Grüße aus Quarantäna Teil II: Diesmal Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer aus Spanien. So lebt es sich in der Corona-Krise
Sein Wecker heißt Diego, ist sechs Jahre alt und ein schwarzer Labradormischling, den Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer (68) aus dem Tierheim hat. Diego ist der beste Freund des ehemaligen BMW-Rennleiters aus der Schweiz. Immer gegen acht Uhr am Morgen schleckt er sein Herrchen ab, um zu zeigen: „Wache auf, Alter, der Tag ist jung, die Sonne scheint. Ich muss jetzt mal raus.“
Diego ist eines der wenigen Lebenswesen, die Vorteile haben, weil es das Corona-Virus gibt. „Nie zuvor war ich länger an einem Stück zu Hause und konnte mich Tag und Nacht mit ihm beschäftigen“, sagt Surer, „ihm gefallen die drastischen Beschränkungen.“
Und die sind in Spanien in der Tat gewaltig. Surer wohnt schon seit Jahren in Javeja, einem kleinen Örtchen an der Costa Blanca südlich von Valencia. „Du darfst überhaupt nicht auf die Straße“, so der Wahlspanier, „nur zum Nötigsten wie zum Einkaufen. Aber du darfst nur alleine im Auto sein. Ich nehme Diego überall hin mit, der zählt ja nicht als Person. Du musst auf jeden Fall der Polizei beweisen, dass du zum Supermarkt fährst. Am besten hast du deshalb immer einen Einkaufszettel dabei.“
Die Polizei sei omnipräsent. Sie kontrolliere überall, es gebe lange Staus wegen der Kontrollen. Und besonders die Guardia Zivil greife gnadenlos durch. Bis zu 60.000 Euro Bußgeld kann es in Spanien gegen Verstöße der Corona-Verbote geben. Surer: „Die örtliche Polizei handelt mit Augenmaß, weist höflich darauf hin, dass gerade jemand gegen Auflagen verstößt. Die Guardia Zivil aber lässt nichts gelten. Eine Bekannte von mir bekam eine Anzeige, als sie nach dem Einkaufen angehalten wurde. Die Einkaufstüten reichten nicht als Beweis, dass sie gerade im Supermarkt war. Dummerweise hatte sie die Quittung vergessen. Nur diese wollten die Staatspolizisten aber anerkennen.“
Die drastische Freiheitsbeschränkung erinnert Surer an die Energiekrise in den siebziger Jahren. Damals gab es autofreie Sonntage und Rennen wurden abgesagt. Surer: „Auch wenn man die Pandemie von heute kaum mit der Situation von damals vergleichen kann – als junger, aufstrebender Rennfahrer fühlte ich mich damals natürlich extrem betroffen.“
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Heute ist er wesentlich entspannter. „Wenn ich jammere, dann auf hohem Niveau. Ich habe ein Anwesen mit 2,5 Hektar Fläche. Da kann ich mit Diego Gassi gehen, ohne dass man sich eingeengt fühlt. Aber Leute mit kleinen Wohnungen haben gerade ein richtiges Problem. Und besonders die Menschen, die im Moment auf den Intensivstationen liegen. An sie muss man denken. Um sie muss man sich kümmern.“
Denn Spanier seien es gewöhnt, raus zu gehen, sich in den Cafés und Kneipen zu treffen. Ihr Leben findet auf den Straßen statt. Allein: Surer macht aus der allgemeinen Not eine Tugend. Neben Diego leben noch elf Pferde und eine Pferdepflegerin dort. „Wenn mich Diego geweckt hat, lebe ich wie ein Einsiedler in den Tag hinein. Ich gehe erst mal mit Diego spazieren. Dann mache ich Dinge, die ich eigentlich schon immer hätte machen sollen. Ich spalte stundenlang Holz, mit einer Maschine. Dann räume ich den Pferdemist mit einer Schubkarre weg, putze die Pferde und versuche ihnen irgendwie ein wenig Bewegung zu verschaffen.“
Denn zum Reiten kommt der passionierte Pferdesportler derzeit nicht. Surer: „Reiten ist genauso verboten wie Fahrradfahren. Das Unfallrisiko ist zu groß. Und um sich um Unfallopfer zu kümmern, reichen die Kapazitäten momentan nicht aus in den Krankenhäusern.“
Eine Stunde, so gegen die Mittagszeit, skypt er jeden Tag mit Ehefrau Sylvia. Die Argentinierin ist Schriftstellerin, die es mit ihrem ersten Roman gleich in die Bestsellerliste ihres Heimatlandes geschafft hat. Corona hat die beiden getrennt. Die Ehefrau flog ausgerechnet nach Buenos Aires, als die Regierungen verschärfte Maßnahme anordneten. Da sie aus Europa kam, musste sie erst mal 14 Tage in häusliche Quarantäne. Surer: „Die ist jetzt vorbei, aber es besteht auch in Argentinien eine strenge Ausgangssperre. Doch Sylvia ist optimistisch, denkt immer positiv, versucht immer, das beste aus einer Situation zu machen, die nicht zu ändern ist. Ein Schriftsteller träumt doch irgendwie immer davon, ungestört zu sein. Das nutzt sie jetzt.“
Trotzdem hoffen beide, dass sie so schnell wie möglich zurück an die Costa Blanca kann. Denn sie macht sich Sorgen um ihren Mann und wäre lieber bei ihm. Hintergrund: Surer gehört zu Zeiten des noch unbesiegbaren Virus zur Risikogruppe, weil er bei einem schweren Rallyeunfall 1986 vielleicht zu lange in einem brennenden Auto saß. Surer: „Mein Arzt sagte mir, dass meine Lunge ähnlich wie bei Niki Lauda vorbelastet ist. Ich beruhige aber meine Frau und sage, dass ich besondere Vorsicht walten lasse.“
Der Schweizer geht deshalb nie ohne Atemmaske und Handschuhe zum Supermarkt. Surer: „Ich wasche sogar alle Einkäufe mit Spülmittel ab, bevor ich sie einräume. Ich gehe auch nie mit Schuhen ins Haus, sondern lasse sie vor dem Eingang stehen.“ Den Grund hierfür hat ihm ein chinesischer Arzt geliefert. „Er hat mir vor Augen geführt, was Schuhe alles an Bakterien und Viren auf der Straße aufsammeln können. In Japan ist es übrigens deshalb schon lange üblich, die Schuhe auszuziehen. Sie waren uns in Hygienefragen also auch vor Corona deutlich voraus.“
Dass Surer im Moment keine Einnahmen hat, beunruhigt ihn dagegen nicht. Er arbeitet als Formel-1-Experte für das Schweizer Fernsehen, hat einen Vertrag für zehn Rennen – die aber vielleicht nicht stattfinden. „Erstens ist das Schweizer Fernsehen flexibel, zweitens habe ich Rücklagen.“ erklärt der Schweizer. „Um mich muss man sich keine Gedanken machen. Lieber um die, denen es nicht so gut geht.“