Max Verstappen im Interview über fehlende Idole, pfeifende Fans und sein Duell mit Mick Schumacher
Herr Verstappen, im letzten Jahr um diese Zeit waren sie auf der Jagd nach Ihrem ersten Titel. Jetzt sind Sie als Weltmeister der Gejagte. Wie anders fühlt sich das an?
Max Verstappen (24): Sehr gut. Ich fühle mich extrem entspannt. Meine Zielsetzung hat sich aber nicht geändert: Ich will immer noch so viele Rennen wie möglich gewinnen. Am besten jedes. Ich fühle immer noch die gleiche Befriedigung dabei, die gleiche Freude. Aber klar, es ist sehr nett, diesen Titel in der Tasche zu haben. Ich habe mir damit meine selbst auferlegte Pflicht erfüllt, den Haken gesetzt. Denn alles was jetzt noch kommt, ist ein Bonus.
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Ihr Vater sagte uns kürzlich, Sie hätten seit Ihrem dramatischen Titelgewinn in Abu Dhabi nie mehr mit ihm darüber gesprochen…
(Verstappen lacht): Nein, weil alles darüber gesagt wurde. Es war eine so emotionale und bis zuletzt angespannte Situation, das wollte ich erst mal so stehen und sich setzen lassen. Außerdem stand die nächste Saison schon ins Haus. Ich war mit dem neuen Auto beschäftigt, mit allem, was das neue Jahr mit sich bringt. Vielleicht werde ich – wenn ich älter bin – wie ein Wasserfall darüber reden und meine Emotionen von Abu Dhabi jedem mitteilen, ob er will oder nicht. Aber jetzt ist noch nicht die Zeit dafür.
Aber Ihnen ist schon bewusst, wie besonders und speziell es war, was Sie erreicht haben?
Schon. Aber wie gesagt: Das Leben geht weiter.
Was benötigen Sie am meisten, um weitere Titel zu gewinnen?
Auf jeden Fall musst du immer ein wenig Glück haben. Was mich betrifft: Ich weiß, was ich zu tun habe. Aber deine maximale Leistung reicht nicht aus, wenn du nicht das Material hast, um zu gewinnen. Formel 1 ist kein 100 Meter Lauf, wo der mit den schnellsten Beinen gewinnt. Du brauchst immer auch ein konkurrenzfähiges Auto. Was ich aber am meisten genieße: Wenn ich mit einem Auto gewinnen kann, das nicht das allerbeste ist. Ohne arrogant zu klingen: Das ist mir im vergangenen Jahr doch ein paar Mal gelungen.
Red Bull ist auch in dieser Saison extrem konkurrenzfähig: Das müsste Ihnen doch das Vertrauen geben, dass sie wieder den Titel gewinnen können?
Ja, schon. Ich glaube auch, dass wir in den nächsten Jahren Topmaterial haben werden. Aber ich halte den Ball lieber flach und konzentriere mich auf das Hier und heute. Was ich nämlich gelernt habe: In der Formel 1 können sich Kräfteverhältnisse schnell ändern. Andererseits fühle und mag ich, dass Formel 1 ein Teamsport ist. Du hast es am Sonntag alleine in den Händen und repräsentierst Hunderte von Menschen, die davor alles getan haben, damit du in der bestmöglichen Position stehst. Wenn ich mal ein Auto oder Teile davon zerstöre, ist auch mein erster Gedanke, dass ich gerade diesen Helfern wieder unnötig viel Arbeit beschert habe.
Die Fans in der Formel 1 sind ähnlich emotional wie im Fußballstadion. In Holland wurde Lewis Hamilton letztes Jahr ausgepfiffen, in Abu Dhabi brüllten beide Lager, in Silverstone buhte man Sie auch zuletzt wieder aus. Noch schlimmer wird in den sozialen Medien polarisiert. Wie gehen sie damit um?
Erstmal: In jedem Land entscheiden die Fans auf der Haupttribüne über die Stimmung. Das sind nämlich die Fans, die wir bewusst, auch laut hörbar, wahrnehmen. Ich denke, auf anderen Teilen der jeweiligen Strecke gibt es immer eine gesunde Mischung zwischen den einzelnen Fangruppen. Grundsätzlich finde ich es schade, dass die Fans in der Tat wie Fußballfans reagieren. Sie pfeifen immer den Gegner aus. In Holland pfeifen sie gegen Lewis, in England gegen mich. Ich finde das schade, weil wir oft extrem harte, sportlich hochwertige Kämpfe austragen. Da müsste man auch den Gegner respektieren. Ich bin ein PSV-Fan. Wenn ich aber ein tolles Fußballspiel anschaue, genieße ich das, egal ob meine Mannschaft gewinnt oder verliert. Es wäre schön, wenn das Fanverhalten in unserem Sport auch so wäre. Und dass bei aller Rivalität auch die Gegner mit Respekt behandelt werden.
Wie sehr genießen Sie selbst die harten Rad-an-Rad-Kämpfe? Zum Beispiel mit Lewis Hamilton oder Charles Leclerc?
Was ich besonders cool finde: Dass ich mit vielen Leute wie zum Beispiel Leclerc schon zu Kartzeiten harte Kämpfe ausgetragen habe. Und dass es viele mit mir zusammen in die Formel 1 geschafft haben. Davon konnten wir noch nicht mal träumen, als wir noch Kids waren. Diesen Umstand genieße ich mit am meisten.
