Formel 1: Sky-Experte Ralf Schumacher blickt exklusiv auf F1-Insider.com voraus auf das nächste Rennen in Spa-Francorchamps. Schumacher spricht über seinen Neffen Mick, Lewis Hamilton, Max Verstappen und Sebastian Vettel
Herr Schumacher, als Journalistenkollege bei Sky: Wie bewerten Sie die erste Saisonhälfte in der Formel 1?
Ralf Schumacher (46): Es war sehr spannend. Dass endlich mal jemand die Mercedes-Dominanz unterbricht, ist natürlich Balsam auf die Seele aller: sowohl für die Motorsportfans, als auch für alle, die darüber berichten. Vor allen Dingen, weil die Emotionen zwischen Mercedes und Red Bull hochschlagen. Es fing zunächst noch relativ harmlos an mit den Sprüchen und der Politik hinter den Kulissen. Das hat sich aber in richtige Aggressionen zwischen den Teams, den Teamchefs und den Team-Verantwortlichen gewandelt. Und seit Silverstone auch zwischen den Fahrern. Das gibt dem Ganzen natürlich noch eine zusätzliche Würze. Besonders die Dünnhäutigkeit der Mercedes-Verantwortlichen finde ich dabei hochinteressant, als Lewis in der Kritik stand.
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Mercedes-Teamchef Toto Wolff forderte nach dem Unfall mit Verstappen in Silverstone in der Tat mehr Respekt für Hamilton.
Ich kann das nicht nachvollziehen und finde es schade. Denn egal welche und wie viele Titel jemand hat, wir sind alle Menschen, Fehler kann man machen. Für mich war es ein Fehler von Lewis Hamilton, der natürlich für Red Bull große Tragweite hatte. Ich finde es schlimm, dass man da nicht offen darüber sprechen kann. Ich weiß auch nicht, ob das so schlimm ist, wenn man Lewis‘ Aktion in Silverstone als amateurhaft bezeichnet hat. Lewis ist ja keine Hoheit, er ist ja immer noch ein Mensch, der genauso aufs Klo geht wie wir alle.
Der Fels wankt 2021 aber so stark wie lange nicht. Wurde Hamilton durch den starken Druck von Max Verstappen in den Fehler getrieben?
Ich glaube, er hat einfach schon im Sprintrennen gemerkt, dass er im Hauptrennen schnell überholen muss. Dafür kann man ihn auch gar nicht kritisieren. Ein Rennfahrer hat nur eine Zehntelsekunde Zeit, sich zu entscheiden. Hat er sich einmal entschieden ist es zu spät. Es war also eine Fehleinschätzung. Aber mein Gott, that´s Racing.
Verstappen ist dieses Jahr extrem stark, er hat auch ein sehr starkes Auto, trotzdem führt Lewis Hamilton in der WM. Was machen Red Bull und Verstappen falsch?
Gar nichts. Man darf nicht vergessen, dass Max in Baku klar in Führung liegend einen Reifenplatzer hatte und dann zweimal schuldlos von der Strecke geräumt wurde, zuletzt durch das Profi-Bowling vom armen Bottas. Auch da kann man wie bei Hamilton in Silverstone keine Absicht unterstellen. Aus Verstappens Sicht war das einfach Pech.
Und Glück für Mercedes…
…genau. Die Verschwörungstheorien (rund um Bottas Startmanöver in Ungarn; d. Red.) sollte man nicht beachten. Mit Absicht ist keine Kollision zu Stande gekommen. Man kann darüber diskutieren, dass Mercedes im Hintergrund der Formel 1 aufgrund der Erfolge der letzten Jahre einen sehr starken Stand und sicherlich beim ein oder anderen Protest ein gewisses Gewicht hat. Dass Toto Wolff zu den Stewards geht, ist auch nicht die Regel. Das gab es aber früher auch schon und ich finde es eigentlich sogar unterhaltsamer. Dann sollten es aber alle machen.
Was erwarten Sie ab Spa vom WM-Duell?
Ich denke, die beiden werden noch öfter aneinandergeraten, weil keiner nachgeben will. Die Frage, die sich mir in erster Linie stellt, ist: Was hat Red Bull in der Sommerpause machen können? Denn eins war schon auffällig: In Ungarn hätte ich Red Bull aufgrund ihrer Aerodynamik-Effizienz deutlich stärker als Mercedes auf der Liste gehabt. Mercedes hatte bis dato ja auch Grip- und Balance Probleme. Doch sie haben nach Silverstone einen klaren Fortschritt gemacht. Spa wird normalerweise kalt, Wetterkapriolen sind in den Ardennen Alltag. Vor Ungarn hätte ich auch in Spa Red Bull vorne gesehen. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Perez ist alles andere als ein Blindfisch im Auto, der Unterschied zwischen Max und ihm war in Ungarn aber gravierend. Das kann Max nicht auf Dauer abfedern, wenn Red Bull nicht noch einen weiteren Schritt macht.
