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Vettel: „Will wieder Biester zähmen“

Vettel and F1-insider.com Ralf Bach. Thanks to Russel Batchelor, xpbimages.com

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Ferrari-Star Sebastian Vettel im Exklusivinterview mit SPORT BILD und AUTO BILD MOTORSPORT über die Krise der Formel 1 und seine neue Liebe Ferrari.

Herr Vettel, Ihre Fahrervereinigung hat eine Fan-Umfrage gestartet. Warum?
Sebastian Vettel (27):  Wir haben uns als Fahrer überlegt, ob die Formel 1 auf einem guten oder einem schlechten Weg ist. Dazu brauchen wir die Meinung der Fans. Wir wollten mal das Heft in die Hand nehmen.
Macht es Ihnen Sorgen, dass immer mehr Fans abschalten? Es geht am Ende ja auch um Ihren Job …
Nicht wirklich. Denn der reine Rückgang der TV-Quoten ist nicht unbedingt repräsentativ. Es gibt heute einfach zu viele Möglichkeiten, die Formel 1 zu verfolgen. Der beste Indikator sind aber die Zuschauer an der Strecke. Und die kommen nicht mehr in der Anzahl, wie das mal der Fall war. Wir haben in diesem Jahr unser Heimrennen in Deutschland verloren. Daran sollten wir uns orientieren, da sollten wir ansetzen. Wa­rum bleiben die Fans weg?

Was hat Sie als kleiner ­Junge an der F1 fasziniert?
Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meinem Vater an einer der langen Waldgeraden in Hockenheim stand und das Kreischen der Motoren schon von Weitem zu hören war. Als ich dann das erste Mal selbst ein Formel-1-Auto fahren durfte, hatte ich – um ehrlich zu sein – Angst. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, es ist immer noch schwer, ein Formel-1-­Auto zu fahren. Aber früher hat man dickere Eier gebraucht.

Würden Sie sich als Fan heute noch Formel-1-Rennen anschauen?
Ich persönlich ja. Weil ich einfach immer noch ein großer Fan des Sports an sich bin. Allerdings sind die Rennen zu kompliziert geworden. Wie soll jemand noch richtig durchblicken, der sich nicht sieben Tage die Woche mit der Formel 1 beschäftigt, wie ich das tue? Und ich gebe zu: Selbst ich verstehe nicht alles. Und, ganz wichtig: Die Tickets sind einfach zu teuer geworden. Wie soll sich ein normaler Familien-Vater einen Besuch an der Rennstrecke noch leisten können?

Die Idee der Grid-Boys in Monaco war wohl auch nicht gerade eine Lösung zum Besseren?
Nicht in meinem Sinne jedenfalls. Es gibt Traditionen, die sollte man lassen. Ich schaue mir persönlich lieber eine schöne Frau vor meinem Auto an als einen Mann. Und ich finde das auch nicht sexistisch. Denn die Grid-Girls machen ihren Job ja freiwillig.

Was machen Sie mit den Ergebnissen der Fan-Umfrage?
Es ist die größte Umfrage, die es jemals im Sport gegeben hat. Es muss deshalb sehr interessant sein für die Strippenzieher der Formel 1 zu erfahren, was nicht passt. Und zu verstehen: Wie tickt der Fan? Bernie Ecclestone ist involviert, und er ist sehr gespannt auf die Ergebnisse. Aber auch die Fia wird von uns informiert.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Wechsel zu Ferrari die Formel 1 zumindest ein klein wenig aus ihrer Krise herausholen konnte?
Ich denke zumindest, es war auch für die Formel 1 im Ganzen sehr positiv. In Deutschland liegt natürlich der Vergleich mit früher nahe, als Michael Schumacher für Ferrari fuhr. Da herrschte große Euphorie. Aber ein wenig spüre ich die jetzt auch noch.

Ist die Ferrari-Fan-Kultur eine andere?
Ja, weil Ferrari eine beson­dere Stellung in der Formel 1 hat. Die Faszination für diese Marke ist etwas ganz Besonderes, etwas ganz Großes. Irgendwie identifizieren sich Ferrari-Fans mehr mit der Marke als die anderen.

Kürzlich hat Ihnen ein weiblicher Fan einfach einen Kuss auf die Wange gedrückt. Auch ein Indiz für die große Liebe zu Rot?
(lacht) Ja, die Leidenschaft ist einfach größer. Aber insbesondere für das Team an sich. Da wird natürlich auch der Fahrer angefeuert, aber das Team steht immer ganz oben in der Prioritätenliste. Nur in England habe ich Ähnliches erlebt, wenn auch kleiner. Dort gibt es wahr­haftig eine eingeschweißte Mc­La­ren-­Fangemeinde. Aber selbst die kann man nicht mit der weltweiten Euphorie vergleichen, die Ferrari auslöst.

