Großer Zoff bei Ferrari in Russland. Das Stallduell zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc droht zu eskalieren. Das sagen die Experten:
Nach dem GP von Russland ist eins bei Ferrari klar: Sebastian Vettel (32) und Teamkollege Charles Leclerc (21) werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Nach dem Rennen in Monza und Singapur gab es in Sotschi das dritte Mal ernsthafte Differenzen zwischen den zwei Kampfhähnen mit dem Alphatier-Gen.
Zur Erinnerung: In Monza verweigerte Leclerc dem Deutschen den entscheidenden Windschatten im Qualifying, der ihn statt des Monegassen zur Pole Position geführt hätte. Die Folge: Leclerc, auf Pole, gewann Start und Rennen. Vettel, extrem sauer, riskierte zu viel und drehte sich aus den Punkten.
In Singapur kam Vettel durch einen früheren Boxenstopp vor Leclerc und gewann souverän. Der Monegasse moserte am Funk, beschwerte sich über den Undercut – obwohl ER es war, der in den entscheidenden Runden langsamer als gefordert fuhr.In Sotschi sollte Pole-Mann Leclerc nun dem auf Platz drei gestarteten Deutschen den Windschatten geben, um ihn auf der extrem langen Startgeraden vor den Zweitplatzierten Lewis Hamilton (Mercedes) zu ziehen.
Vettel aber startete besser, als selbst Ferrari es erwartet hat, und überholte nicht nur den Hauptkonkurrenten, sondern auch den aufsässigen Teamkollegen aus Monaco. Danach war er schneller als Leclerc und sah deshalb nicht ein, ihn wieder vorbeizulassen. Also sorgte Ferrari auf eigene Faust für den Platztausch, ließ Vettel mit alten Reifen verhungern und ermöglichte Leclerc so den Undercut.
Vettel fiel anschließend mit Motorschaden aus – kaum auszumalen, was passiert wäre, wenn er dank der Stallorder hinter seinem Teamkollegen als Zweiter auf dem Podium gestanden hätte.
Seine Reaktion nach dem Ausfall war jedenfalls eindeutig: „Ich habe meinen Teil der Absprachen erfüllt. Alles andere wird intern erklärt.“ Der Heppenheimer war sichtlich sauer. Und genau hier beginnt Ferraris Problem.
Fest steht: Das erste Mal in dieser Saison wirkte Teamchef Mattia Binotto überfordert. Der geborene Schweizer mit der jugendlichen Ausstrahlung eines Harry Potters hat seinen Zauber erstmals verloren, den er seit seinem Erscheinen in der neuen Funktion ausgestrahlt hatte.
Er versuchte nach dem Rennen die selbst eingebrockte Niederlage zu erklären, aber seine Worte passten nicht zur gestressten Mimik. „Alles ist ok“, wollte er vermitteln. Man habe kein Problem im Team.
Allein: Es nahm ihm das diesmal niemand mehr ab. Die unparteiischen Experten wurden deutlicher. „Ferrari hat Mercedes den Sieg geschenkt“, analysierte RTL-Experte Christian Danner. „Vettel war im Rennen einfach schneller als Leclerc. Warum sollte er ihn deshalb vorbeilassen. Ferrari hat es versemmelt. Auch ohne Safety-Car, das Mercedes in die Karten spielte, hätten sie Vettels Rennen zerstört.“
Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve stellte fest: „Vettel hat sein Auto fürs Rennen abgestimmt. Er war dort wesentlich schneller. Und man weiß ja, dass im Rennen die Punkte verteilt werden. Ferrari hat jetzt ein ernsthaftes Problem.“
Was der Kanadier meint: In Zukunft kann es nicht mehr gut gehen mit den beiden Kampfhähnen. In Sotschi führte der Machtkampf im Team sogar dazu, dass man einen sicher geglaubten Sieg an Mercedes verschenkte. Der junge Leclerc, der sich der Unterstützung des Teams sicher glaubt, wird bald auf einen Nummer-1-Status pochen.Er verlässt sich dabei auf seinen Manager Nicolas Todt, der Politik im Team macht. Sein Vater Jean, Präsident des Automobilweltverbands FIA und ehemaliger Chef der Scuderia, übt immer noch großen Einfluss auf Ferraris aus.
Zum Nachteil des Deutschen, der bisher auf politische Spielchen verzichtete. „Das ist Sache der Einstellung“, begründete er seine Passivität hinter den Kulissen bei AUTO BILD MOTORSPORT.Für Vettel-Insider wie Red-Bull-Chefberater Helmut Marko steht fest: „Ferrari hat es geschafft, mit dem schnellsten Auto nicht zu gewinnen. Sie haben Sebastian, obwohl er der schnellste Mann war, geopfert.“
Marko deshalb zu ABMS: „Vettel hat bei Ferrari keine Zukunft mehr, das steht für mich jetzt fest.“Die Fans jedenfalls sympathisieren mit dem Deutschen und zeigten Ferrari die rote Karte. Bei der Abstimmung zum „Fahrer des Rennens“ gewann Vettel in Sotschi überlegen.
Er muss jetzt überlegen, wie er bei den letzten fünf Saisonrennen vorgeht und ob er sich trotz bestehenden Vertrages noch eine Ferrari-Saison 2020 antut. Ein Wechsel in ein anderes Team ist nicht möglich. Erst 2021 würden sich für den im Rennen wiedererstarkten vierfachen Weltmeister neue Möglichkeiten ergeben.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.