War es kurzfristige Amnesie? Oder der gute Rotwein im „La Gazelle“, dem neuen Kultrestaurant in Maranello? Wie auch immer: Maurizio Arrivabene steckt mittendrin in den stressigen Vorbereitungen seiner ersten Saison als Ferrari-Teamchef. Da kann man schon mal etwas durcheinanderbringen…
So oder so: Was der an sich echt coole Maurizio – Gott sei seinem Erinnerungsvermögen in diesem Moment selig – während einer Pressekonferenz am Rande der Testfahrten in Barcelona über die Verpflichtung Sebastian Vettels gesagt hat, sorgte zumindest bei mir für mitleidiges Lächeln. Statt uns auf den Arm zu nehmen, hätte am liebsten ich ihn in den Arm genommen, kurz geschüttelt und ihm wohlwollend ins Ohr geflüstert: „Hallo, Maurizio, bitte Aufwachen! Du hast gerade Müll erzählt!“
Folgendes war der kurze Zündaussetzer in dem sonst doch sehr strukturierten Hirn: „Als wir wussten, dass Fernando das Team auf jeden Fall verlassen wird – das war so um Sotschi herum – wollte unser Sponsor Philip Morris (Arrivabene war damals noch dessen Europachef; d. Red.) Sebastian Vettel. Die Situation war unklar, und daher habe ich eine Person angerufen, die ich gut kenne und von der ich wusste, dass sie Sebastian gut kennt. Es war Sabine Kehm. Sie hat dann Sebastian angerufen.“ Ah ja? Frau Kehm also soll Vettel Mitte Oktober zu Ferrari gelockt haben?
Behauptet jedenfalls unser Maurizio: „Sebastian hatte seine Zweifel. Er fragte sie: ‚Wie ist Ferrari? Ich kenne das Team und ihre Arbeitsweise nicht. Sabine hat dann die Atmosphäre beschrieben, die sie zu Michaels Zeit hier vorgefunden hat und gesagt, dass es ein großartiges Team ist, eine Familie. Seb hat zugehört und sagte dann ‚Okay.'“ Toll! Seb hätte dann auch Angela Merkel um Rat fragen können. Denn die kennt die Ferrari-Leute von heute genauso wenig wie Frau Kehm. Schließlich ist bei der Scuderia seit damals kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Alle Entscheidungsträger wechselten, mit ihnen auch Atmosphäre und Arbeitsweise.
Ich weiß, das ich wie ein Klugscheißer rüberkomme und das ist auch gut so. Denn das weiß ich wirklich besser. Hier ist also meine Geschichte über Vettel und Ferrari mit dem Titel: „Rot ist die Farbe der Liebe – Endlich ist zusammengewachsen, was schon längst zusammengehörte!“
Spätestens seit Anfang 2011 glühten die Telefondrähte zwischen Vettel und dem damaligen Teamchef Stefano Domenicali, der den Deutschen UNBEDINGT verpflichten wollte – und zwar so schnell es geht. Der Heppenheimer verlängerte zwar zunächst bei Red Bull, doch der enge Kontakt blieb bestehen. Nach meinen Informationen fanden mindestens ein Geheimtreffen und mehrere Telefonate statt. Vettel versprach dabei nach seiner Red Bull-Karriere definitiv zu Ferrari zu wechseln. Als Domenicali im April 2014 zurücktrat, war der Vierfach-Weltmeister neben Räikkönen und Alonso auch einer der drei Piloten, die der Italiener persönlich von seinem Ferrari-Abschied informierte. Warum wohl?
Jetzt schlug die Stunde von Luca di Montezemolo und Marco Mattiacci. In der Sommerpause 2014 haben sich der Ferrari-Präsident und sein amtierender Rennleiter in Maranello mit Vettel getroffen, um über eine gemeinsame Zukunft zu beraten. Vettel war da schon unglücklich mit seiner Situation bei Red Bull, sprach während des Grand Prix von Ungarn in der Öffentlichkeit immer wieder von Vertragsangeboten.
