe ich Piastri vorn.
Einige sagen, Piastri sei schon auf Verstappen-Niveau…
Marko: Piastri hat eine unglaubliche Karriere hingelegt und verbessert sich von Jahr zu Jahr. Er hatte im Vorjahr einige große Schwankungen, je nach Kurs. Das ist nicht mehr der Fall. Aber Verstappen ist Verstappen – da ist noch ein Stück zu gehen. Das Potenzial für einen ganz Großen ist aber da.
Experten wie Ex-Fahrer-Martin Brundle meinen, Mercedes-Youngster Kimi Antonelli könne froh sein, nicht bei Red Bull zu fahren – sonst wäre er seinen Job schpn los. Was sagen Sie dazu?
Marko: Der Unterschied: Unsere Junioren fahren erst bei den Racing Bulls, sind nicht sofort dem F1-Druck ausgesetzt. Wir kreieren auch keinen Hype um einen jungen Fahrer, bevor der im F1-Auto sitzt.
Wie bewerten Sie Antonelli mit all Ihrer Erfahrung?
Marko: Sehr schnell, aber noch sehr jung. In Spa sagte er mir, er habe kein Vertrauen ins Auto und sobald er pusht, dann hat er nicht mehr die Kontrolle. Das ist mehr eine Kopfsache und scheinbar ist das Auto – ähnlich wie unseres – im Arbeitsfenster sehr kritisch und wenn es dann einmal funktioniert, dann ist es wesentlich giftiger und da tut sich natürlich ein Routinier wie George Russell wesentlich leichter. Dem Kimi muss man jetzt einfach Zeit geben, dass er sich wieder fängt, so wie Lawson bei Racing Bulls wieder zu seiner Form gefunden hat. Aber den Luxus hat Mercedes Gott sei Dank nicht, dass man ein zweites Team hat.
Wie sehen Sie Lewis Hamiltons Entwicklung bei Ferrari?
Marko: Da bin ich zu weit weg, aber in Spa war ein Aufwärtstrend erkennbar. Bei mehr Nässe wäre er weiter vorn gewesen.
Inwiefern hat Verstappen dieses Jahr noch mal einen Sprung gemacht?
Marko: Er ist ruhiger, arbeitet konstruktiver. Es regt ihn nicht sofort auf, wenn das Auto nicht auf Anhieb funktioniert. Der größte Fortschritt ist sein Reifenmanagement. Er liest Rennen perfekt, hält das Tempo konstant.
Ist da noch Luft nach oben?
Marko: Er überrascht uns immer wieder. Eigentlich war die Silverstone-Pole unmöglich – und er hat sie trotzdem geschafft. Da macht er Unmögliches möglich und bis dato ist die Grenze seiner Fähigkeiten noch nicht zu Tage getreten.
Sie haben nach dem Podium in Silverstone auch über Nico Hülkenberg gesprochen – wie nah war er wirklich dran an einem Red-Bull-Sitz?
Marko: Er war zu der Zeit Co-Kommentator bei ServusTV. Deshalb war schon eine Beziehung da und es gab Ansätze von Gesprächen, aber dann hat Perez das Rennen in Bahrain gewonnen und dadurch hat sich das das Interesse in Richtung Perez verschoben.
Bereuen Sie das?
Marko: Sagen wir mal so: Es wäre eine schöne Zeit geworden, denn die beiden verstehen sich sehr gut. Und Hülkenberg ist eine sichere Bank für Punkte. Auch in unserem Auto wären es Top-Platzierungen gewesen.
Welche Fahrerentscheidungen bereuen Sie in Ihrer langen Karriere?
Marko: Eigentlich keine. Über 95 Prozent der Fahrer, die nicht bei uns blieben, betreiben trotzdem Motorsport auf hohem Niveau. Formel 1 verlangt halt spezielle Eigenschaften. Manche, wie Gasly oder Sainz, wurden später erfolgreich. Aber an Verstappen sind viele mental zerbrochen.
Wird das nächstes Jahr anders?
Marko: Wer neben Max fährt, muss aufhören, ihn schlagen zu wollen. Er soll das Beste für sich und das Team herausholen. Max zu schlagen ist derzeit unmöglich.
Warum wollten Sie 2001 lieber den Brasilianer Enrique Bernoldi bei Red Bull-Sauber fahren lassen und nicht Kimi Räkkönen, der letztendlich das Cockpit bekommen hat?
Marko: Räikkönen kam aus einer sehr niedrigen Kategorie, der Formel Renault. Bernoldi war in der Formel 2 und der erste Junior, der richtig Speed zeigte. Aber ja, rückblickend gesehen war’s falsch.
Sebastian Vettel ist auch einer Ihrer überaus erfolgreichen Junioren. Er schien sich zuletzt wieder bei Red Bull ins Spiel zu bringen. Wie ist da der aktuelle Stand?
Marko: Das Ganze ist nicht weitergelaufen, weil wir mit dem Teamumbau bei Red Bull Racing mehr als genug zu tun hatten. Und: Das ist ein Fulltime-Job, den kannst du nicht nur ein paar Rennen machen. Das Anforderungsprofil von unserer Seite ist, glaube ich, nichts für ihn.
Hätte Max Verstappen Red Bull verlassen – hätten Sie auch ohne ihn weitergemacht?
Marko: Mein Vertrag läuft bis Ende 2026. Dann sehen wir weiter.
Haben Sie eigentlich Leistungsklauseln im Vertrag?
Marko: Nein, keine, die auf Platzierungen beruhen (lacht).
Was erwarten Sie vom nächsten Rennen in Ungarn?
Marko: Es ist keine Strecke für uns. Zu wenig schnelle Kurven. Wir haben dort nur viermal gewonnen. Vettel wurde einmal der Sieg aberkannt – wegen der Safety-Car-Abstandsregel. Er wollte Webber helfen – das kostete ihn den Sieg. Wir kämpfen dort wohl mit Ferrari um die Plätze hinter McLaren.
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