Das Nationale Automuseum beherbergt einen echten Schatz für Motorsportfans: Michael Schumachers Ferrari F2004. Wir durften im erfolgreichsten roten Formel-1-Auto aller Zeiten Platz nehmen – genau 20 Jahre nach dem letzten WM-Titel des Kerpeners.
Die Situation ist surreal. Unglaublich. Ein Traum für einen Michael-Schumacher-Fan wie mich. Als Journalistin reise ich der Formel 1 seit 2004 hinterher. Logisch: In meiner Rolle als Reporterin habe ich journalistische Distanz entwickelt und genauso lobend über Schumachers siebten WM-Titel berichtet wie ich kritisch sein Comeback bei Mercedes eingeordnet habe.
Doch in diesem Moment fühle ich mich meinem Jugend-Idol wirklich nahe: Ich liege in seinem Ferrari F2004. In seiner Sitzschale aus Carbon. Angeschnallt mit seinen Gurten. Auf meinem Kopf: sein Originalhelm. In meiner Hand: sein Lenkrad. Genau: durchatmen.
Möglich macht meine Reise in die Vergangenheit das Nationale Automuseum in Dietzhölztal. Die „Loh Collection“ zeigt in ihrer Ferrari-Sonderausstellung ebenjenen F2004. Das Auto, in dem Michael Schumacher seinen siebten WM-Titel holte. Vor genau 20 Jahren, mit Platz zwei am 29. August in Spa-Francorchamps.
„Der Motorsport spielt für uns eine große Rolle“, sagt Florian Urbitsch. Der Geschäftsführer der Kollektion des Industriellen Friedhelm Loh hat die Sitzprobe möglich gemacht. „Wir versuchen die ganze Bandbreite des Automobils abzudecken. Dazu gehört auch der Motorsport. Wir haben erfolgreiche Rennautos aus der Formel 1, der DTM, der Langstrecke, speziell Le Mans, aber auch Nascar und Formel E. Und eben den F2004.“
Michael Schumacher und Ferrari. Nach einer teils leidvollen Anlaufphase von 1996 bis 1999 eilt die Kombination von 2000 bis 2004 von Sieg zu Sieg. Allein fünf WM-Titel gewinnt der Kerpener in einer roten Göttin aus Maranello. Er stellt Rekorde auf, die teils immer noch gelten oder erst Jahre und Jahrzehnte später durch Sebastian Vettel, Lewis Hamilton oder Max Verstappen gebrochen werden. Ein Schumacher-Sieg am Sonntag wird in den deutschen Wohnzimmern irgendwann zur Selbstverständlichkeit.
Und doch ist dieses Chassis, in das ich auf dem Museumsparkplatz geklettert bin, das Nonplusultra der Schumacher-Rennwagen aus Maranello. Oder konkret: Es ist das erfolgreichste Ferrari-Formel-1-Chassis aller Zeiten. Der F2004 mit der Nummer 239 hat nämlich in elf Einsätzen achtmal gewonnen – und mit Rang zwei in Belgien den vorletzten Fahrer-WM-Titel des Traditionsteams aus Italien eingeheimst.
Hier steht es nun in jenem Zustand, in dem Schumi ausgestiegen ist. Theoretisch sogar fahrbereit mit 890 PS starkem 3-Liter-V10 im Heck, mit Fahrerin nicht ganz 605 Kilo schwer. „Es war ein langer Weg, um dieses Auto zu bekommen“, rekapituliert Tobias Reichle, zweiter Geschäftsführer. „Das Auto war jahrelang in Japan, und wir haben es dann über Umwege 2017 von dort erwerben können.“
Für mich heißt es nun: Schuhe aus, denn vorne in der Nase des Autos wird’s eng. Auf Socken pirsche ich mich an die rote Göttin aus Maranello heran. Erstes Bein ins Cockpit heben, dann das zweite und hineingleiten ins Monocoque, das einen Aufprall von mehreren Tonnen unbeschadet überstehen würde.
Der Sitz ist wie angegossen. Mit Hüfte und Oberschenkeln passe ich perfekt in die Carbonform. Selbst der Sechs-Punkt-Gurt hat nur wenige Millimeter Luft. Lediglich um die Schultern rum herrscht etwas mehr Bewegungsfreiheit. Meine Hände umfassen das Rennlenkrad, das ich erst noch auf den Schnellverschluss stecken musste. Klack, wackelt nicht mehr und hat auch keine Luft.
Bemerkenswert: Die Gummibezüge sind an einigen Stellen stark abgegriffen. Kein Wunder, bei der intensiven Nutzung durch den Piloten. Pit Limiter, Boxenfunk-Knopf – alles in Daumen-Reichweite. Hinterm Lenkrad laden die Schaltwippen zum Klicken ein. Rechts hoch, links runter. Die Formel 1 hat den schnellen halb automatischen Gangwechsel damals perfektioniert. Darunter die Kupplung, die so viele makellose Schumi-Starts ermöglicht hat.
Doch mein Highlight kommt erst noch: der Helm. Ebenfalls original, ebenfalls fahrbereit hinterlassen, lediglich eine Unterschrift auf dem Visier unterscheidet den Schuberth-Kopfschutz von seinem Zustand im Jahr 2004. Besser noch: Auch er passt wie angegossen. Der Blick durch das Visier mit dem schwarzen Futter im Augenwinkel, hinweg über das Lenkrad mit den beiden 13-Zoll-Ballon-Rillenreifen von Bridgestone im Vordergrund.
Was jetzt kommt, ist Spielerei fürs Foto. Die beiden Geschäftsführer schieben mich an, sodass ich über den Parkplatz gleite. Aus der Sitzprobe wird eine Rollprobe. Erkenntnisgewinn verschafft die langsame Fahrt freilich nicht. Emotional ist sie die Kirsche auf der Torte. Die Reifen surren über den Asphalt; ich stelle mir vor, wie Schumi in der Kombination aus Helm, Lenkrad und Chassis zum WM-Titel gerast sein muss.
Und mir kommt eine Aussage seines damaligen Renningenieurs Luca Baldisseri in den Sinn. „Wir fuhren Rundenzeiten, die nicht unseren Simulationswerten entsprachen. Gemessen an den Umgebungstemperaturen waren wir – viel zu schnell! Alle meinten: Überprüft, ob alles in Ordnung ist, sind wir auch wirklich am Gewichtslimit?“, berichtete der Italiener bereits bei den Testfahrten.
Das Ergebnis ist bekannt. Die Erfolge sprechen für sich: 13 Siege insgesamt, 148 Punkte, 3352 Kilometer in damals noch humanen 18 Saisonrennen an der Spitze.
Geschätzte 20 Meter habe nun auch ich im erfolgreichsten Ferrari der automobilen Königsklasse unter die Räder genommen. Anschließend wird das Rekordauto wieder an seinen Platz im Museum bugsiert. Damit noch mehr Schumi-Fans zumindest einen Eindruck davon bekommen, in welchem Rennwagen der Rekordweltmeister seine wohl schönste Zeit auf der Rennstrecke hatte.
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