Mit Sir Stirling Moss ist am Morgen des Ostersonntags einer der letzten Ritter des Rennsports im Alter von 90 Jahren nach langer Krankheit für immer eingeschlafen. „Er starb, wie er lebte: wundervoll aussehend“, sagte seine Witwe Lady Suzie der Daily Mail.
Moss ist einer der ganz Großen des britischen Rennsports, gilt als der beste Formel-1-Pilot, der nie Champion wurde. 212 seiner 529 Autorennen gewann er. Nur den Titel in der Formel 1, den holte er nie. Zwischen 1955 und 1961 war Sir Stirling vier Mal Zweiter und drei Mal WM-Dritter. Bis heute hält er den Zeit-Rekord beim berühmten Sportwagenrennen Mille Miglia in Italien, den er 1955 aufstellte.
Unsere Journalisten-Kollegin Bianca Garloff, Redaktionsleiterin von AUTO BILD MOTORSPORT, traf Stirling Moss zuletzt bei einem Termin in Monza 2015, führte dort ein Doppelinterview mit Moss und Hamilton.
Wir dürfen das Gespräch über Rivalen, deutsche Teams und Frauen erneut an dieser Stelle veröffentlichen.
Sir Stirling Moss, Lewis Hamilton, Sie sind zwei englische Rennlegenden, die ihre größten Erfolge in einem Mercedes gefeiert haben. Für wen von Ihnen beiden ist es eine größere Ehre, den jeweils anderen zu treffen?
STIRLING MOSS (85): Für mich ist es auf jeden Fall eine Ehre, Lewis zu treffen. Er hat schon zwei WM-Titel, ich keinen (lächelt). Lewis ist für mich schon jetzt eine Legende.
LEWIS HAMILTON (30): Du willst doch nur höflich sein (lacht). Für mich ist so ein Interview total verrückt. Als ich vor einigen Jahren selbst noch ein Fan war, hätte ich doch nie gedacht, dass ich mal mit Sir Stirling hier sitze und über unsere Gemeinsamkeiten spreche.
Wie fühlt sich ein Brite in Deutschland? Mister Moss, Sie kamen 1954 zu Mercedes.
MOSS: Als ich damals mein Formel- 1-Angebot bekam, gab es keine guten englischen Teams. Aber ich wollte gewinnen. Das ging nur mit Mercedes. Ich musste mich vor den englischen Journalisten rechtfertigen, dass ich praktisch für den Feind fuhr. Dann fragte ich: Wollt ihr Siege oder nicht?
HAMILTON: Ich bin da schon in einer anderen Situation. Mercedes ist deutsch, aber das Team hat seine Basis in England. Jemand hat mir mal gesagt, dass wir 46 verschiedene Nationalitäten im Team haben. In der Formel 1 ist Mercedes längst international.
MOSS: Du darfst aber auch nicht vergessen, wie viele Mechaniker und Ingenieure du hast. Ich hatte gerade mal zwei!
HAMILTON: (lacht) Und ich habe Tonnen von Leuten um mich rum. Etwa 700 Leute bauen das Auto, noch einmal rund 400 den Motor.
Was ist für Sie beide typisch deutsch?
HAMILTON: Gute, solide und effiziente Autos. Deutschland steht für Qualität. Ihr habt die besten Straßen der Welt und die modernste Architektur der Gebäude. Alles, was die Deutschen anpacken, machen sie am besten.
MOSS: Ein Erlebnis verbinde ich auf ewig mit Deutschland. Ich kam nach einem Test mit pechschwarzem Gesicht zurück an die Box. Und dann stand da doch tatsächlich ein Butler mit einem weißen Handtuch, mit dem ich mir das Gesicht säubern durfte. Außerdem stand da heißes Wasser – irgendwo im Nirgendwo. Mercedes war schon damals ein perfekt aufgestelltes Team.
Und was bedeutet es für Sie, zu Hause in England zu fahren und zu siegen?
HAMILTON: Du weißt, die Mehrheit der wirklich großen britischen Rennfans steht hinter dir. Das gibt dir einen zusätzlichen Schub. Du repräsentierst dein Land. Wenn du dann gewinnst, macht dich das unheimlich stolz.
MOSS: Ich bin immer noch der Meinung, dass mein damaliger Teamkollege Juan Manuel Fangio (fünfmaliger Weltmeister; d. Red.) mich 1955 aus genau diesem Grund gewinnen ließ. Ich hab ihn später mal gefragt, ob er mir den Sieg geschenkt hat, da sagte er nur: „Heute war dein Tag.“
HAMILTON: Die Zeiten waren anders. Loyalität und Freundschaft spielten noch eine wichtigere Rolle. Die Leute waren insgesamt höflicher. Heute gibt es in der Formel 1 keine Gentlemen mehr. Man denkt nur an sich und versucht, für sich das Maximum herauszuholen. Weil die Formel 1 ein großes Business geworden ist.
MOSS: Und weil sie nicht mehr so gefährlich ist. Damals war der Zusammenhalt größer, weil wir wussten, dass wir bei jedem Rennen einen von uns verlieren könnten. Wir waren echte Freunde.
Inwiefern ist Lewis Hamilton der Fangio von heute?
MOSS: Lewis ist tatsächlich irgendwie in Fangios Rolle. Im Gegensatz zu Lewis‘ Gegnern war ich damals aber ein glücklicher Zweiter. Ich hatte enormen Respekt vor Fangio und war stolz darauf, in seinem Windschatten lernen zu können. Man nannte uns damals die Kette, weil wir den anderen immer auf und davon fuhren.
Mercedes’ größter Gegner war damals Ferrari – wie heute auch.
MOSS: Stimmt. Ich habe mein ganzes Leben gegen Ferrari gekämpft, weil Enzo Ferrari mir gegenüber mal ziemlich rüde war. Er war kein einfacher Mann, und für ihn war das Auto wichtiger als der Fahrer.
Sie sind stattdessen für Maserati gestartet. Was war der Unterschied zwischen den Deutschen und den Italienern?
MOSS: Die Italiener waren leidenschaftlich, die Deutschen effizient.
Hat das Fahren damals mehr Spaß gemacht?
MOSS: Bestimmt. Wir mussten uns nicht ständig mit Sponsoren herumschlagen, die Rennstrecken waren schwieriger zu fahren, die Autos schwerer zu beherrschen.
Herr Hamilton, was vermissen Sie heute noch?
HAMILTON: Ich vermisse die Girls. Im Fahrerlager sind so viele Männer, das ist nicht mehr lustig.
MOSS: Wir haben damals die Mädels selbst mitgebracht.
HAMILTON: Das macht heute keiner mehr. Die meisten sind in einer festen Beziehung. Und es gibt keine Groupies mehr (tut so, als würde er weinen). In der Musikszene gibt es so viele Groupies, aber die Formel 1 verkauft uns nicht über diese Schiene. Leider.