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Muss Verstappen generell etwas vorsichtiger agieren, weil es jetzt um den Titel geht?
Nein. Denn noch mal: Es war nie seine Schuld. Er hat sich weiterentwickelt, sticht dieses Jahr nicht mehr in alle Lücken hinein, so wie er es früher getan hat. Was Max noch fehlt, ist die Erfahrung. Dafür kann er aber nichts. Er ist immer noch sehr jung und er hat bisher alles niedergefahren, was da war. Er hatte nie wirklich einen erfahrenen Teamkollegen, der ihm was beibringen konnte. Er musste sich bei Red Bull alles alleine beibringen und das Team hat sich voll auf ihn verlassen. Das war bei Lewis, der von McLaren gekommen ist, anders. Der hatte ganz andere Fahrer neben sich, einen Fernando Alonso, einen Jenson Button. In der Zusammenarbeit sind Lewis und Mercedes noch einen Schritt voraus. Mit Ausnahmen wie in Ungarn, wo er alleine zum Re-Start gefahren ist, mit Regenreifen. Das war sein Fehler, das darf ihm nicht passieren.
Aus familieninternen Gründen müssten Sie ja Verstappen die Daumen drücken, damit Hamilton Ihren Bruder Michael mit dem achten WM-Titel nicht überholt.
Nein. Ich gönne es immer dem, der am besten ist. Für mich sind beide auf Augenhöhe, beide haben es verdient, Weltmeister zu werden. Irgendwie wünscht man sich natürlich mal eine Abwechslung, das hat aber nichts mit Michael, Lewis oder Max zu tun. Am Ende wird der Bessere gewinnen.
Alle warten darauf, dass Mercedes George Russell als neuen Teamkollegen von Hamilton verkündet. Sie auch?
Ich gehe fest davon aus, dass George Russell das nächste Jahr im Mercedes sitzen wird. Alles andere wäre für die Zukunft überhaupt nicht nachvollziehbar. Lewis ist 36, zwei, drei Jahre noch, dann wird der Käse gegessen sein. Er hat ja auch viele andere Möglichkeiten und Ideen, sei es Musik oder Mode. Mercedes muss sich auf die Zeit nach Lewis vorbereiten. Max Verstappen ist jetzt erstmal kein Thema mehr.
Aber wie wird Hamilton reagieren, wenn dann ein junger britischer Shootingstar an seiner Seite fährt?
Russell wird Lewis mehr Druck machen. Ich fand seinen Auftritt im Mercedes vergangenes Jahr in Bahrain schon unglaublich. George passte wegen seiner Größe gar nicht richtig ins Auto. Und obwohl er nicht in die Möhre passte, hätte er gewonnen, wenn das Team nicht den Fehler beim Boxenstopp gemacht hätte. Das war schon eine großartige Leistung. Das wusste auch Lewis und deshalb ist er in Abu Dhabi wieder ganz schnell zurückgekommen.
Wie bewerten Sie das Comeback von Fernando Alonso?
Das letzte Rennen von Alonso steht für sich. So kenne ich ihn. Wie Hamilton sich die Zähne an ihm ausgebissen hat, das erinnerte mich daran, wie ich auch schon mal versucht habe, an ihm vorbeizufahren – vor vielen, vielen Jahren in Barcelona. Ich finde toll, was er da macht. Klar wird auch sein Karriereende absehbar sein, aber man muss bis jetzt sagen: Es ist kein gescheitertes Comeback. Ocon muss sich schon ganz schön strecken, um mit dem vermeintlich alten Mann mithalten zu können. Denn am Ende des Tages hat Ocon Alonso seinen Sieg in Ungarn zu verdanken.
Sebastian Vettel hat einige Zeit gebraucht, um sich bei Aston Martin zurechtzufinden. Wie bewerten Sie unseren neuen Vorzeige-Grünen und Regime-Kritiker bisher?
Wir haben ja Meinungsfreiheit. Ich finde es toll, dass Sebastian sich neben der Rennstrecke für gewisse Dinge einsetzt. Manche Dinge finde ich sehr mutig. Natürlich habe ich mich für ihn in Budapest gefreut, auch wenn er dort ein bisschen Abstauberglück hatte. Aber er hat es umgesetzt. Schade war dann natürlich die Disqualifikation durch den Fehler des Teams. Trotzdem hat er es jetzt mal wieder geschafft, regelmäßig vor seinem Teamkollegen zu landen. Jetzt liegt es an Aston Martin, dass es weiter aufwärts geht. Das was Stroll vorhatte – sich über gute Connections zu anderen Formel-1-Teamchefs Knowhow zu besorgen – hat nur bedingt funktioniert. Das lernt er jetzt gerade schmerzhaft. Dieser zweite Platz oder gar ein Sieg hätten Aston Martin natürlich wahnsinnig viel gebracht. Deshalb haben sie auch darum gekämpft.
