Vorm Saisonstart der Formel 1 in Melbourne spricht Formel-1-Sportchef Ross Brawn über Ferrari, Mercedes, die neuen Regeln und Elektroantriebe.
Formel-1-Sportchef Ross Brawn bittet eine exklusive Gruppe von Journalisten zum Gespräch. AUTO BILD MOTORSPORT ist dabei.
Herr Brawn, am 17. März startet die neue Formel-1-Saison in Melbourne. Wer ist Ihr Favorit?
Ferrari sah von Anfang an gut aus, hatte zuletzt aber Zuverlässigkeitsprobleme, die sie überwinden müssen. Ich habe dort ein wenig Zeit in der Garage verbracht: Die Atmosphäre ist gut und ruhig. Man arbeitet konstruktiv. Ich kenne Mattia Binotto (den neuen Teamchef; d. Red.) ja sehr gut. Er ist ein Ingenieur, wie ich, arbeitet sehr strukturiert und sieht die Dinge pragmatisch. Wir werden eine neue Ruhe bei Ferrari erleben.
Und Mercedes?
Mercedes schien bei den Tests ein bisschen neben der Spur. Es ist aber ein starkes Team mit klugen Köpfen, die wissen, was sie zu tun haben. Was mich erfreut hat, war die Zuverlässigkeit und Performance von Honda. Sie scheinen sich stark verbessert zu haben. Dahinter kommt ein faszinierendes Mittelfeld, das immer noch einen Rückstand hat, aber dichter dran ist an der Spitze.
Sebastian Vettel fährt jetzt seine fünfte Saison – in der Michael Schumacher damals endlich Weltmeister mit Ferrari wurde. Kann Vettel das auch schaffen?
Ganz sicher kann Sebastian die WM gewinnen. Das Team war letztes Jahr ein bisschen in Unordnung, nachdem Sergio Marchionne gestorben war. Ganz klar gab es auch Spannungen zwischen Maurizio Arrivabene (Ex-Teamchef; d. Red.) und Mattia Binotto. Das war also kein einfaches Umfeld, obwohl das Auto gut war. Aber wenn du Lewis Hamiltonund Mercedes schlagen willst, muss alles perfekt sein. Ich habe aber das Gefühl, dass Ferrari dahingehend in diesem Jahr besser aufgestellt ist. Die neue Ruhe wird auch Sebastian helfen und stärken. Das interessante Element wird Charles Leclerc und wie das Team die Situation zwischen den beiden Fahrern managt.
Ross Brawn mit Michael Schumacher bei Ferrari.Auch Mick Schumacher ist bereits im Ferrari-Juniorprogramm. Was bedeutet das für Sie, der ja mit seinem Vater allein bei Ferrari fünf WM-Titel gewonnen hat?
Ich kenne Mick, seit er ein kleiner Junge ist. Es gab eine Phase, da war er nicht sicher, was er machen will. Jetzt hat er das Messer aber zwischen den Zähnen. Er ist ein sehr zielstrebiger junger Mann und es ist faszinierend, wie er letztes Jahr von einem Moment auf den anderen konkurrenzfähig wurde. Das sah man auch beim ersten Formel-2-Test (Mick war Schnellster; d. Red.). Leute, die mehr Zeit mit ihm verbringen als ich, sagen: In den letzten zwölf Monaten hat er einen unheimlichen Schritt gemacht. Er ist ein sehr netter junger Mann. So zu bleiben, wird eine seiner größten Herausforderungen. Ich glaube aber, er schafft das. Er hat ein gutes Umfeld, das solche Situationen von Michael kennt. Immer wenn ich Mick sehe, erkenne ich Michael in ihm. Es wäre wundervoll, wenn er weiter Erfolg hätte. Aber der Druck auf ihn ist groß. Ich hoffe, dass die Leute die Perspektive nicht verlieren und keine unrealistischen Erwartungen auf ihn projizieren.
Sein Vater Michael Schumacher ist sieben Mal Weltmeister geworden, Lewis Hamilton steht jetzt bei fünf Titeln. Wie konnte Michael damals seine Motivation aufrechterhalten?
Michael hat nie nachgelassen. Selbst in den zwei Jahren, als er nicht mehr Weltmeister wurde, fuhr er auf extrem hohem Niveau. Erst ganz am Ende seiner Ferrari-Jahre wurde er etwas müde und brauchte eine Auszeit. Vorher konnte ich ihn jederzeit anrufen und fragen, ob er morgen zum Testen kommen könnte. Die Antwort war stets: Wann? Das war sein Job, seine Leidenschaft, die er lebte. Da gab es keinen Unterschied, ob er um den sechsten oder siebten Titel kämpfte.
