Michèle Mouton ist ehemalige Rallye-Vizeweltmeisterin (1982) und Präsidentin der FIA-Kommission für Frauen im Motorsport. Sie will jungen Mädchen den Weg in den Spitzen-Rennsport ebnen und verrät im Interview, warum Frauen genauso schnell sein können wie Männer.
Frau Mouton, Sie haben als Präsidentin der „Frauen im Motorsport-Kommission“ der FIA die erste Frau zu Ferrari gebracht – konkret Maya Weug (16) aus dem FIA Girls on Track Programm heraus ins Ferrari-Juniorteam, in dem unter anderem auch Mick Schumacher gefördert wird. Wie stolz sind Sie darauf?
Michèle Mouton (69): Es ist ein spezielles Programm und ein historischer, emotionaler Moment! Es ist ein sehr neues und innovatives Programm – ins Leben gerufen von der FIA-Kommission für Frauen im Motorsport. Und natürlich werden wir Mayas Fortschritte mit großem Interesse verfolgen. Dass wir Ferrari als Partner an Bord haben, stimmt mich zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Was haben Sie gedacht, als Sie Ihre Mädchen im Ferrari-Overall gesehen haben? Immerhin ist Ferrari DAS ikonische Team der Formel 1.
Das war speziell. Ferrari ist die Referenz. Und die erste Frau im roten Rennanzug zu sehen, bedeutet viel. Wir müssen den Mädchen schon in jungen Alter gute Chancen ermöglichen. Es ist leider sehr oft so, dass hoffnungsvolle weibliche Talente mit dem Rennfahren aufhören, wenn sie 14 oder 15 Jahre alt sind. Weil sie keine Zukunft sehen. Die Ferrari Drivers Academy an Bord zu haben, aus der bereits aktuelle Stars wie Charles Leclerc hervorgegangen sind, ist ein Zeichen der Hoffnung für alle jungen Mädchen im Motorsport.
Warum gibt es diesen Bruch im Alter von 14/15 Jahren?
In diesem Alter sind junge Mädchen erwachsener als Jungs und wenn sie keine weiblichen Vorbilder haben, sehen sie in dem Sport einfach keine Zukunft. Sie fragen sich, warum sie weitermachen sollten. Wir machen ihnen Hoffnung – und das ist extrem wichtig.
Sie selbst haben bewiesen, dass Frauen genauso schnell sein können wie Männer. Warum ist das im Motorsport möglich?
Motorsport ist in der Tat eine der wenigen Sportarten, wo Männer und Frauen gegeneinander antreten können und es auch tun. Darin ist der Rennsport einzigartig und wir sollten stolz darauf sein. Männer und Frauen haben unterschiedliche Fähigkeiten mentaler und physischer Natur. Wir haben im Rennsport ganz unterschiedliche Disziplinen. Rallye und Offroad erfordern ganz andere Fertigkeiten als Rundenstreckensport und Formel 1. Ich zum Beispiel mochte es nie, auf einer Rennstrecke Kreise zu drehen und immer an denselben Stellen zu bremsen oder zu lenken. Ich habe die Schule der Improvisation, das Rallyefahren, ganz klar bevorzugt. Aber weil wir in allen Disziplinen mehr vom Werkzeug, dem Auto, abhängig sind als von der Muskelkraft, können wir gegen die Herren antreten – und sollten diese Chance auch nutzen. Motorsport ist keine Frage der Stärke.
Zum schnellen Autofahren gehört aber auch Mut. Sind Frauen genauso mutig wie Männer?
Was bedeutet Mut? Sechs oder acht Kinder großzuziehen ist mutig. Den Mount Everest zu besteigen ist mutig. Inmitten des Ozeans zu segeln ist mutig. Aber man braucht keinen Mut, um die 24 Stunden von Le Mans zu fahren oder einige die Rallye Monte Carlo. Man braucht lediglich das Können und muss lieben, was man tut. Nämlich am Limit zu kämpfen und an seine eigenen Grenzen zu stoßen.
Das haben Sie als Rallye-Pilotin getan. Wie war es für Sie als einzige Dame gegen die Herren der Schöpfung anzutreten?
Nichts Besonderes. Ich habe es geliebt, im Wettbewerb gegen andere am Start zu stehen. Dabei habe ich nicht daran gedacht, ob ich eine Frau bin oder ein Mann. Ich bin einfach gefahren. Ich habe versucht, an mein eigenes Limit zu kommen.
