Vier Rennen, vier Mal gilt Ferrari als Favorit, vier Mal gewinnt Mercedes. Trotzdem steckt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto den Kopf nicht in den Sand.
„Ja, wir hatten jetzt vier Doppelsiege für Mercedes in vier Rennen“, räumt er ein. „Aber unser Rückstand ist nicht so groß, wie es die Punktetabelle erscheinen lässt. Wir waren auch in Baku nicht meilenweit weg. Und ich traue mich zu sagen, dass wir die Pole hätten holen können. Das hat nicht geklappt. Im Rennen dann ist es grundlegend anders, ob du vorne in sauberer Luft oder hinterherfährst.
Klar ist: Der Italiener ist weit davon entfernt, in Panik zu verfallen. Als Techniker analysiert er lieber. Dreh- und Angelpunkt dabei: die Reifen. „Die Arbeit mit den Reifen ist in diesem Jahr sehr knifflig“, erklärt Binotto. „Das Betriebsfenster ist noch enger geworden.“
Sebastian Vettel haut in dieselbe Kerbe. „Wir geben schon so viel Gas, wie wir können. Aber wir müssen offenbar noch härter arbeiten. Unser Auto ist jetzt auch nicht gerade langsam. Aber Mercedes ist leider richtig schnell. Man muss einfach respektieren, dass sie phänomenal gut sind. Und es scheint für sie irgendwie leichter zu sein, immer alles aus dem Auto und den Reifen herauszuholen.“
Genau das ist Ferraris Problem. Vettel gibt zu: „In dem Auto steckt Potenzial, aber wir können die Performance leider nicht immer und überall abrufen. Deshalb ist es schwer, richtig Vertrauen aufzubauen. Das Gefühl stimmt einfach noch nicht. Das ist wie ein überdimensionaler Zauberwürfel. Erst wenn wir die Teile richtig drehen, dann schaffen wir das.“
Die Hoffnung ruht jetzt auf Barcelona. Da findet das nächste Rennen statt. Und dort war Ferrari bei den Wintertests überlegen. Der raue Asphalt bringt die Reifen schnell auf Temperatur. Auch am Ferrari.Binotto kündigt an: „Alle werden neue Aero-Pakete bringen, mit denen sich die Balance verschieben könnte. Wir haben hier in Baku schon einige neue Teile gebracht, die auch wie geplant funktioniert haben. Wir haben aber auch noch was im Köcher.“
Valtteri Bottas führt nach seinem Sieg in Baku in der WM. Darum ist er 2019 so verändert.
Aus Niederlagen lernen, aus Pech positive Energien ziehen, sich selbst reloaden und seinen eigenen Weg gehen. Das sind kurzgefasst die Werte, die sich Mercedes-Pilot Valtteri Bottas (29) vor dieser Saison in sein persönliches Lastenheft geschrieben hat. Und sie funktionieren. Von den bisherigen vier Rennen hat der Finne die Hälfte gewonnen, er führt die WM vor seinem Teamkollegen an – und das ist immerhin Weltmeister Lewis Hamilton.
Aus Niederlagen lernen: Die letzte Saison war ein Desaster für Bottas. Während Hamilton mit elf Saisonsiegen überlegen Weltmeister wurde, konnte Bottas nicht ein einziges Mal auf der obersten Stufe des Podiums stehen. Bei dem Rennen in Sotschi, bei dem er führte, musste er den Briten per Teambefehl vorbeilassen – die Höchststrafe für einen Rennfahrer. Nicht nur sportlich, sondern auch in Sachen Image. Bottas musste massive Kritik dafür einstecken, kaum jemand traute ihm noch etwas zu. „Darüber habe ich lange im Winter nachgedacht“, erzählt der Finne. „Ich wusste, so konnte es nicht weitergehen.“ Er ging in sich und betrieb detaillierte Fehleranalyse. „Danach“, so Bottas, „wusste ich, wo ich anzusetzen hatte. Ich wollte mich in jedem Bereich verbessern. Denn ich wusste, es ist die Summe von Kleinigkeiten, die gefehlt hat und nicht das große Ganze. Wichtig war auch, von Anfang der Saison an vorne dabei zu sein. Das ist mir 2018 nicht gelungen.“
Aus Pech positive Energien ziehen: Neben Sotschi war das Rennen in Baku vor einem Jahr der GP, den er hätte gewinnen müssen. Doch ein geplatzter Hinterreifen verhinderte kurz vor Schluss den schon sicher geglaubten Sieg. Zunächst konnte er sein Pech nicht fassen und igelte sich im Hotelzimmer ein. Später verrät er, er habe „geweint wie ein kleines Kind“ und gefühlt „10 Bier“ gebraucht, um die Niederlage zu verarbeiten. ABMS war dabei, als er den Frust weggespült hat! Der Ort: die Bar seines Hilton-Hotels. Dort traf er auf Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve, seinen Landsmann Mika Salo und den ABMS-Reporter. Er setzte sich an den Tisch und verbrachte drei Stunden mit der Kombo. Bottas hörte hauptsächlich zu, aber seine Stimmung wurde immer besser. Das lag nicht nur am Bier, sondern auch an den zum großen Teil lustigen Geschichten, welche die drei zum besten gaben. Als er sich verabschiedete, bestand er nicht nur darauf, die Zeche zu bezahlen, sondern er bedankte sich auch herzlich für den tollen Abend. Der habe ihm sehr geholfen. Für das Rennen 2019 kündigte er an: „Ich habe hier noch eine Rechnung offen.“
Seinen eigenen Weg gehen: Über den Winter ließ er sich einen Vollbart wachsen. Der sollte optisch unterstreichen, was in ihm vorging: „Ich bin jetzt ein neuer Valtteri und gehe meinen eigenen Weg.“ Neben der peniblen Arbeit im Detail gehörte dazu auch: „Ich muss jetzt mehr an mich denken. Man hat schließlich nur eine Karriere.“ Gleich zum Saisonauftakt in Melbourne ließ er den Worten Taten folgen. Obwohl das Team nicht wollte, dass er am Ende noch die schnellste Rennrunde fährt, widersetzte sich Bottas und holte sich den Zusatzpunkt, den es in der dieser Saison für den schnellsten Umlauf im Rennen gibt. Deshalb führt er jetzt die WM an. Und diese Philosophie wird ihn auch in Zukunft stark machen.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.