Sebastian Vettel gibt weiter den Kämpfer für Freiheit, Gerechtigkeit und Klimaschutz – und zieht sogar den Zorn des Verkehrsministers auf sich
In der Formel 1 trifft Sebastian Vettel (34) derzeit nicht immer die richtigen Entscheidungen. Beim GP der Türkei kam er durch Trockenreifen im Regen ins Schleudern. Auf dem politischen Parkett bewegt er sich derzeit sicherer – auch wenn er keine Ambitionen hat, selbst in die Politik zu gehen.
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Allein: Vettel nutzt seine Prominenz, um die Gesellschaft besser zu machen. Und äußert nun auch seinen Wunsch an die neue Regierung: „Es braucht einen Sinneswandel“, sagt er in einer Video-Interviewrunde mit mehreren deutschen und englischen Medien, unter anderem der Augsburger Allgemeinen. „Wir müssen mehr an die Zukunft denken als an die Vergangenheit. Die neue Regierung sollte mehr Risiken eingehen wollen. Wir sollten in der Lage sein, die Stärke, die Deutschland hat, auch zu nutzen. Damit wir gute Dinge vorantreiben und ein Beispiel für den Rest der Welt sind. Da geht es um den Kampf gegen die Klimakrise oder ein Anwachsen von sozialer Ungerechtigkeit. Das sind zwei wichtige Themen, die angegangen werden müssen. Es geht darum, zu handeln statt nur zu reden.“
Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht der Hesse ihre Verdienste dabei keineswegs ab. Vettel: „Angela Merkel war eine starke Kanzlerin, die durch schwierige Zeiten musste. Sie wird nicht nur in Deutschland vermisst werden. Nun aber ist es an der Zeit für Veränderungen.“ Und liegt ihm neben dem Klima noch ein weiteres Thema am Herzen. „Mir ist zum Beispiel soziale Gerechtigkeit sehr wichtig“, räumt er ein und erklärt: „Nicht jeder ist Unternehmer oder kann sein Leben so führen, wie er das möchte. Nicht jeder hat zum Beispiel den Luxus, darüber nachzudenken, wie oft er in der Woche Fleisch essen möchte. Wir müssen uns um alle kümmern.“
Als Rennfahrer fährt er dabei derzeit nicht vorneweg, wie auch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in der BILD feststellte. Doch dessen Reaktion auf Vettels Befürwortung eines Tempolimits war alles andere als souverän. Scheuer: „Mit einem Blick auf die aktuelle Fahrerwertung in der Formel 1 könnte man ohnehin einen Wechsel in die Formel E als konsequent empfinden. Dort werden auch geringere Höchstgeschwindigkeiten als in der Formel 1 gefahren. Wohnort in der Schweiz, mit dem ganzen Tross eines Formel-1-Teams in der Welt unterwegs, viele Flüge jedes Jahr – ich gehe fest davon aus, dass Sebastian Vettel selbst und sein Arbeitgeber Aston Martin den eigenen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen ausgleichen, indem sie CO2-Zertifikate aus Klimaschutzprojekten kaufen.“
Vettel tut das. Zudem unterstützt er das Unternehmen Climeworks, das schädliches CO2 aus der Luft saugt. Und die Formel 1 erinnert er permanent an ihre Rolle als technischer Vorreiter.
