Nico Rosberg ist der letzte Fahrer, der Lewis Hamilton in der WM schlagen konnte. Jetzt tritt er in der Extreme E gegen ihn an. Im exklusiven Interview mit F1-Insider.com spricht Rosberg über sein neues Leben als Teamchef, über die Ähnlichkeiten mit Mick Schumacher und seinen WM-Kampf gegen Hamilton.
Nico Rosberg, Sie sind Formel-1-Weltmeister, und wie es scheint, bald auch Extreme-E-Champion. Wie fühlen Sie sich nach fast einer Saison als Teamchef?
Gut! Die andere Seite zu erleben ist toll. Mit am spannendsten ist es mit den Fahrern umzugehen. Das kann ich, weil ich natürlich selbst mal Fahrer war. Man kann einem Rennfahrer nicht sagen, was er machen soll, das funktioniert einfach nicht (lacht). Stattdessen muss man versuchen, den Fahrer durchs Stellen der richtigen Fragen zu beeinflussen.
Ihr Team ist eine der professionellsten Mannschaften der Extreme E. Ist das auf Ihre Formel-1-Erfahrungen zurückzuführen?
Auf jeden Fall. Es kommt zum Teil aber auch vom Team Rosberg, das ja in der DTM ebenfalls schon auf hohem Niveau mit René Rast gearbeitet hat. Der Schlüssel ist akribische Detailarbeit, um Probleme zu vermeiden, bevor sie entstehen. Denn 80 Prozent der Probleme hier sind vermeidbar.
Zuletzt hat Ihr Team mit den Fahrern Johann Kristofferson und Molly Taylor auch auf Sardinien wieder gewonnen. Mit drei Saisonsiegen liegen Sie ein Rennen vor Schluss 16 Punkte vor Lewis Hamiltons Team X44.
Das ist echt genial, denn es war ein heftiges Wochenende auf Sardinien, die Strecke technisch sehr schwierig. Wir haben im Qualifying einen Überschlag und einen Plattfuß gehabt und sind trotzdem Zweiter gewesen. Im Finale hatten wir keinen idealen Start, sind aber sauber mit schönem Speed gefahren. Das macht mich stolz.
Ist das Konzept der Extreme E bisher aufgegangen?
Wir haben sehr spannende Rennen erlebt. Das muss die Basis sein. Dazu kommt das Thema Umwelt, auf das sich auch der Motorsport konzentrieren muss. Auf Sardinien haben wir Familien besucht, die stark unter dem größten Waldbrand in der Geschichte der Insel gelitten haben. Eine Familie beispielsweise hat alles verloren. Da gibt es keine Pflanze, kein Tier mehr – die komplette Lebensgrundlage, einfach weg. Da versuchen wir zu unterstützen. Und das mit Rennsport kombinieren zu können, ist einfach schön.
Trotzdem: Sind Motorsport und Umweltschutz nicht eigentlich ein Widerspruch?
Hier nicht. Wir machen auf die Probleme unseres Planeten aufmerksam, helfen vor Ort und fahren emissionsfrei Rennen. Die Energie für die Elektromotoren der SUV wird mit Wasserstoffgeneratoren vor Ort erzeugt. Die Logistik ist reduziert, weil wir mit einem Schiff reisen. Und: Mit Serien wie der Extreme E zeigen wir, wie cool Elektromobilität ist. Für eine nachhaltige Zukunft geht es nicht darum, Technologie abzuschaffen, sondern sie mit neuer Technologie zu verbessern. Dabei hilft auch der Motorsport.
Das Thema Umwelt steht derzeit grundsätzlich im Fokus. Auch Sebastian Vettel hat sich für ein Tempolimit ausgesprochen. Wie sehen Sie das?