In Silverstone haben Sie mit Mick Schumacher hart aber fair um den siebten Platz gekämpft. Haben Sie dabei daran denken müssen, wie Sie als kleiner Bub zusammen mit Mick und ihren Vätern Jos und Michael in Urlaub gefahren sind?
An die Urlaube nicht, aber ich wusste natürlich, dass Mick um seine ersten Punkte fährt. Und ich konnte sehen: Er wollte mehr. Gleichzeitig hatte ich ein beschädigtes Auto, das nicht leicht zu kontrollieren war. Aber natürlich fuhr ich so, als ob es um den Sieg gehen würde. Das liegt in meiner Natur. Jeder Punkt zählt. Es war ein guter Fight und es hat mich auf jeden Fall gefreut, dass bei Mick der Knoten geplatzt ist.
Könnte es in Zukunft zu einem Duell Verstappen – Schumacher kommen, in dem es um Siege geht?
Das fände ich großartig, aber es wird von Mick abhängen. Wenn er hart arbeitet und sich weiter verbessert, ist alles möglich.
Was auffällt: Ihre Zweikämpfe mit Leclerc wirken weniger intensiv und emotional als jene mit Lewis Hamilton. Woran liegt das?
Das liegt daran, wie sehr man die andere Person respektiert. Ich kenne Charles wie gesagt schon sehr lange. Damit hat man automatisch mehr Respekt voreinander, weil man sich logischerweise auch viel besser kennt.
Anders gefragt: Waren die Siege gegen einen siebenmaligen Weltmeister mehr wert als gegen einen Leclerc, der noch keinen Titel geholt hat?
Nein, nicht für mich. Ich weiß, wie gut meine Gegner sind. Das Niveau in der Formel 1 ist insgesamt sehr hoch und am Ende ist es egal, wen ich besiege, solange ich es bin, der gewinnt.
Nicht nur wegen Ihres Titels gehören Sie für die meisten Experten schon jetzt zu den größten Fahrern der Geschichte. Ihr Mentor Helmut Marko vergleicht Sie mit dem unvergessenen Ayrton Senna. Sie sagten einmal: Wenn überhaupt, ist Ihr Vater Ihr Vorbild. Trotzdem: Wie sehr schmeicheln Ihnen solche Vergleiche?
Ehrlich gesagt: Ich hatte nie ein Idol, obwohl ich viele Sportler für ihre Leistung extrem respektiert habe. Aber ich hatte nie jemanden, dem ich nachgeeifert habe. Ich habe immer nur nach mir selbst geschaut. Wenn Du einem Idol völlig verfallen bist, wenn du einen Helden kopieren willst, kannst du nur verlieren: Weil du nur maximal genauso gut sein kannst, aber niemals besser. Deshalb habe ich immer versucht, ich selbst zu sein.
Was antworten sie dann den Leuten, die Sie schon jetzt für den besten Formel-1-Fahrer aller Zeiten halten?
Dass ich mich nicht mit anderen vergleichen will und kann. Ich will mir am Ende des Tages sagen können, dass ich – so oft es ging – maximale Leistung abgerufen habe.
Das heißt, dass Sie auch nicht groß daran interessiert sind, der ewigen Bestmarke von sieben WM-Titeln von Michael Schumacher und Lewis Hamilton hinterherzujagen?
Ich will so viele Titel wie möglich gewinnen. Aber ich verschwende keinen Gedanken daran, wie viele es sein könnten, weil man – wie gesagt – immer auch vom Material abhängig ist. Wenn ich es nicht schaffe, werde ich bestimmt nicht in Depressionen verfallen.
Sie haben zuletzt bereits offen über Ihr Karriereende gesprochen. Denken Sie tatsächlich schon darüber nach?
Naja, deshalb habe ich einen Vertrag bis 2028 unterschrieben. Was danach kommt, werden wir sehen. Ich weiß jedenfalls, in welchem Alter ich keine Rennen mehr fahren werde: Wenn ich so alt bin wie Fernando (Alonso; d. Red.). Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Formel 1 ist ein Teil meines Lebens. Aber es ist auch wichtig, andere Erfahrungen zu machen. Ich fahre Rennen, seit ich vier Jahre alt bin. Der Druck ist hoch, auch von außen. Irgendwann ist das genug.
Können Sie die Formel 1 trotzdem genießen?
Grundsätzlich nervt mich die Reiserei zu den Rennen, die sehr viel Zeit beansprucht. Ich liebe aber das Racing, in der Formel 1 oder im Simulator. Ich spiele in meiner Freizeit auch gerne FIFA 22. Ich verbringe mit beidem viel Zeit, weil ich auch dort so gut wie möglich sein will, um gewinnen zu können. Das Schöne daran: Man kann es von Zuhause aus tun und muss nicht um die Welt reisen. Ich kann mich nicht mit Sportarten beschäftigen, in denen ich nicht gut genug bin. Es macht mir keinen Spaß nur Durchschnitt oder Mitläufer zu sein. Deswegen verschwende ich meine Zeit beispielsweise nicht mit Golf oder Tennis.
Sie sind ein bekennender Porsche-Fan. Die Marke könnte 2026 mit Red Bull in die Formel 1 einsteigen. Wäre das Ihre Kirsche auf der Torte?
Porsche ist eine tolle Marke, die der Formel 1 extrem gut tun würde – egal wo (lacht).
Von: Bianca Garloff, Ralf Bach
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