Vettel: „Die Formel 1 ist nicht grün, keine Frage. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir Techniken und Möglichkeiten haben, die Formel 1 grüner zu machen, ohne dabei das Spektakel oder die Leidenschaft zu verlieren. Die aktuellen Regularien sind sehr aufregend, der Motor ist sehr effizient. Das bringt aber nichts. Einen solchen Motor können Sie nicht kaufen, wenn Sie sich ein neues Autos zulegen. Da geht es schnell um das Thema Relevanz. Es wird gerade über einiges gesprochen, das die Zukunft der Formel 1 verändern könnte. Das wäre wichtig. Sonst bin ich nicht sehr optimistisch. Wenn sich nichts ändert, könnte es sein, dass die Formel 1 verschwindet.“
Der Deutsche pocht vor allem auf nachhaltigen Treibstoff und setzt die Macher der Königsklasse unter Druck: „Ich bin ein Fan von synthetischem Kraftstoff und hoffe, dass die Formel 1 versucht, den stärker zu nutzen. In der nächsten Saison werden wir einen Motor haben, der zehn Prozent synthetischen Kraftstoff nutzt. Das ist keine Revolution, dieses Benzin kann man schon jetzt an der Tankstelle kaufen. Das sind nicht die Ansprüche, die die Formel 1 als Technologieführer hat. Wir reagieren statt aktiv voranzugehen und den Weg vorzugeben. Es kann bis 2025 oder 2026 dauern, bis große Veränderungen passieren. Das würde weitere fünf Jahre ohne Fortschritt bedeuten. In diesen fünf Jahren aber wird es rund um die Welt hoffentlich viele Veränderungen geben. Das wird unseren Sport unter großen Druck setzen.“
Vettel legt den Finger in die Wunde und fordert die F1-Protagonisten auf, nicht immer nur an die eigenen Interesse zu denken. „Wir haben mehr als eine Milliarde Autos in der Welt, die täglich mit fossilen Kraftstoffen getankt werden“, rechnet er vor. „Dazu kommen noch viele Flugzeuge und Schiffe, die genauso betankt werden. Eine Alternative dafür zu finden, wäre eine Lösung für die Zukunft. Die Formel 1 hat zudem eine große Chance, synthetische Kraftstoffe zu fördern und sie so schnell wie möglich verstärkt einzusetzen. Dabei haben wir keine Zeit, über persönliche Interessen zu reden. Ob es einem Hersteller gefällt oder nicht. Wir müssen unsere Ressourcen besser nutzen. Den Sachverstand, aber auch das Geld, das die Formel 1 hat. Die Hersteller haben in den vergangenen zehn Jahren Milliarden ausgegeben für einen Motor, der sehr effizient und stark ist, der aber keine Relevanz für die Straßenautos hat. Dieses Geld braucht es wieder, um jetzt auf den richtigen Kurs zu kommen. Wir müssen jetzt damit anfangen, statt fünf Jahre weiter zu diskutieren.“
Dabei hat der Heppenheimer auch Menschenrechte und Gleichberechtigung im Visier. „Unser Sport könnte großen Druck ausüben und dabei helfen, Fairness auf der Erde weiter auszubreiten“, betont er. „Wir Menschen sind alle unterschiedlich. Wir sollten diese Unterschiede feiern statt davor Angst zu haben.“
Besonders vor dem Hintergrund der Rennen in Saudi-Arabien und Katar sind das brisante Aussagen. Denn demokratische Werte haben dort noch keinen hohen Stellenwert. Trotzdem fährt die Königsklasse in den Staaten am Persischen Golf und lässt sich das teuer bezahlen.
Vettel stellt den Fokus auf reine Gewinnmaximierung infrage und wünscht sich mehr politische Verantwortung auch vom Mediensport Formel 1: „Das Problem ist, dass sowohl ein Sport als auch ein Land von Menschen geleitet wird. Und einzelne Menschen haben einzelne Meinungen. Wir haben die Aufgabe, die richtigen Leute zu finden, die unseren Sport führen. Dabei muss man bedenken, dass oft auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Es gibt aber Situationen, in denen sich die Verantwortlichen fragen müssen, ob sie eine Moral haben. Vielleicht muss man auch mal zu einem großen Deal nein sagen.“
Fest steht: Vettel bleibt weiter unbequem für die Entscheidungsträger. Er macht alles richtig, wenn es darum geht, als Prominenter Finger in Wunden zu legen. Denn bei 0815-Experten hätte sich ein deutscher Verkehrsminister sicher nicht herabgelassen, auf Statements wegen eines Tempolimits zu reagieren.
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