Am 13. November 1994, vor genau 30 Jahren, holte Michael Schumacher seinen ersten WM-Titel. So erlebte F1-Insider Ralf Bach das Jahr und den Titelgewinn
An die WM wollte er Ende 1993 noch nicht denken. Michael Schumacher stand bei der Bambi-Verleihung auf der Bühne. Er erhielt einen Ehrenpreis. „Über den WM-Titel 1994 sollte man nicht reden“, sagte er damals.
Aus gutem Grund: Ende der Saison 1993 belegte Schumacher mit 52 Punkten Platz vier in der WM. Seinen Teamkollegen Riccardo Patrese hatte er in Rente geschickt. Seinem Idol Ayrton Senna fühlte sich Schumacher aber noch nicht gewachsen. Der Brasilianer wurde hinter Alain Prost mit dem ultra-überlegenen Williams-Renault Zweiter in der WM, und, noch wichtiger: Senna konnte mit dem schwachen McLaren fünf Rennen gewinnen. Der Kerpener mit ähnlichem Material nur eins. Jetzt war Senna zu Williams gewechselt und schien unüberwindbar. Doch das stachelte den Ehrgeiz des Deutschen erst richtig an.
Das Jahr 1994 begann aber nicht optimal. Im Winter vor der Saison hatte Michael Schumacher Schmerzen im Knie. Sie waren die Folge eines falschen Trainings, das der ehrgeizige Kartfahrer schon als Jugendlicher beinahe bis zur Selbstaufgabe jeden Tag durchgezogen hatte, ohne Anleitung eines professionellen Trainers. Der Meniskus war beschädigt, alles drum herum verknorpelt. Es behinderte ihn nicht beim Fahren, aber beim Training – deshalb ließ er sich heimlich bei einem Spezialisten in Frankfurt operieren und verbrachte danach ein dreiwöchiges Aufbautraining in einer Klinik am Tegernsee.
Zu den ersten Testfahrten der Saison war er wieder fit. In Silverstone fuhr er den Benetton B 194 das erste Mal. Als ich ihn dort besuchte, wartete er schon freudestrahlend auf mich. „Es ist das beste Auto, das ich je gefahren bin. Das Auto macht alles, was ich will. Ich bin überzeugt, dass ich damit um den Titel fahren kann.“
Die ersten beiden Rennen gewann Schumacher überlegen. Dann ging es nach Imola. Der große Favorit Senna hatte noch keinen Punkt. Dafür aber verdächtigte er Benetton des Betrugs. Brasilianischen Journalisten hatte er anvertraut, dass Benetton mit der mittlerweile verbotenen Traktionskontrolle fahren würde. Senna stand unter Druck, zumal sein Williams am Anfang der Saison kaum zu beherrschen war.
Am Samstag war der Österreicher Roland Ratzenberger tödlich verunglückt. Senna wollte alles über den Unfall wissen, fuhr mit dem bereits toten Ratzenberger sogar mit ins Hospital. Im Rennen kam es zur nächsten Tragödie.
Senna krachte in der Tamburello-Kurve in die Mauer. Sein Helm wurde von einem Aufhängungsteil durchbohrt. Schumacher fuhr direkt dahinter und war der Meinung, „dass Ayrton gleich wieder aus dem Auto klettern würde“. Sein Team informierte ihn zu keiner Phase des Rennens über die Wahrheit. Auch als er den Siegerpokal in Händen hielt, wusste er nichts von Sennas Tod. Erst später im Benetton-Bus erfuhr er davon.
Schumacher weinte hemmungslos. Als zwei Wochen später in Monaco Gerhard Berger bei einer Gedenkminute sagte, „Mit Sennas Tod ist die Sonne vom Himmel gefallen“, stand Schumacher stumm daneben, Tränen in den Augen, und nickte nur.
Mit Sennas Tod war der Weg für Schumacher frei. Doch die Rennen bis zum Showdown in Australien waren von Skandalen begleitet. In Silverstone übersah Schumacher die schwarze Flagge, wurde für zwei Rennen gesperrt. In Spa disqualifizierte man ihn, weil eine Bodenplatte des Benetton nicht dem Reglement entsprach.
Schumacher konnte dank seiner acht Siege trotzdem noch Weltmeister werden. Es kam in Adelaide zum Finale. Sein Gegner war Williams-Pilot Damon Hill, der sich prächtig entwickelt hatte. Schumacher lag in der WM vorn. Mit einem Punkt.
In der 35. Runde kollidierten die WM-Rivalen. Schumacher war kurz von der Strecke abgekommen, hatte die Mauer berührt, was Hill aber nicht bemerkte. Als der Brite sich neben Schumacher setzte, lenkte der seinen jetzt nicht mehr intakten Benetton in den Williams. Ergebnis: Beide waren draußen, Schumacher wurde Weltmeister.
Ex-Beatle George Harrison, Augenzeuge der unfairen Aktion, bezeichnete Schumacher in der ersten Wut als „linken Betrüger“.
England war in Aufruhr. Hill wetterte, der Deutsche sei rücksichtslos. Schuld sei entweder das jugendliche Alter oder mangelnde Intelligenz. „Es gibt zwei Dinge, die man nicht tun sollte: mit Mike Tyson in den Ring steigen und mit Michael Schumacher Rennen fahren“, spottete Hill.
Schumacher reagierte umgehend: „Ayrton Senna wäre mit Damons Auto Kreise um mich gefahren, wäre er am Leben geblieben. Ich habe vor Hill weniger Respekt als vor anderen Piloten.“
Bei einer ADAC-Feier Ende des Jahres in München setzte sich Michael neben mich. Er wollte mit mir über ein Telefonat reden, das kurz vorher stattgefunden hatte. Darin zeigte ich ganz deutlich meine Enttäuschung darüber, auf welche Art und Weise er den Titel eingefahren hatte.Er war einsichtig und gab zu, dass er Hill mit Absicht ins Auto fuhr.
Formel-1-Chef Bernie Ecclestone rieb sich indes die Hände: Er hatte einen neuen Zweikampf zwischen den Gladiatoren der Gegenwart, der die Leute vor den Fernseher lockte. England hatte zudem ein neues Feindbild. Die Boulevardpresse dort machte vor nichts mehr halt. Höhepunkt: Sie beleidigten Schumacher mit Fotomontagen, die ihn mit Pickelhaube oder Stahlhelm aus dem Zweiten Weltkrieg zeigten. Den Deutschen war das aber alles egal. Dort war mit Michael Schumacher längst ein neuer Superstar geboren.