Wird der Kampf ums freie Mercedes-Cockpit zum Generationenduell?
Toto Wolff hat die Qual der Wahl: Beim Kampf ums frei Mercedes-Cockpit kristallisieren sich zwei Favoriten heraus. Gibt es am Ende sogar eine goldene Doppellösung?
Auf Mercedes-Teamchef Wolff kommen in nächster Zeit wohl einige nette Abendessen und schöne Dates zu. Nein, der Österreicher hat sich nicht von seiner Frau Susie getrennt und mit dem Valentinstag hat das auch nichts zu tun:
Vielmehr hat Wolff nach Lewis Hamiltons Abgang zu Ferrari für 2025 das begehrteste der noch verbliebenen Cockpits in der Formel 1 zu vergeben, was ihn quasi zu heißesten Braut auf dem Fahrermarkt macht – speziell unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der zweite Red Bull an der Seite von Dominator Max Verstappen dieser Tage wohl automatisch eine gewisse Form von Nummer-zwei-Status beinhaltet und der Trend beim Weltmeisterteam klar in Richtung einer Rückholaktion von Williams-Pilot Alex Albon geht.
Einer, der der Brautschau nie abgeneigt ist, ist bekanntlich Flavio Briatore: Der ehemalige Benetton- und Renault-Teamboss, der auf geschäftlicher Ebene immer noch die ein oder andere Strippe im Hintergrund der Formel 1 zieht, traf sich vor wenigen Tagen in Monte Carlo mit Wolff zum Frühstück und postete anschließend ein Bild davon auf Instagram. Die Crux daran: Briatore fungiert immer noch als Manager von F1-Superstar Fernando Alonso.
Es ist kein Geheimnis, dass der Spanier einem Wechsel von Aston Martin zu Mercedes nicht abgeneigt wäre und gerade versucht, sich dafür in Stellung zu bringen: Sein Vertrag mit den Grünen läuft Ende 2024 aus, er ist mit Saisonende verfügbar. Und: Alonso hat mit Blick auf die 2026 anstehende große Regeländerung, bei der auch der Motor wieder ein zentrale Rolle spielt, nicht vergessen, wer 2014 das alles überragende Aggregat baute: Während bei Mercedes die Ära Hamilton losging, versauerte Alonso mit McLaren-Honda jahrelang am Ende des Feldes.
Ausgerechnet die ungeliebten Japaner sind ab 2026 nun Motorenlieferant bei Kundenteam Aston Martin. Eine Flucht ins Werksteam von Mercedes scheint entsprechend attraktiv für Alonso, der sich mittlerweile auch wieder blicken lassen kann in Stuttgart. Zur Erinnerung: Nach dem Spygate-Skandal 2007 und der 100-Millionen-Strafe für McLaren-Mercedes, galt Alonso als Persona non grata im Daimler-Universum. Aus der damaligen Führungsebene ist aber niemand mehr in Amt und Würden, zudem haben sich die Machtverhältnisse bei den Silberpfeilen mit den Anteilseignern Jim Ratcliffe und Toto Wolff längst verschoben.
Allein: Während Briatore Schützling Alonso ins Schaufenster stellt, hat der spanische Altmeister einen ernstzunehmenden Widersacher – verdichten sich doch die Anzeichen, dass Mercedes-Boss Wolff eigentlich Andrea Kimi Antonelli als langfristigen Hamilton-Nachfolger auserkoren hat. Der erst 17-jährige Italiener gilt als das neue Supertalent der Formel 1: Nach einem Durchmarsch durch diverse Juniorkategorien tritt Antonelli diese Saison bereits mit Top-Team Prema in der Formel 2 an.
