Lewis Hamilton hat den GP Brasilien nicht nur gewonnen. Er ist von Platz zehn förmlich zum Sieg geflogen. Red Bull ahnt jetzt, was dahinter steckt
Nach dem überlegenen Sieg von Mercedes-Titelverteidiger Lewis Hamilton (36) beim GP von Brasilien steht Red Bull mit dem Rücken zur Wand. Drei Rennen vor Ende der Weltmeisterschaft hat Red-Bull-Supertalent Max Verstappen (24) zwar noch 14 Zähler Vorsprung auf den siebenmaligen Weltmeister von Mercedes – aber der kann mit drei Siegen den Titel locker aus eigener Kraft einfahren.
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„Wenn Hamilton auch am Wochenende in Katar und dann in Saudi-Arabien und Abu Dhabi so überlegen ist, können wir den Titel abschreiben“, analysiert Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko (78) gegenüber F1-Insider.com.
Allein: Warum Hamilton in Sao Paulo plötzlich in einer eigenen Liga fuhr, darüber zerbricht sich man bei Red Bull den Kopf. Hintergrund: Der siebenmalige Weltmeister, der wegen eines illegalen Heckflügels das auf 24 Runden verkürzte Sprintrennen am Samstag vom letzten Startplatz aus in Angriff nehmen musste, konnte 15 Autos überholen und wurde locker Fünfter.
Besonders der Geschwindigkeitsunterschied auf der langen Geraden war frappierend. Hamilton wurde im Sprint bei Start-Ziel mit 340 km/h gestoppt, die beiden Red-Bull-Piloten Verstappen und Perez nur mit 321 beziehungsweise 325 Stundenkilometern. Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas schlich sogar nur mit 304 km/h um den Kurs in Sao Paulo. Mercedes erklärt den Unterschied zwischen den beiden Teamkollegen aus der Summe von Windschatten, DRS und dem neuen Motor, den Hamilton für das Rennen in Brasilien bekommen hat.
Beim Rennen am Sonntag war die Überlegenheit des Engländers ähnlich deutlich. Dort fuhr er wegen seines neuen Motors (fünf Startplätze Strafe) vom zehnten Platz aus los. Er flog durchs Feld und konnte am Ende auch von einem mit dem Messer zwischen den Zähnen fahrenden Verstappen nicht am Sieg gehindert werden.
Marko wirkte deshalb auch am Dienstag noch ratlos und mit seiner Weisheit am Ende. „Ich habe noch nie so einen Raketenmotor von Mercedes gesehen“, zog er im Gespräch mit F1-Insider.com ein ernüchterndes Fazit. „Wir konnten Hamilton auf der Geraden nicht halten, obwohl er mit einem Heckflügel fuhr, der ähnlich steil eingestellt war wie in Monaco. Aber nur Hamilton hat diesen Speed, die anderen Mercedes-Piloten sind für uns kein Grund zur Sorge.“
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Die Österreicher arbeiten jetzt Tag und Nacht, um dem Mercedes-(Hamilton)-Geheimnis auf die Spur zu kommen. Marko: „Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit zwei Dingen, die wir unter Umständen auch bei der FIA zur Klarstellung anbringen werden. Einen Protest wird es aber erst dann geben, wenn wir Beweise haben, dass an Hamiltons Auto etwas nicht regelkonform ist.“
F1-Insider.com weiß: Bei den zwei Dingen handelt sich um den Motor von Hamilton und ein geheimnisvolles System, das den W12 auf der Geraden absenken kann, so drastisch den Luftwiderstand verringert und den Topspeed erhöht. Beim Bremsen hebt sich das Auto wieder und steht so erneut voll im Fahrtwind, um maximalen Abtrieb für die Kurven zu generieren.
Dazu passt: Red Bull liegen On-Board-Aufnahmen vom Hamilton-Schwarzpfeil aus Sao Paulo vor. Sie zeigen, wie der Brite beim Anbremsen zur ersten Kurve sein Lenkrad um Millimeter zu sich zieht. Die Techniker rätseln noch, ob das geheimnisvolle System auf diese Art aktiv vom Fahrer ausgelöst werden könnte.
Es ist aber fraglich, ob die Kontrolleure der FIA etwas Illegales an Hamiltons Rennwagen finden. Weder beim Motor noch beim Fahrwerk. Es ist zwar verboten, die vom Reglement her eingefrorenen Antriebseinheiten während der Saison weiterzuentwickeln, um mehr Leistung zu generieren. Allerdings darf man am Motor arbeiten, um die Zuverlässigkeit zu erhöhen. Die war bisher Mercedes‘ Achillesferse. Deshalb hat die Motorenschmiede in Brixworth (GB) genau da angesetzt und die Haltbarkeit für den Saisonendspurt noch einmal verbessert.
Kurz gefasst: Während die Mercedes-Kunden wegen Zuverlässigkeitssorgen nur mit eingeschränkter Leistung fahren dürfen, kann Hamilton dank seines in Brasilien frisch eingebauten Verbrennungsmotors etwa 1000 Kilometer lang die volle Leistung abrufen. Allein dieser Unterschied soll laut Experten bis zu 25 PS ausmachen. Ein Vorteil, von dem Hamilton theoretisch bis zum Finale profitieren kann. Erst dann lässt die Performance laut Mercedes-Teamchef Wolff nach.
Der Rest kommt vom ausgeklügelten hydraulischen Dämpfersystem, das den Wagen beim Beschleunigen gezielt absenkt. Aktive Fahrwerke, die die Bodenfreiheit und das Zusammenspiel der Dämpfer elektronisch regeln, sind zwar verboten. Gibt der Fahrer aber beispielsweise über das Lenkrad den auslösenden Befehl dazu, wäre das legal. Das könnte Hamiltons Ziehen und Drücken am Lenkrad erklären.
Fakt ist: Die Technik an sich ist nicht neu. Schon 2014 regulierten sich Vorder- und Hinterachse vernetzt über das sogenannte FRIC-System, das dann aber verboten wurde. Seitdem nutzen diverse Top-Teams Voreinstellungen der Dämpfer, um Autos beim Gasgeben, wenn das Fahrzeug hinten ohnehin einknickt, gezielt weiter abzusenken. Red Bull glaubt – so erfuhr F1-Insider.com –, dass Mercedes am Auto von Lewis Hamilton diese Funktionsweise aktiv verstärkt, indem der Fahrer am Lenkrad den Befehl dazu gibt.
Gut möglich, dass das Weltmeister-Team damit schon seit Saisonbeginn fährt. Doch erst seit dem Aerodynamik-Upgrade von Silverstone kann Mercedes die Vorteile immer besser ausspielen. Dazu kommt: Auf Strecken mit vielen schnellen Kurven arbeitet es nicht so effizient wie auf Pisten mit einem Mix aus Kurven und langen Geraden – wie Brasilien, aber auch den kommenden Pisten in Katar, Saudi Arabien und Abu Dhabi.
Red Bull will die Legalität des Systems jetzt prüfen lassen. Der extrem enge WM-Kampf wird in den letzten drei Rennen nicht nur auf der Strecke entschieden, sondern auch am grünen Tisch.
Von: Ralf Bach, Bianca Garloff
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