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Nachwuchs: Red Bulls Rolling Stoneman

Dean Stoneman beim Red Bull-Shooting. Copyright: Twitter

Dean Stoneman beim Red Bull-Shooting. Copyright: Twitter

Dean Stoneman ist seit diesem Jahr für Red Bull in der Renault World Series unterwegs. Der Brite hat seinen größten Sieg schon errungen: gegen den Krebs.

 

Er hat zuerst den Krebs besiegt, dann die Rivalen der Rennbahn… Dean Stonemans Lebenslauf bietet Stoff für ein Drehbuch, das sogar die Traumfabrik von Hollywood interessieren könnte

Der Brite Dean Stoneman (24) ist neuer Red Bull-Juniorpilot und wird 2015 in der Renault World Series an den Start gehen. Die Meldung, die die PR-Abteilung des Energy Drink Herstellers vor ein paar Wochen in die Postfächer der Motorsportjournalisten jagte, war nicht sonderlich spektakulär. Auffällig war nur, dass Stoneman – so jedenfalls drückte es Motorsportchef Helmut Marko am Telefon aus – „mit seinen 25 Jahren für Red Bull-Verhältnisse ja eigentlich schon ein alter Herr ist“.

Unüberhörbar aber war: Die Stimme des von seinen Schützlingen gefürchteten Red Bull-Doktors wird ganz sanft, wenn er von Stoneman redet. Weil in der Geschichte des talentierten Engländers nämlich mehr steckt als Punkte und Podeste, PS und Polepositions.

Gestern fand das erste offizielle Red Bull-Fotoshooting mit Stoneman statt. Deshalb erzähle ich diese Geschichte.

Dean Stoneman war 2010 schon einmal auf dem Sprung in die Königsklasse des Motorsports. Sebastian Vettel hatte in Abu Dhabi gerade seinen ersten WM-Titel geworden, da pilotierte Stoneman bei den Testfahrten im Wüstenstaat den Williams. Als Formel-2-Meister hatte er von sich Reden gemacht. Die Fahrt war die obligatorische Belohnung für den Gewinner der Nachwuchsserie. Er absolvierte sie mit Bravour und bekam vom Traditionsrennstall auch prompt ein Vertragsangebot.

Die Geschichten sind überliefert. Diejenigen, die ihn in Abu Dhabi fahren sahen, machten den jungen Engländer zum nächsten Jenson Button. „Unsinn!“, ärgerten sich ältere Wegbegleiter, die Stoneman noch im Kart erlebt hatten. „Er fährt wie Ayrton Senna.“ Ein Mix aus Vorschusslorbeeren und echter Bewunderung. Doch hier endet die reine Vollgas-Vergangenheit des so viel versprechenden Nachwuchspiloten.

 Zwei Monate später kämpft Dean Stoneman gegen die Tod.

Choriocarcinoma.

Es ist der nüchtern-wissenschaftliche Name für eine seltene Form von Hodenkrebs. Ein besonders tückischer noch dazu: extrem resistent gegenüber Chemotherapie und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu streuen. Wie bei Stoneman. Sein Körper war längst voll von Tumoren. Lunge, Leber, Niere, Bauch und Gehirn waren befallen. Der junge Rennfahrer hatte schon lange über Beschwerden geklagt – und wurde jedes Mal mit der Begründung wieder nach Hause geschickt, die Hormone spielten verrückt. Richtig war: Stoneman hatte die Formel-2-Meisterschaft gewonnen, obwohl der Krebs sich längst seines Körpers bemächtigt hatte. Seine Siegchancen im nunmehr wichtigsten Rennen seines Lebens: nicht mehr als 50:50.

Stoneman kämpft im Krankenhaus wie einst im Rennwagen: ehrgeizig, fokussiert, bis an die Schmerzgrenze. Weil seine Vorbereitung auf den Formel-1-Test ihn so fit gemacht hat, fordert er mehr Gifte, programmiert den Chemo-Computer eigenhändig um, spritzt sich selbst blutverdünnende Medikamente. „Vielleicht habe ich es manchmal übertrieben“, blickt er heute zurück. „Aber je mehr dein Körper leidet, desto besser wirkt die Chemo.“ Stoneman war es gewohnt zu gewinnen – und alles dafür zu tun.

18 Monate und eine Acht-Stunden-Bauch-OP später, mit einer   langen Narbe mehr und einem Hoden weniger steht Stoneman 2013 im Rennen des Porsche Carrera Cup in Silverstone auf der Poleposition. Von der Chemotherapie zeugen nur die ausgedünnten Haare. Sein Tempo ist immer noch dasselbe. Stoneman gewinnt sein Comebackrennen. Zwischendurch ist er Powerboote gefahren, siegreich war er natürlich auch dort. Jetzt hat er sich für die kosteneffektivste Variante des Motorsports entschieden: GT-Rennen. Stoneman: „In die Formel 1 zu kommen war eh nicht mehr realistisch.“

Doch dann half Koiranen GP. Das finnische GP-3-Team gab Stoneman die Chance, zurück ins Formel-Leben. Beim Saisonfinale der GP3 in Abu Dhabi 2013 übernahm der Engländer das Cockpit des Finnen Aaro Vainio und bestritt die letzten beiden Rennen. Schon der sechste Platz beim ersten Lauf war für Stoneman wie ein Sieg. Mehr noch: Mit einem Auge schaute auch Helmut Marko auf den Briten, dessen Kampfgeist ihm auffiel. Dass Red-Bull-Junior Daniiel Kvyat im gleichen Rennen sich Sieg und Titel sicherte, beobachte der Grazer mit wohlwollender Routine. „Dabei wollten wir nur, dass sich Dean wieder an die Formel-Boliden gewöhnt,“ hiess es vom finnischen Team bescheiden und begeistert.

2014 gewann Stoneman in der GP3 vier Rennen und wurde Vizemeister. Die letzten beiden Rennen, abermals in Abu Dhabi, kam er wieder für das Red-Bull-nahestehende Koiranen-Team zum Einsatz und gewann sogar den ersten von zwei Läufen. Hintergrund: In der Formel-Renault siegten Kvyat und der heutige Toro-Rosso-Pilot Carlos Sainz jr. erfolgreich für die Finnen. Damit stand für Marko endgültig fest, ihn ins Red-Bull-Team zu übernehmen. „Natürlich ist es extrem charakterbildend, was Dean durchgemacht hat“, sagt der Österreicher, stellt aber gleichzeitig klar: „Deshalb haben wir ihn aber nicht genommen. Aufgefallen ist er durch sein Talent und seine Vielzahl an außergewöhnlichen Überholmanövern.“ In der Renault World Series fährt er nun einen 450-PS starken Formel-Wagen des Teams Dams.

Stoneman kämpft zwar immer noch mit den Nebenwirkungen der Krebsbehandlung. Das hindert ihn aber nicht daran große Ziele zu haben. „Carlos Sainz kam ebenfalls aus der GP3 und hat im selben Renault-World-Series-Auto 2014 den Titel geholt.“ Heute fährt der junge Spanier Formel 1 für Toro Rosso. „Ich habe ähnlich hohe Ziele“, sagt der Brite mit fester Stimme. Die nimmt mit ihm auch sofort ab, wenn man seine Vita kennt. „Wings for Life“, eine Red-Bull-Wohltätigkeitsorganisation, hat durch Stoneman plötzlich noch eine ganz andere Bedeutung bekommen.

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