Am Sonntag vor 20 Jahren brach sich Michael Schumacher in Silverstone Schien- und Wadenbein. ABMS und F1-Insider-Reporter Ralf Bach erinnert sich:
Bis zum Rennen in Silverstone, dem Großen Preis von Großbritannien 1999, schien alles noch im grünen Bereich. Diesmal, nachdem Ferrari neuerlich den Rückstand auf McLaren-Mercedes wettgemacht hatte, schien Michael Schumacher auf dem Weg zu seiner dritten Weltmeisterschaft kaum zu stoppen.
Die Saison hatte mit einem Ferrari-Sieg begonnen: Eddie Irvine freilich profitierte in Melbourne vom Ausfall beider McLaren und seines Teamkollegen Michael Schumacher, was den Iren damals nicht daran hinderte, am Playboy-Image zu feilen: Beim abendlichen Siegerfoto hielt er Bierdosen in den Händen und zwei australische Schönheiten in den Armen, was ihn allerdings noch nicht zum seriösen Titelanwärter machte.
Michael Schumacher drehte bereits in Imola und Monaco, wo er triumphierte, den Spieß um. Dazu kamen ein zweiter Platz in Brasilien, ein dritter in Spanien und, nach Problemen mit der Elektronik, ein fünfter in Spanien. Vor Silverstone, dem achten Saisonlauf, also lag der Deutsche in der Gesamtwertung bloß acht Punkte hinter Weltmeister Mika Häkkinen zurück, der bis dahin drei Rennen gewonnen hatte.
Knapp eine Minute nach dem Start traf Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone beinah der Schlag. Zum ersten Mal nach seiner Bypass-Operation drei Wochen zuvor war der 68-Jährige wieder vor Ort – und starrte wie versteinert auf den kleinen Bildschirm im Hospitality-Bus des Österreichers Karl-Heinz Zimmermann, seines persönlichen Formel-1-Wirtes. Ecclestone sah, wie ein roter Wagen ungebremst übers Kiesbett flog. Er beobachtete, wie sich der Ferrari nahezu im rechten Winkel durch die Stapel alter Autoreifen in die dahinterliegende Leitplanke bohrte.
Helfer tragen Schumi hinter Planen vom Wrack wegRennfahrer nennen solche Unfälle „Big Bang“. Und der Betroffene hieß nun, das war auch Bernie Ecclestone sofort klar, Michael Schumacher. Noch auf der Bahre, als man ihn zum Krankenwagen trug, signalisierte er mit Handzeichen, bei Bewusstsein zu sein. Die Diagnose im Krankenhaus von Northampton fiel dennoch niederschmetternd aus: Bruch des Schien- und Wadenbeins.
Der Schock saß tief. Untersuchungen ergaben, dass der Crash auf menschliches Versagen zurückzuführen war, ein Ferrari-Mechaniker vergessen hatte, eine Schraube fest zu ziehen, wodurch Bremsflüssigkeit ausrann und keine Bremswirkung mehr vorhanden war.
Nun war Michael Schumachers Frau Corinna gefordert. „Sie machte eine schwere Zeit durch, als ich wochenlang auf dem Sofa lag und mein Bein nicht den Wünschen meines Kopfes folgte“, erinnert sich der damals 32-Jährige, der schließlich drei Monate lang zur Untätigkeit gezwungen war.
„Ich wollte aufstehen, mich bewegen, trainieren. Für ein Leben auf dem Sofa bin ich nicht geschaffen.“Andererseits, so Schumacher rückblickend, sei es auch schön gewesen, „plötzlich soviel Zeit für die Familie zu haben, ein ganz normaler Familienvater zu sein“.
Dennoch packte ihn mit Fortdauer der Formel-1-Abstinenz die Unruhe, „die mir sagte: Du musst jetzt trainieren, damit du so schnell wie möglich wieder fit wirst.“ Und er tat des Guten zu viel: Zwei Comebackversuche mussten aufgrund von Komplikationen abgeblasen werden.
„Ich lernte, dass man nichts erzwingen kann. Weder privat, noch im Beruf. Also stellte ich mein Training um.“In Malaysia, beim vorletzten Rennen der Saison, kehrte er schließlich an seinen Arbeitsplatz im Ferrari zurück.
Und er dominierte das Geschehen auf Anhieb, schenkte Eddie Irvine letztlich den Sieg, der jedoch erst eine Woche später feststand: Die Rennkommissare hatten um fünf Millimeter zu große Windabweiser festgestellt, wurden dann aber von den Richter der Obersten Automobilbehörde (FIA), die den Fachleuten eine falsche Messtechnik bescheinigten, eines Besseren belehrt.
Somit lag Irvine vor dem Finale in Suzuka in der WM vier Punkte vor Häkkinen. Aber der Finne konterte, triumphierte in Japan vor Michael Schumacher, der zumindest seinen Teil dazu beitrug, dass Ferrari den Konstrukteurstitel einheimste. Dennoch sah sich der Deutsche in Italien mit dem Vorwurf konfrontiert, Irvine, der in Suzuka mit dem dritten Platz vorlieb nehmen musste, nicht ausreichend unterstützt zu haben. Schumachers Antwort:
„Eddie hatte es selbst in der Hand. Er hätte nur schneller fahren müssen. Mika war einfach zu stark.“
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.