Vorm Großen Preis von Ungarn in Budapest: Kolumne zu Sebastian Vettels Pokerspiel um seine Formel-1-Zukunft
So ist er halt, der Sebastian Vettel (33). Er lässt sich aus Prinzip nicht gerne in die Karten schauen bei seinem Pokerspiel um seine Formel-1-Zukunft. Dabei steht sein seelisches Reinheitsgebot trotzdem immer noch an erster Stelle. Deshalb sind seine Regeln dabei ganz einfach: Bluffen ist erlaubt, Lügen nicht.
So hangelt er sich im Moment gerade an seinen Gegnern entlang, die nur allzu gerne sein Blatt kennen würden. Bestes Beispiel: Als ein Journalist wegen der Aston-Martin-Spekulationen im Vorfeld des Ungarn GP am Donnerstag in Vettels Video-Presserunde in Budapest die plumpe Frage stellte, was denn sein liebstes Auto von James Bond wäre, durchschaute er 007-like sogleich den allzu einfachen Bluff des Gegners.
Denn der Heppenheimer kennt seine Pappenheimer. Seine Antwort wäre in Schlagfertigkeit und hintergründigem Humor selbst Ur-Bond Sean Connery würdig gewesen. „Das Auto, was damals zerteilt wurde“, lächelte er den Möchtegern-Blofeld unter den Tisch, „ein BMW Z8.“
Man konnte in diesem Moment Vettels Gedanken auch unter seiner roten Maske lesen. „Ja, glaubt ihr denn,“ muss der Hesse gedacht haben, „ich bin mit der Brennsuppe über den Main daher geschwommen?“ Nein, er wollte nicht den legendären Aston Martin DB5 in den Mund nehmen, der durch Connerys Auftritt in „Goldfinger“ Kultstatus bekam und für den in einer Aktion in Kalifornien sechs Millionen Dollar bezahlt wurden.
Allein: Vettel würde seine Karten im Transferpoker nur allzu gerne für sich behalten. Blöd nur, dass vergangene Woche ein Vertrauter Vettels sich verplapperte und feindlichen Spionen einen Teil seines Blattes verriet. Nur war es nicht Bond-Girl Jill Masterson, die im Klassiker „Goldfinger“ für Bösewicht Gert Fröbe vom Balkon eines Hotelzimmers aus mit einem Fernglas die Karten des Gegners verriet – in Vettels Fall war es Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone (89), der zum Anlass seines 90. Geburtstages im Oktober zwei Journalisten in seinem Chalet in Gstaad zum Interview empfing.
Der von der Geburt seines Sohnes Ace am 1. Juli immer noch euphorisierte Brite ließ in einem Nebensatz fallen, was er quasi von seinem Balkon aus zwei Wochen zuvor beobachtet hatte. Einer seiner Nachbarn im Schweizer Nobelort ist der kanadische Milliardär Lawrence Stroll, der nicht nur Hauptaktionär bei Aston Martin ist, sondern dem auch der Formel-1-Rennstall Racing Point mit den rosa Autos gehört, denen er 2021 – logisch – den Namen Aston Martin geben wird.
Ecclestone war sich sicher, seinen alten Backgammon-Partner Sebastian Vettel in geheimer Mission auf Strolls Anwesen entdeckt zu haben. Die Journalisten schlossen daraus: Vettels Deal mit Aston Martin ist also gemacht.
So ist es aber nicht: Vettels Pokerspiel ist immer noch nicht zu Ende. Er kennt sein Blatt. Es ist ein Full House mit drei Assen. Soll heißen: Stroll will ihn, er muss nur zusagen und kann dann im nächsten Jahr seinen roten Overall mit einem pinken tauschen. Die Vorteile: Racing Point wird auch aufgrund einer extrem intensiven Zusammenarbeit mit Motorenpartner Mercedes und mit deren Teamchef Toto Wolff, der gleichermaßen Verbündeter und Geschäftspartner von Stroll ist, immer stärker. Mit dem pinken Mercedes hätte Vettel dann ein Auto, mit dem er zumindest aus eigener Kraft in Podiumsnähe fahren kann.