Bekommen Vettel und Aston Martin 2022, wenn alle Teams mal von vorne beginnen müssen, die große Chance?
Jein. Das Problem ist ja, dass sich die Strukturen nicht von heute auf morgen ändern. Gerüchteweise passiert da gerade sehr viel im Hintergrund. Es gibt einige im Team, die diese Neugestaltung nicht ganz verstanden haben. Ich nenne es immer noch Jordan, die vielen Namen davor, danach und dazwischen, das ist ja alles Quatsch. Fest steht: Das war immer eine kompakte Truppe, die es geschafft hat, mit wenig Budget viel zu erreichen. Jetzt war auf einmal Geld da, aber man hat sie nicht abgeholt. Jetzt holt man auch noch neue Leute dazu. In der Formel 1 funktioniert das einfach nicht in einem Jahr. Ich möchte daran erinnern, wie lange es bei Mercedes gedauert hat. Der Mercedes-Erfolg von heute hat angefangen bei Ross Brawn und Norbert Haug. Das vergessen viele.
Und Sie vergessen Ihren Bruder dabei…
…Natürlich nicht! Michael hatte auch seinen Anteil. Es geht mir nur darum zu sagen, wie lange so etwas dauert. Es sei denn, ein Glückswurf gelingt.
Würden Sie an Vettels Stelle dennoch weiter machen?
Ja. Man sieht ja das Lächeln bei den Rennen, wenn er vorne fährt. Er gibt sich auch Mühe, nicht allzu finster dreinzuschauen, wenn es mal nicht so läuft. Das Feuer brennt garantiert noch, das hat man gesehen. Die Frage kann aber nur er selbst beantworten. Wie lange will er morgens noch aufstehen und sein Leben riskieren, besonders wenn er nur im Mittelfeld rumfahren kann?
Kommen wir zu Ihrem Neffen Mick: Wie schätzen Sie seine Leistungen ein?
Mick hat seine Sache bisher sehr gut gemacht. Man sieht es nur leider zu selten. Im Haas fährt er nur hinten rum und man kann ihn nur direkt mit dem Teamkollegen vergleichen. In Ungarn war er in den Duellen mit Verstappen, Hamilton und Co. wirklich gut. Er hat die Autos lange hinter sich gehalten, hat keinen Fehler gemacht, das Auto nicht überfahren. Das zeigt, welche Übersicht er schon hat.
Er hatte aber auch schon einige Unfälle…
Die Unfälle sind unglücklich ja, aber ich habe ein Problem damit gehabt, wie Günther Steiner ihn öffentlich kritisiert hat. Ich als Fahrer hätte mir das nicht gefallen lassen und hätte ihn mir geschnappt. Da können Sie mal Eddie Jordan fragen. Ich mag Günther Steiner total, aber das hätte nicht sein müssen. Kein Fahrer will in der Öffentlichkeit lesen, wie sein Teamchef ihn kritisiert. Das sollte intern passieren. Auch Günther Steiner würde sich nicht wünschen, dass Mick sein Auto in der Presse eine „Scheiß-Karre“ nennt. In der Sache hat er ja recht. Es passieren zu viele Unfälle, das kann sich das Team so nicht leisten. Mick weiß selbst, dass es nicht optimal war, in den freien Trainings zu crashen. Ich finde auch nicht, dass die Kritik übermäßig hart war. Sie war nur unglücklich kommuniziert.
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Ist Haas denn auch 2022 noch das richtige Team für Mick? Zu Alpha Tauri kann er ja nicht.
Als Onkel wäre mir das natürlich am liebsten, denn ich denke, da hätte er eine bessere Chance sein Potential zu zeigen. Haas arbeitet ja weiter mit Ferrari zusammen und Mattia Binotto ist offenbar sehr zufrieden mit Mick, wie er gerade in einem Interview gesagt hat. Das ist wichtiger für Micks Zukunft als Günther Steiners Kritik. Wenn Haas es schafft, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen, würde mich das sehr freuen. Die Truppe hätte es verdient, die Mechaniker und auch Günther.
Wie geht Mick grundsätzlich mit der Aufmerksamkeit um?
Er macht das extrem gut. Wir sehen einen ganz anderen Mick als noch letztes Jahr, als der Druck in der Formel 2 groß war. In den Interviews merkt man, dass er immer lockerer und lockerer wird.
Von: Ralf Bach und Bianca Garloff
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