Sie haben für 2019 neue Aerodynamikregeln eingeführt, die das Überholen erleichtern sollen. Wie sieht da das Feedback der Teams aus?
Gemischt. Das beste Feedback war: Die neue Aero macht einen Riesenunterschied. Das schlechteste: Es hat sich nichts geändert. Wir müssen aber erst mal abwarten, wie es ist, wenn mehrere Autos im Rennen hintereinanderfahren. Und wir wissen auch: Dies ist noch nicht die ganze Lösung, nur ein Schritt in Richtung 2021.
Sie sprechen es an. Ihr Hauptjob ist es derzeit, die Zeit nach 2021 vorzubereiten, wenn das Concorde Agreement ausläuft. Zuletzt hatte man immer wieder das Gefühl, es hakt. Wieweit sind Sie wirklich?
Es ist schwierig, zehn Teams hinsichtlich der Regelfindung, der Budgetgrenze, der Geldverteilung auf einen Nenner zu bringen. Das braucht Zeit, wir machen aber Fortschritte. Enorme Fortschritte. Aber die Themen sind zu komplex, als dass man den Teams einfach etwas vorsetzen könnte. Es wäre naiv zu glauben, dass so etwas – zum Beispiel bei der Geldverteilung – funktionieren könnte. Diejenigen, die viel haben, wollen das behalten. Die anderen wollen mehr. Das sind harte Diskussionen, das wissen wir auch. Wir müssen eine faire Balance schaffen, denn wenn die Gelder besser verteilt sind, wird auch der Sport besser. In anderen Bereichen sind wir schon sehr weit, zum Beispiel bei den aerodynamischen Veränderungen. Klar ist auch, dass die Strategiegruppe nicht mehr nur aus sechs, sondern aus allen Teams bestehen wird. Gut ist: Die FIA zieht mit uns an einem Strang. Was die technischen Regeln angeht, setzt der Sporting Code die Deadline sowieso Mitte des Jahres.
Ferrari bekommt derzeit den größten Bonus. Wie wollen Sie denen klar machen, dass das nicht mehr zeitgemäß ist?
Ich bin optimistisch, dass das aktuelle Management bei Ferrari erkennt, wie wichtig es für die Formel 1 ist, dass die Teams gleichberechtigt behandelt werden. Es kann nicht sein, dass es eine Gruppe von Teams gibt, die Letzter werden könnten – und immer noch mehr verdienen würden als der Weltmeister. Trotzdem müssen wir – zum Beispiel im Fall von Ferrari – das Erbe der Marke und seine Geschichte in der Formel 1 honorieren. Ferrari ist speziell. Die anderen Teams müssen verstehen, dass Ferrari mit Respekt behandelt werden muss. Die Balance muss aber stimmen. Denn wir werden nie neue Teams und Hersteller anziehen, wenn es nicht auch finanziell attraktiv ist in der Formel 1 zu gewinnen. Ich denke, auch Ferrari hat das erkannt.
Die Formel E boomt, Elektroantriebe sind in. Inwiefern wird sich das auf die Formel 1 auswirken?
Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung. Niemand weiß doch, wo die Autoindustrie in fünf Jahren stehen wird. Ja, es gibt einen großen Enthusiasmus für E-Autos. Aber ihre Umweltverschmutzung ist immer noch genauso groß wie die eines mittelgroßen Benziners. Denn der Strom muss ja irgendwo generiert werden. Und derzeit erzeugen wir den Strom nur zum Teil aus erneuerbaren Energien. Wie verlagern die Verschmutzung also lediglich aus dem Zentrum der Städte zu den Kraftwerken in ihr Umfeld. Für mich ist die Entwicklung der Verbrennungsmotoren auch noch nicht am Ende angelangt und ich glaube fest daran, dass man wieder auf diesen Weg zurückkehren wird. Wenn sich der große Enthusiasmus für Elektroautos gelegt hat, werden wir sehen, ob sie die Lösung sind oder nur ein Teil davon. Für die Formel 1 steht fest: Wie müssen die schnellste, stärkste und spektakulärste Rennserie sein. Im Moment ist das am besten mit Hybridpower zu erreichen. Die FIA hat aber schon eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit dem Antrieb der Zukunft befasst.
In England sorgt man sich nicht nur um den Brexit, sondern auch um den auslaufenden Vertrag mit Silverstone. Wird es 2019 den letzten britischen GP geben?
Das glaube ich nicht. Wir wollen einen britischen GP und auch eine Lösung mit Silverstone finden. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Silverstone sich mit Brands Hatch abwechselt. Auch die Idee für ein Rennen in London verfolgen wir. Nicht im Zentrum, das wäre logistisch unmöglich, aber in einem Areal im Umfeld. Das wäre dann der London GP.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT erschienen.