Trotzdem waren Sie eine Ausnahme, besonders in den 80er Jahren. Haben Sie sich je diskriminiert gefühlt?
Warum diskriminiert? Ich war damals sehr stolz gemeinsam mit und gegen Männer fahren zu dürfen. Ich habe nie versucht die Männer zu schlagen, weil sie Männer sind. Aber ich wollte ihr Level erreichen. Das Level der Besten. Das war schwer genug. Also hat es mich stolz gemacht, wenn ich mit der Spitze des Rallyesports mithalten konnte. Und ich war immer willkommen. Ich hatte nie ein komisches Gefühl oder eine Barriere.
Sie haben damals gegen den deutschen Rallye-Superstar Walter Röhrl gekämpft. Im deutschen Fernsehen hat er einst bekannt, dass die Niederlage gegen Sie demütigender wäre als gegen einen Mann…
Natürlich. Das habe ich auch immer so gesagt: Ein Mann wird es nie mögen, von einer Frau geschlagen zu werden. Trotzdem habe ich nie eine besondere Rivalität gespürt. Walter war ein besserer Fahrer als ich, trotzdem konnte ich ihn manchmal schlagen. Er hatte nie etwas gegen mich persönlich und war immer ein guter Freund. Aber wie gesagt: Ein Mann mag es nicht, von einer Frau geschlagen zu werden – was nicht bedeutet, dass er dich in seinem Sport nicht akzeptiert.
Stimmt. Als er in die Rallye Hall of Fame der FIA aufgenommen wurde, hat er sogar bedauert, dass er sie damals besiegt hat, weil er damit den ersten WM-Titel einer Frau verhinderte.
(lacht) Wie gesagt: Wir hatten nie ein Problem. Unsere Rivalität wurde von der Presse aufgebauscht. Und seine Aussage in Paris bestätigt mich nur darin, dass er mich respektiert hat – was mich natürlich freut.
Sie sind in Deutschland auch wegen des Audi quattro bekannt, mit dem Sie gegen Röhrl angetreten sind. Wie war es, das Allradmonster zu bändigen?
Es war eine Ehre, einen Audi und dann auch noch in der WM zu fahren. Es war für mich ein großer Schritt, weil ich aus der französischen Meisterschaft kam. Und das Vertrauen eines neuen Herstellers zu bekommen, war ein Traum. Ich war sehr stolz und habe hart gearbeitet, um ihnen zu zeigen, dass ich es wert war, engagiert zu werden.
Kommen wir zurück zur Gegenwart und vom Rallyesport auf die Rundstrecke: Wann sehen wir die nächste Frau in der Formel 1?
Bald. Die Einstellung hat sich geändert und ich glaube, dass mehr und mehr Leute gern Frauen in der Formel 1 sehen würden. Deshalb müssen wir die Basis des Motorsports für Mädchen öffnen, damit sie den Sport für sich entdecken. Dafür haben wir das Programm „Girls on track“ implementiert, um talentierte Mädchen mit professioneller Hilfe auf dem Weg nach oben zu begleiten. An der Spitze der Pyramide sind wir nun in der Lage, Frauen in die höchsten Kategorien des Motorsports zu bringen. Wir haben zum Beispiel gleich zwei Frauenteams in der Sportwagen-WM. Das ist historisch. Sechs Frauen in der Sportwagen-WM! Bei den Indy 500 fahren Simona de Silvestro und Katherine Legge. In der Extreme E haben wir zehn Damen. Der Sport ruft nach Frauen und wenn man ihnen die besten Voraussetzungen gibt, sind wir auf einem guten Weg, auch eine Frau in die Formel 1 zu bringen.
Sie haben gerade die Extreme E angesprochen. Da treten Männer und Frauen per Reglement gegeneinander an. Eine gute Idee?
Eine fantastische Idee! Das sollte überall so sein, wo sich mehrere Piloten ein Auto teilen. Wir müssen Frauen unterstützen, weil unsere Basis einfach zu klein ist. Wenn wir mehr Frauen an der Spitze haben wollen, müssen wir die Grundgesamtheit vergrößern. Dafür tun wir alles und ich hoffe, dass wir das Richtige tun.
Die schnellste Rennfahrerin Deutschlands ist Sophia Flörsch. Was halten Sie von ihr?
