Der eine ist Weltmeister, der andere wartet auf seinen ersten GP-Sieg: Max Verstappen war Carlos Sainz oft im Weg. Kann der Ferrari-Star endlich aus dem Schatten treten?
Das Abenteuer Formel 1 beginnt für Carlos Sainz Junior und Max Verstappen beim Australien GP 2015 gemeinsam, als Teamkollegen debütieren sie für Toro Rosso. Über sieben Jahre und 150 Grand Prix ist das mittlerweile her: Bei Verstappen stehen seitdem ein WM-Titel, 26 GP-Siege und 15 Pole-Positions zu Buche, bei Sainz indes schreiben die Geschichtsbücher drei Nuller – bis zu diesem Samstag in Silverstone…
Im verregneten Qualifying zum Großbritannien GP hat der Spanier endlich mal die Nase vor seinem Allzeit-Rivalen aus Holland und kann aus dessen Schatten treten. Das nötigt auch Red-Bull-Teamchef Christian Horner Respekt ab: „Glückwünsche an Carlos. Er war schon immer ein Dämon im Nassen. Auch als er bei uns Juniorenfahrer war, war er bei diesen Bedingungen immer sehr stark unterwegs“, erinnert sich Horner.
Einer von vielen Gründen, warum Sainz‘ als frischgebackener Meister der Formel Renault 3.5 seine F1-Chance erhält und als Aushängeschild von Red Bulls Nachwuchsförderprogramm der neue Sebastian Vettel werden soll. Doch dann tritt der drei Jahre jüngere Verstappen auf die Bildfläche und macht dem Spanier im Nachwuchsteam das Leben schwer: Zwar ist Sainz in ihrer gemeinsamen Toro-Rosso-Zeit meistens auf Augenhöhe mit dem Wunderkind, aber eben nicht schneller.
Red-Bull-Motorsportdirektor Helmut Marko, bei Fahrerentscheidungen des Teams seit jeher federführend, verrät in einem Interview 2021: „Sainz hatte nur das Pech, im entscheidenden Moment auf Verstappen zu treffen.“ Für den Österreicher war „auf Anhieb zu sehen, dass er sauschnell ist. Er war fast auf dem gleichen Niveau wie Verstappen. Fast. Aber als wir dann die Wahl zwischen Verstappen und Sainz hatten, war es klar.“
Während Verstappen nach nicht einmal anderthalb Jahren zu Red Bull befördert wird und dort direkt seinen ersten Grand Prix gewinnt (Barcelona 2016), bleibt Sainz der Aufstieg ins Top-Team verwehrt. Über die Zwischenstationen Renault (2017-2018) und McLaren (2019-2020) verschlägt es ihn zur Saison 2021 schließlich zu Ferrari.
Im Übergangsjahr vor den Regeländerungen braucht Sainz bei der Scuderia zwar erstmal Geduld, sein Einstand in Maranello verläuft aber stark: Als WM-Fünfter lässt er überraschend den bereits im Team etablierten Charles Leclerc hinter sich. Mit der Auferstehung Ferraris als Top-Team hat Sainz 2022 dann erstmals ein siegfähiges Auto unter sich.
Doch die Rennen gewinnen erstmal andere, allen voran Teamkollege Leclerc: Zwei der ersten drei Saisonrennen entscheidet der Monegasse für sich, Sainz hingegen kommt mit dem Druck schlechter klar und macht in der Anfangsphase des Jahres zu viele Fehler. Obwohl der WM-Zug für den Spanier frühzeitig abgefahren scheint, verlängert Ferrari den Vertrag mit ihm Ende April vorzeitig. Seitdem zeigt die Formkurve des 27-Jährigen wieder nach oben.
Darüber freut sich auch Ferrari-Teamchef Mattia Binotto: „Die Pole heute war wohlverdient. Carlos fühlt sich immer wohler mit unserem Auto, hatte zuletzt auch schon ein gutes Wochenende in Kanada“, kommentiert der Italiener am Samstag. Binotto weiß: „Wenn man sich wohler fühlt, wird man auch ruhiger. Das konnte man heute sehen. Da ist er trotz schwieriger Bedingungen ruhig geblieben und war deshalb zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle.“
Sainz bestätigt seine neue Herangehensweise: „Bei so viel Wasser ist es immer schwer, das Auto auf der Strecke zu halten. Da muss man sich selbst an einigen Stellen auch mal zurückhalten und Spielraum geben“, sagt der Spanier und fügt an: „Es hat sich heute deshalb manchmal gar nicht so schnell angefühlt, aber genau das hat sich ausgezahlt.“
Denn während Sainz fehlerlos durch die Pfützen in Silverstone steuert, wollen sowohl Verstappen als auch Leclerc zu viel, legen im entscheidenden Moment in Q3 beide Dreher hin.
Teamchef Binotto ist stolz auf seinen Schützling: „Dass es in Kanada im Qualifying bei sehr ähnlichen Verhältnissen nicht so für ihn lief, war auch entscheidend. Carlos hat sich damit auseinandergesetzt, warum das so war und daraus gelernt. Er ist ein sehr guter Lerner und hat sich verbessert.“ Insgesamt glaubt Binotto: „Das Rennen in Kanada (Platz zwei; d. Red.) war wichtig für ihn. Es hat ihm das Selbstvertrauen zurückgegeben, dass er schnell ist.“ Ist der Knoten bei Sainz in Montreal also endlich geplatzt?
Geht es nach dem Ferrari-Star, ist das schon längst passiert: „Monaco, Baku und Kanada waren drei Wochenenden, die schon einen Schritt besser waren als zum Beispiel noch Barcelona“, sagt Sainz. Er räumt aber auch ein: „Vor Silverstone war das mein größter Zweifel, weil die Strecke hier sehr ähnlich ist wie Barcelona. Ich konnte dieses Gefühl heute aber trotzdem in gute Pace umwandeln.“ Wenn Sainz das am Sonntag nochmal gelingt, kann er vielleicht gleich in der nächsten Statistik auf Verstappen aufholen…
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