Tendenziell versuche ich eher, Verbote zu vermeiden und die Themen über Innovationen anzugehen. Statt eines generellen Tempolimits könnte man versuchen, das Ganze über digitale Verkehrsführung zu managen. Wenn die Autobahn voll ist, wäre ein Tempolimit sinnvoll. Ist die Fahrbahn leer, spricht nichts gegen freie Fahrt, insbesondere wenn man elektrisch unterwegs ist. Mit solchen Kompromissen können sich die Menschen besser anfreunden – und es hilft auch!
Was halten Sie davon, dass Lewis Hamilton, Vettel und zum Teil auch Alonso sich für Themen wie Klimaschutz und Gleichberechtigung einsetzen?
Ich finde das gut, denn dafür stehen wir ja auch in der Extreme E. Wir nutzen den Sport als Plattform und beispielsweise auch den Wettkampf zwischen den Teams von Lewis und mir, um Aufmerksamkeit zu generieren und so soziale und ökologische Probleme zu lösen.
Könnte und müsste die Formel 1 selbst da noch mehr machen?
Die Formel 1 befindet sich auf einem guten Weg, auch wenn sie längst weiter sein könnte. Trotzdem: Bald auf synthetische Kraftstoffe umzusteigen, sendet die richtige Botschaft. Sie haben außerdem Plastik aus dem Fahrerlager verbannt. Das spart pro Saison eine Million Plastikflaschen. Die Richtung stimmt.
Und wen sehen Sie im WM-Duell vorne?
Das ist eine sensationell enge Kiste! Gefühlsmäßig sage ich Lewis. Für ihn spricht seine Erfahrung. Aber die WM ist total offen.
Sie haben Hamilton 2016 aufgrund extremer mentaler Stärke geschlagen. Kann das auch Verstappens Erfolgsrezept werden?
Max macht das wirklich superstark. Das Mentale ist in so einem Duell essentiell. Für Max ist das sicher nicht einfach, denn er ist das erste Mal in so einer Situation. Und dann auch noch gegen den erfolgreichsten Formel-1-Fahrer aller Zeiten. Insofern hat er schon jetzt größte Anerkennung verdient.
Sie wissen es aus eigener Erfahrung: Wie kann man Hamilton schlagen?
Man muss ausnutzen, wenn Lewis seine Schwäche-Phasen hat, in denen er ein wenig die Motivation, den Kopf verliert. Dann heißt es: volle Attacke! Soll heißen: Man muss dann die maximal mögliche Punktzahl holen, denn Lewis darf man nie abschreiben. Der kommt immer wieder zurück.
Sie sind nicht nur gegen den siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton bei Mercedes gefahren, sondern auch gegen Michael Schumacher. Wer hatte welche Tricks und Kniffe?
Lewis ist ein Naturtalent, sehr instinktgetrieben. Michael war ein Arbeitstier, hat in jedem Bereich jeden Stein umgedreht. Phänomenal.
Mit wem waren die Psychospielchen schwieriger?
Auch Michael hat mentale Spielchen getrieben, Lewis ist politisch aber noch cleverer und nutzt alle Möglichkeiten für sich. Wer mich hier in der Extreme E an diese mentale Kriegermentalität eines Lewis Hamilton erinnert, ist unser Fahrer Johan Kristofferson. Der ist ein richtiges Psycho-Tier.
Wie schlägt sich Mick Schumacher aus Ihrer Sicht eines anderen Sohns eines Ex-Weltmeisters?
Mick managt das sehr gut, geht super mit dem Druck um. Er genießt das Ganze offenbar, das ist schön zu sehen. Er ist aber auch in einer guten Situation: Er hat keinen gigantischen Teamkollegen und auch keine Erwartungen zu erfüllen, weil er im langsamsten Auto sitzt. Trotzdem: Er macht das alles super und verdient es absolut, in der Formel 1 zu sein. Er verdient auch ein besseres Auto. Ich bin gespannt auf den nächsten Schritt.
Hat er Weltmeisterpotential? Aus deutscher Sicht ist er ja die große Hoffnung...