Wolff, der auch familiär ein gutes Verhältnis zur Antonelli-Familie pflegt, schwärmt von seinem Rohdiamanten: „Seine Erfolgsbilanz im Kart war schon beeindruckend und als er dann in die Junior-Formeln aufstieg, gewann er jede einzelne Saison in seinem Rookie-Jahr.“ Der Mercedes-Boss warnt aber auch ausdrücklich: „Wir müssen vorsichtig sein mit dem großen Hype um Kimi. Ihn in die Formel 2 zu bringen (aus der Formula Regional Europe; d. Red.) ist schon ein großer Schritt, denn diese Autos sind schwerer und haben viel mehr Power.“
Anlässlich der Spekulationen um die Hamilton-Nachfolge legt Wolff nach: „Das Wichtigste in dieser Phase ist, dass er sich auf die Formel 2 konzentriert. Ich denke, wenn wir anfangen ihm den Kopf zu verdrehen oder Gerüchte in den Medien verbreiten, wird das seiner Kampagne nicht helfen“, so der Mercedes-Boss. „Wenn wir ihm Zeit geben und nicht erwarten, dass er gleich in seiner ersten Saison alles in Grund und Boden fährt, kann er in diesem Sport ein ganz Großer werden. Aber er ist erst 17, das ist so jung“, sagt Wolff: „Ich würde also lieber keine Spekulationen darüber anstellen, dass er in diesem Stadium in die Formel 1 geht.“
Nach außen dämpft Wolff naturgemäß die Erwartungen und den Druck, hinter den Kulissen soll die Marschroute aber nach F1-Insider.com-Informationen eine andere sein: Performt Antonelli auf Anhieb in der Formel 2, könnte er 2025 durchaus direkt befördert werden. Dass so ein Wagnis klappen kann, zeigte jüngst das Beispiel Oscar Piastri: Der Australier gewann als Rookie auf Anhieb die Formel 2, stieg für 2023 zu McLaren auf und setzte dort direkt seinen etablierten Teamkollege Lando Norris unter Druck, inklusive eines viel beachteten Sprint-Sieges in Katar.
In der Formel 2 hat Antonelli dieses Jahr zudem das Glück, dass er durch eine neu eingeführte Auto-Generation keinen Nachteil gegenüber den etablieren Piloten hat. Was seinen bisher so kometenhaften Aufstieg noch verrückter erscheinen lässt: Mit den Titeln in der deutschen und italienischen Formel 4, sowie in der Formula Regional in Europa und dem mittleren Osten, hat der Italiener theoretisch schon fast doppelt so viele Punkte für die berühmt-berüchtigte FIA-Superlizenz gesammelt, wie er müsste. Formel 1 fahren darf er aktuell trotzdem nicht, weil er noch keine 18 ist – das ändert sich aber am 25. August 2024.
Mit Blick auf das freie Mercedes-Cockpit bahnt sich so tatsächlich ein spannendes Generationsduell an: Antonelli, als großes Versprechen für die Zukunft, gegen die ultimative F1-Legende Alonso, der mit seinen 42 Jahren gut und gerne der Vater des Italieners sein könnte. Unterdessen zeigen die jeweiligen Vorzüge beider Personalien auch aus Sicht deutscher Fans äußerst schmerzlich auf, warum der Name von Mercedes-Ersatzpilot Mick Schumacher in Wolffs aktuellen Überlegungen notgedrungen eine untergeordnete Rolle spielt.
Dabei ist ab 2025 selbst eine Doppellösung möglich: Hält Wolff den Sprung für zu groß und will seinen Protegé wie angekündigt nicht verheizen, könnte er Antonelli bei Kundenteam Williams und seinem Ex-Mitstreiter James Vowles parken, wo der mäßig begabte US-Amerikaner Logan Sargeant ohnehin auf der Abschussliste steht. Mit diesem Konstrukt machte Wolff bereits in Person des aktuell zweiten Mercedes-Piloten George Russell beste Erfahrung, der zwischen 2019 und 2021 in Grove behutsam für höhere Aufgaben aufgebaut wurde.
Im Fall von Alonso hingegen kann Wolff, gerade im Zuge der anstehenden Regelrevolution 2026, nur schwer die Vorzüge des erfahrensten Piloten in der Formel-1-Historie ignorieren, mit dann weit über 400 GP-Starts in seiner Vita: In Sachen Autoentwicklung für die neue Ära erstmal auf den spanischen Altmeister zu setzen, um dann ein paar Jahre später den bis dahin bestens ausgebildeten Antonelli nachzuschieben, könnte sich als goldener Schachzug für den Weltmeistermacher aus Wien erweisen.
Fakt ist: Wolff hat nun alle Karten in der Hand und befindet sich in einer entsprechend komfortablen Position: Theoretisch hat er das ganze Jahr lang Zeit sich Antonellis Form in der Formel 2 anzuschauen, um das Risiko abzuwägen und andernfalls doch kurzfristig auf die sichere Bank Alonso zu setzen. Dass die große Personalentscheidung bei Mercedes vor diesem Hintergrund zum Geduldsspiel wird, ist keine Überraschung. Der Vorteil ist aber: In der Zwischenzeit wird Toto Wolff dafür sicher noch auf das ein oder andere teure Essen eingeladen…
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