Unser Tracktester Martin Westerhoff zu Gast im Cockpit des Rasse-Elfer! So fährt sich das Monster aus der Sportwagen-WM.
Ein Trupp von vier Ingenieuren schart sich um den rot-weißen, pausbackigen Porsche 911 RSR, Modelljahr 2019. Dreimal hintereinander rasselt der Anlasser ein paar Sekunden lang. Dann folgt trügerische Ruhe. „Fünf Sekunden!“, ruft Alexander Stehlig, Einsatzleiter Langstrecken-WM (WEC) bei Porsche. Kollektiv halten sich seine Kollegen die Ohren zu.
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Der 4,2-Liter-Sechszylinder-Boxermotor, der knapp vor der Hinterachse kauernd auf seinen Einsatz wartet, hat nun ausreichend Öldruck. Ein Klick am Laptop, die Benzinpumpe schaltet sich zu – und das Biest erwacht grummelnd zum Leben. Kein Turbolader, kein Downsizing, kein Hybrid – dieser Rasse-Elfer setzt ganz auf alte Schule.
Immer wieder kläfft der Saugmotor harsch auf. Und ich, der F1-Insider.com-Reporter, sitze am Steuer eines der originalen Einsatzwagen des 24-Stunden-Rennens von Le Mans 2020. Ohrstöpsel im Gehörgang, mit dickem Tape auf den Ohren festgeklebtes Dämm-Material und der Helm zeigen Wirkung. Die ist auch dringend gefragt: Beide Zylinderbänke dürfen frei ausatmen. Vom Krümmer geht es an jeder Fahrzeugseite in ein kurzes, aber dickes Auspuffrohr – das direkt seitlich vor dem Hinterrad ins Freie lugt.
Wenig später rolle ich mit 60 km/h die Boxengasse des Autodromo Vallelunga vor den Toren Roms herunter – im ersten Gang, wohlgemerkt. Ziehe kurz vor der grünen Ampel noch einmal an den dicken Hosenträgergurten, die mich in den engen Schalensitz drücken. Mein Blick schweift über das mit 22 Schaltern und Knöpfen übersäte ovale Lenkrad. Ein Druck mit dem Daumen der rechten Hand auf den „Pit“-Knopf – der Geschwindigkeitsbegrenzer ist deakti… Wrooom! Die Drehzahl schnellt hoch, mein Kopf knallt nach hinten. Die roten Schaltlämpchen am oberen Lenkradrand blitzen kurz vor dem Drehzahllimit auf.
Das liegt je nach Gang zwischen 8000 und 8400 Touren. Reflexartig ziehe ich an der rechten Schalt-wippe. Auch wenn der RSR reglementbedingt sogar 5 PS weniger hat als sein Serienbruder, der Porsche 911 GT3 RS, haben seine 515 PS mit nur 1245 Kilogramm Basisgewicht leichtes Spiel. Sämtliche Anbauteile der Karosserie bestehen aus Carbon. Aber die Längsbeschleunigung ist nicht einmal das, was diesen Rennwagen der GTE-Kategorie wirklich ausmacht.
Im fünften Gang schieße ich auf die Cimini-Passage zu. Das sind zwei aufeinander folgende Rechtskurven, die sich fast wie die Steilkurve eines Ovals in den Hang schneiden. Den Fuß vom Gas und aufs überdimensionale Bremspedal gestemmt, beißen sich die Rennbremsbeläge unter dem Druck von Sechs-Kolben-Festsätteln in die 390-Millimeter-Bremsscheiben an der Vorderachse. Hinten tun Vier-Kolben-Festsättel an 355-Millimeter-Bremsscheiben ihr Übriges.
Während 1,7 g, also mehr als die anderthalbfache Erdanziehungskraft, meinen Oberkörper tief in die Gurte presst, schalte ich im Sekundentakt an der linken Schaltwippe runter. Ohne spürbares Eintauchen folgt der Elfer stoisch dem Lenkbefehl. Im Steuer spüre ich jede Unebenheit, die Rückmeldung ist direkt und ungefiltert. Dank Servo-Unterstützung geht das Lenken dennoch überraschend leicht.
Grip hat er dabei satt: Die Michelin-Slicks kleben auf dem Asphalt, die Aerodynamik von Karosserie und Unterboden sorgt für Anpressdruck. Das Resultat: 1,9 g Querbeschleunigung. Fühlt sich irre an, als hätte sich das Auto irgendwo eingehakt.
Maximal 240 km/h erreiche ich im sechsten und höchsten Gang. Mehr als 300 km/h wären ohne Restriktor und mit anderem Setup auf einer längeren Geraden möglich. Als ich glaube, das in Weissach konstruierte Biest im Griff zu haben, blockiert das rechte Vorderrad beim Anbremsen. Weil die Geschwindigkeit und somit der Anpressdruck an dieser Stelle während des Bremsens so stark nachlassen, hätte ich das Pedal allmählich zurücknehmen müssen. ABS? Fehlanzeige.
Genauso wenig wie ein elektronisches Stabilisierungsprogramm. Mit den rechten Rädern komme ich auf den lackierten Curb. Zu früh gebe ich Gas. Trotz Traktionskontrolle schwänzelt das Heck, habe ich Mühe, den RSR durch schnelles Gegenlenken einzufangen.
Wer’s übertreibt, bekommt sofort die Quittung. Zeit, das Renncockpit wieder den Profis zu überlassen.
Motor:
Wassergekühlter 6-Zylinder-Boxermotor, Anordnung vor der Hinterachse
Hubraum 4.194 cm³
Hub 81,5 mm
Bohrung 104,5 mm
Ca. 378 kW (515 PS), je nach Restriktor
4-Ventil-Technik
Benzindirekteinspritzung (DFI)
Trockensumpfschmierung
Einmassenschwungrad
Leistungsbegrenzung über Restriktor
E-Gas
Seitliche Abgasanlage
Gewicht/Maße:
2.042 mm (Vorderachse) / 2.050 mm (Hinterachse)
Länge 4.593 mm (ohne Splitter, Heckflügel, Diffusor)
Radstand 2.513 mm
Gewicht ca. 1.245 kg
Mehr technische Daten gibt’s hier:
Hinweis: Der Tracktest fand im Jahr 2020 statt.
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