…da müssen wir einfach abwarten. Bei Mick wird es etappenmäßig ablaufen, immer Schritt für Schritt, ohne etwas zu überstürzen. Und das ist auch gut so.
Inwiefern erkennen Sie in Mick seinen Vater wieder?
Optisch natürlich. Ich glaube aber, der Charakter ist anders. Er hat ein bisschen weniger die Kriegermentalität, ist sensibler, durchdachter und vernünftiger. So war es auch bei mir und meinem Vater. Im WM-Kampf habe ich mich dann verändert, aber zu meinen Anfangsjahren sehe ich da Ähnlichkeiten zwischen Mick und mir.
Die nette Seite kann man also abstellen, wenn es drauf ankommt?
Man kann sich extrem viel Mühe geben, um eine gewisse Aggressivität reinzubringen. Aber das hat mich zehn Jahre Arbeit mit einem Mentalcoach gekostet (lacht).
Wie oft denken Sie an das Jahr 2016 zurück – und wie hart Ihr Meisterjahr gegen Hamilton?
Sehr oft! Jedes Mal wenn ich Lewis gewinnen sehe – der ja jetzt 100 Siege hat – wird es klarer, warum es für mich nicht ganz so einfach war ihn zu schlagen…
Trotzdem: Sie sind der einzige Fahrer, der als Teamkollege Michael Schumacher und Lewis Hamilton besiegen konnte.
Vielleicht bin ich ja „The GOAT“ (Greatest of all times, d. Red.) (lacht). Das war natürlich nur ein Scherz! Das habe ich letztens im Internet gelesen, da hat sich in den Kommentaren jemand einen Scherz erlaubt. Natürlich ist es eine tolle Geschichte, dass ich beide als Teamkollege geschlagen habe. Schon verrückt eigentlich… Zu früh aufgehört habe ich aber nicht!
Zwischen Spa 2014 und Mexiko 2015 waren Sie im Duell gegen Hamilton quasi abgetaucht, dann kamen sie umso stärker zurück. Was ist da passiert?
Nach Spa (und der Kollision mit Hamilton sowie der Schelte durch Ex-Aufsichtsrat Niki Lauda; d. Red.) war es mental eine schwierige Situation. In Austin ebenso (als Hamilton zum zweiten Mal Mercedes-Weltmeister wurde und Rosberg am Start abgedrängt hat; d. Red.). Das waren aber beides Situationen, die mich zu einem besseren Fahrer gemacht haben. Da gibt es zwei Wege. Entweder du steckst den Kopf in den Sand, oder du siehst die Herausforderung als Chance. Das habe ich auch in meinem Mentalcoaching gelernt, dass ich das Versagen als Chance sehe, um wie eine Kanone nach vorne zu schießen.
In Abu Dhabi 2016 hat Hamilton im WM-Finale noch einmal sein ganzes Können gezeigt, als er so langsam machte, dass Sie beinahe überholt wurden.
Schlimmer waren die Runden hinter Max Verstappen. Als mir mein Renningenieur ins Ohr sagte: „Du musst ihn jetzt überholen, sonst kannst du die Meisterschaft verlieren!“ Da dachte ich: Oje, ausgerechnet Max, auf einer Strecke, auf der Überholen extrem schwierig ist. Aber ich habe es getan.
Toto Wolff sagte zuletzt, rückblickend würde er mit dem Teamduell zwischen Ihnen und Hamilton anders umgehen.
Die ganze Situation war sehr kompliziert und schwierig. Im Großen und Ganzen hat Toto das aber schon sehr gut gemacht. Er hatte damals eine wichtige Message von Alain Prost: Entscheide dich niemals für eine Seite, bleib neutral! Das hat Prost ihm geraten. Das hat er auch so gut ging durchgezogen.
FOLGT UNS AUF YOUTUBE!
Das ist F1-Insider.com