Die Nachteile: Strolls Sohn Lawrence wäre sein Teampartner. Der junge Kanadier ist der Antrieb für die Abermillionen, die sein Vater in die Formel 1 investierte. Für ihn kaufte er vor zwei Jahren das Team, für ihn wird er weitere Millionen ausgeben. Vettel müsste sich teamintern mit dem Junior-Chef arrangieren und er weiß: Am Ende des Tages ist Blut immer dicker als Wasser.
Dazu kommt: Vettel will gewinnen. Die Aussicht „nur“ auf Podiumsplätze sind dem Sieg-Besessenen auf Dauer nicht genug. Ihm ist durchaus bewusst, dass Mercedes trotz aller Verbundenheit zu Partner Stroll nicht zulassen wird, dass das „Kundenteam“ genauso stark sein darf wie das ureigene Werksteam. Soll heißen: Lewis Hamilton und Valtteri Bottas werden auch in Zukunft das bessere Blatt in den Händen halten.
Fest steht: Vettel befindet sich immer noch in der Überlegensphase. Er muss über folgende Szenarien in seinem Pokerspiel nachdenken: Behalte ich mein Fullhouse und gebe mich damit zufrieden. Oder ziehe ich noch eine Karte, in der Hoffnung, ich bekomme das vierte As. Das wäre ein Anruf von Red Bull, das Team mit dem er seine vier WM-Titel feierte, das Team, in dem er sich zuhause fühlte und immer noch fühlt. Das Team, das ihm Siegchancen und weitere WM-Titel garantieren könnte.
Allein: Auf das As zu hoffen, wäre ein Ritt auf der Rasierklinge, ein extrem riskantes Spiel mit der Zeit. Denn eigentlich hat sich Red Bull zu seinem thailändischen Fahrer Alexander Albon bekannt. Auch bei ihm ist Blut dicker als Wasser, da er ein Günstling der thailändischen Familie ist, der 51 Prozent des Getränkekonzerns gehören. Auch wenn die reinen Leistungsdaten gegen Albon sprechen. Seit 39 Rennen stand nur ein Red-Bull-Fahrer auf dem Podest: Wunderknabe Max Verstappen. Seit zwei Jahren ist Vettels Ex-Team ein Einwagenteam, daran konnte auch Albon nichts ändern.
Viel Zeit, auf das erhoffte As zu spekulieren, hat Vettel nicht mehr. Aston Martin will eine Antwort in den nächsten Wochen. Dann läuft die Option auf den Mexikaner Sergio Perez aus, den Stroll unbedingt behalten will, wenn Vettel nicht kommt. Es gibt zwei Spekulationen, wann das sein wird. Manche sagen am 31. Juli. Manche spekulieren auf den 15. August.
Es gibt aber noch eine Variante, die Vettel in seinem Poker für möglich hält. Mit Anstand die Saison mit Ferrari zu Ende zu fahren, und dann, trotz seines Full House das Spiel zu beenden und seine Karten hinzuschmeißen. Gerade in der Corona-bedingten Zwangspause hatte er viel Zeit, das Leben mit der Familie zu genießen. „Ich liebte es meinen kleinen Sohn aufwachsen zu sehen. Das war mir mit meinen beiden Töchtern vorher so nicht möglich.“
Diesen Satz sollte man sehr, sehr ernst nehmen. Er kann sich also sehr gut vorstellen, das hektische Formel-1-Leben ein Jahr oder für immer hinter sich zu lassen, die Zeit mit der Familie zu verbringen, seinen Rasen zu mähen und zu gießen oder sogar voller Genuss an seinen Motorrädern herumzuschrauben, wenn es nicht gerade eine Glühbirne auf seinem Anwesen in der Schweiz auszuwechseln gilt.
Er muss sich in den nächsten Wochen entscheiden, soviel ist sicher. Und wenn es einen Bond-Film gibt, der seinen Gemütszustand im Moment am besten beschreibt, dann ist es der Connery-Klassiker „Sag NIEMALS nie!“
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