Bringt Ihnen die Faszina­tion auch im täglichen Leben was?
Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe gehört, dass Ferrari-­Fahrer mit Autogrammen statt mit Strafzetteln davonkamen. Michael Schumacher und Felipe Massa haben mir da einiges erzählt. Aber heute ist das nicht mehr so. Leider. Ich bin allerdings noch nicht geblitzt worden. Das will ich hier mal festhalten.

Auch Ihnen selbst hat der Wechsel viel gebracht, Sie wirken rundum zufrieden.
Wenn’s gut läuft, bin natürlich auch ich glücklicher. Mit dem ersten Sieg im zweiten Rennen haben wir die Erwartungen übertroffen, und jeder ist bis in die Haarspitzen motiviert, den Rückstand auf Mercedes zu verkürzen.

Sind Sie sich eigentlich manchmal bewusst, was Sie erreicht haben? Der Fan Sebastian Vettel von früher sitzt plötzlich in seinem Traum­auto und gewinnt auch noch Rennen …
Ja, für mich ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen. Dessen bin ich mir bewusst. Schon als Kind ­malte ich mir aus, wie es wohl wäre, in der Formel 1 mit diesem roten Auto zu fahren. Michael Schumacher war halt mein großes Idol – und er fuhr seine großen Erfolge mit Ferrari ein. Aber, halt, stopp: Ich will hier nicht Red Bull vergessen zu erwähnen. Ich gehörte immerhin 15 Jahre oder mehr dem Red-Bull-­Kader an. Aber, trotzdem: Es ist etwas ganz Besonderes, bei Ferrari fahren zu dürfen.

Wären Sie auch ohne Michael Schumachers Erfolge Ferrari-Fan geworden?
Das glaube ich schon. Denn jeder, der eine Faszination für Automobile und speziell für Rennautos hat, muss Fer­rari-Fan sein.

Kann man die Emotion mit der vergleichen, die man für Fußballvereine hat?
Ja. Klammern wir mal Bayern-Fans aus. Aber wer mit Schalke, Dortmund, Stuttgart oder Eintracht-Frankfurt-­Fans spricht, stellt Parallelen fest. Diese Anhänger leben für ihren Klub. Nur: Diese Klubs haben ihre Fans hauptsächlich in Deutschland, während Ferrari seine Anhänger weltweit hat.

Wären Sie kein Fahrer, von welchem Piloten wären Sie dann Fan?
Mir würde Kimi Räikkönen am besten gefallen.

Weil er einfach cool ist?
Auch aus sportlicher Sicht. Er ist ein Riesentalent und lebt für seinen Sport. Mich inte­ressieren keine privaten Dinge, zum Beispiel welche Schuhe jemand trägt. Und Kimi redet nicht viel um den heißen Brei. Das mag ich.

Privates ist bei Ihnen privat. Dafür werden Sie oft kritisiert. Hätten Sie auch als Fan dafür Verständnis?
Ja, wirklich. Mir persönlich ist zum Beispiel völlig egal, was ein Roger Federer für ein Auto fährt oder wie seine Freundin aussieht. Mich faszinieren einzig und alleine seine sportliche Leistungen.

Trotzdem: Was könnten die Formel-1-Piloten noch besser machen für die Fans?
Schwer zu sagen, weil die Formel 1 eine sehr technische Sportart ist. Beim Skifahren verbringen die Athleten ja auch nicht nur Zeit damit, die richtige Linie he­rauszufinden, sondern auch damit, welcher Schuh der richtige ist, welcher Ski? Es ist nicht so, dass wir im Fahrerlager gemütlich in der Sonne liegen. Wir hetzen von einem Termin zum anderen und gehen dann zum Schlafen ins Hotel.

Liegt deshalb nicht in seiner Einfachheit der Erfolg des Fußballs begründet?
Beim Fußball spielt die richtige Ausrüstung keine so große Rolle, das ist wahr. Bei uns ist die Technik so komplex, dass sie fast zu viel Zeit in Anspruch nimmt.

Wäre es nicht ein Traum für jeden Rennfahrer, dass alle Autos gleich sind und nur das Talent über Sieg und Niederlage entscheidet?
Ja und nein. Klar sollte der Schnellste am Ende gewinnen. Aber das Verhältnis zwischen Rennintelligenz, wie also hole ich aus MEINEM Material das Optimum raus, und purem Talent sollte schon stimmen. Genau das ist auch einer unserer Ansatzpunkte: Wir müssen die Autos wieder schneller machen – sei es durch mehr Power, bessere Reifen oder mehr Abtrieb. Es muss wieder eine Herausforderung sein, diese Biester zu zähmen, denn dann trennt sich viel eher die Spreu vom Weizen.

Wie lange müssen die Ferrari-Fans noch auf den ersten Vettel-Titel in dem roten Traumauto warten?
Ohne zu viel zu versprechen: Ich hoffe nicht sehr lange.

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