Eine sehr talentierte Frau, physisch sehr fit, mental sehr stark. Im Richard Mille Racing Team lernt sie viel und verbessert sich stark. Sie hat alle Fähigkeiten, eine Top-Fahrerin zu werden.
Simona de Silvestro wird die 500 Meilen von Indianapolis wieder in Angriff nehmen. Ist auch sie so ein Vorbild für junge Mädchen, wie Sie sie angesprochen haben?
Genau. Die jungen Mädchen müssen sehen, was möglich ist. Je mehr Mädchen wir inspirieren können, desto größer sind die Chancen, dass wir bald eine Frau auch wieder in der Formel 1 haben.
Sophie Flörsch hat sich klar gegen die W-Series positioniert, in der nur Frauen fahren. Wie stehen Sie zu der Rennserie?
Einerseits fördert die W-Series natürlich Frauen. Sie gibt Mädchen die Möglichkeit, kostenlos Rennen zu fahren. Das ist sehr wichtig. Aber: Frauen kämpfen hier nur gegen Frauen. Unsere Philosophie ist allerdings ein gemischter Sport. Wir wollen die weltbesten Fahrerinnen unterstützen und mehr Frauen in die Lage bringen, gegen Männer anzutreten – eben um zu zeigen, dass sie die gleichen Fähigkeiten haben wie Jungs. In der W-Series kannst du nur die beste Frau werden. Nicht der beste Fahrer. Deshalb stößt die eigentlich gute Plattform da an ihre Grenzen. Wir hoffen aber, dass die besten Frauen der W-Series weiterkommen und sich auch gegen Männer beweisen können. Ansonsten ist es für mich eine Art von Diskriminierung, wenn Frauen nur gegeneinander antreten dürfen.
Wie wichtig sind Ihnen Frauen auch in anderen Rollen innerhalb des Motorsports? Monisha Kaltenborn und Claire Williams ihre Jobs an der Spitze eines Teams wieder aufgegeben.
Wir unterstützen Frauen in allen Bereichen des Rennsports. Im Ingenieurswesen haben wir Vorbilder wie Leena Gaade (Ingenieurin). Motorsport besteht nicht nur aus Fahren, sondern auch aus Kommunikation, Design, Leitung. Hinsichtlich Monisha und Claire: Ich sehe das Glas lieber halb voll. Für mich war es bereits fantastisch, dass diese beiden Frauen überhaupt diese Position in der Formel 1 erreicht haben. Das war einzigartig. Aber natürlich stellen Sie die Frage, weil es bisher nur zwei Frauen an der Teamspitze gab. Wären es 20 gewesen, würden Sie die Frage gar nicht mehr stellen. Daran sehen Sie auch, dass wir noch Arbeit vor uns haben. Auch ich werde immer gefragt, warum ich die einzige Frau in der Rallye-WM war. Weil eben keiner anderen Dame die Chance dazu gegeben wurde.
Wie bewerten Sie Susie Wolffs Karriere vor diesem Hintergrund? Sie war erst Rennfahrerin, schaffte es als Testfahrerin bis in die Formel 1 und führt nun ein Formel-E-Team.
Und sie ist auch Botschafterin unserer Sache, eine unglaubliche Inspiration für Frauen im Motorsport. Wir brauchen genau diese Vorbilder, die den jungen Mädchen Mut machen und zeigen, was sie erreichen können.
Warum ist dieses Thema für Sie persönlich so wichtig?
Weil ich gerne mehr Frauen im Motorsport sehen möchte. Ich hatte die Chance, im besten Auto gegen den besten Fahrer zu fahren. Da gibt es keine Ausreden mehr und genau das setzt extrem viel Motivation frei. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen das erleben dürfen. Nach zehn Jahren in der FIA Kommission für Frauen im Motorsport sind wir nun soweit, dass wir ein Mädchen in die Ferrari-Akademie gebracht haben. In der WEC haben wir zwei Damenteams auf Top-Level. Das ist für mich extrem wichtig, denn es ist der einzige Weg, mehr Frauen die Chance zu geben. Und noch einmal: Wir werden bald auch wieder eine Frau in der Formel 1 sehen. Wir sind auf einem guten Weg.
Ein letztes Plädoyer zum Abschluss: Warum sollten junge Mädchen Rennfahrerin werden?
Motorsport hilft dir, dich selbst kennenzulernen und deine Grenzen. Er setzt so viel Adrenalin, wie kaum eine andere Sportart. Es ist ein fantastischer Sport.
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