Beim Großen Preis von Singapur wurde Red Bull unruhig. Der Vettel-Wechsel zu Ferrari lag längst in der Luft. Dem Deutschen fehlte die Unterstützung von seinem alten Team. Die Vertragsverhandlungen mit Ferrari waren bereits weit fortgeschritten. Während des Großen Preises von Japan (also eine Woche vor Sotchi!) wurde der Mega-Transfer öffentlich. F1-insider.com berichtete exklusiv vom Vettel-Wechsel via sportbild.de und wie FIAT-Boss Sergio Marchionne den Vertrag persönlich abgenickt hatte. Daraufhin machte Red Bull den Abschied offiziell.
Später verriet der Hesse, dass er Ende September (also nach dem Grand Prix von Singapur) bei Ferrari unterschrieben habe. Alonso war da immer noch nicht offiziell verabschiedet worden, deshalb musste auch mit Vettels Bekanntgabe bis zum letzten Rennen gewartet werden. In seinem letzten Interview als Ferrari-Teamchef bestätigte mir Mattiacci in Abu Dhabi alles: „Wir haben uns dreimal in Zürich getroffen. Sebastian ist sehr smart, immer geradeheraus, intelligent. Er weiß genau, was er vom Team will. Es hat einfach vom ersten Moment an gepasst.“ Nach dem Gespräch erzählte der Ex-Ferrari-Capo mit einem Augenzwinkern auch von Vettels Labrador, den er in der Schweiz kennengelernt habe. Ein Beweis dafür, dass Mattiacci sogar bei Vettel zu Hause war.
Pech für Mattiacci, dass er ausgerechnet in Abu Dhabi von Fiat-Patriarch Sergio Marchionne in die Wüste geschickt wurde. Er tat mit leid. Denn ICH wusste es, meine Kollegin Bianca Garloff wusste es, Gerhard Berger wusste es, Helmut Marko auch, sogar Vettel erfuhr es durch mich – nur der arme Mattiacci und sein emsiger und treuer Pressesprecher hatten keine Ahnung.
Fakt ist: Ohne Hauptsponsor Marlboro ging bei der Vettel-Verpflichtung natürlich nichts. Wahrscheinlich hat es auch ein Telefonat zwischen Vettel und Schumacher-Managerin Sabine Kehm gegeben. Vielleicht ging es dabei aber eher um die Bambi-Verleihung – Schumacher gewann dort ein goldenes Reh für sein Lebenswerk, Vettel war Laudator. Die Wahrheit ist: Zu Ferrari zu wechseln war Vettels Kindheitstraum. Per Handschlag wurde der Wechsel schon im Gespräch mit Stefano Domenicali fixiert. Endgültig entschieden hat wahrscheinlich Vettels Hund. Der liess sich schliesslich vom damaligen Teamchef streicheln….
Ach ja, zum Glück blieb von Arrivabene doch nicht ganz unerwähnt, dass der „entscheidende Anruf von Sergio Marchionne kam. Er hat Vettel schließlich überzeugt.“ Der FIAT-Boss höchstpersönlich bestätigt in der heutigen Ausgabe der Gazzetta dello Sport denn auch meine Geschichte. Wie er Vettel an Land gezogen habe, wurde er gefragt. Marchionne zupfte kurz an seinem blauen Pullover und antwortete: „Das war ganz einfach, denn Vettel ist ein riesiger Ferrari-Fan.“ Danke, Sergio! Sag ich doch…
LESEN SIE WEITER UNTEN DAS ORIGINALINTERVIEW MIT EX-FERRARI-TEAMCHEF MARCO MATTIACCI VOM DONNERSTAG IN ABU DHABI 2014, DAS AUFGRUND SEINER ENTLASSUNG VIER TAGE SPÄTER NIE VERÖFFENTLICHT WURDE!
Das letzte Interview als Ferrari-Chef
Mattiacci: „Ich habe die Leidenschaft in Vettels Augen gesehen“
Das letzte Exklusivinterview mit dem ehemaligen Ferrari-Teamchef Marco Mattiacci. Erst sprach er am Donnerstag in Abu Dhabi mit SPORT BILD, dann wurde er gefeuert. Hier erzählt er, wie er Vettel zu Ferrari holte und warum der Vierfach-Weltmeister erfolgreich sein wird. Aussagen, die auch heute noch aktuell sind.
Herr Mattiacci, wie stolz sind Sie einen viermaligen Weltmeister im Team zu haben?
Zu allererst: Unabhängig von Titel, Nationalitäten und Reisepässen ist er eine großartige Person. Wir haben uns dreimal in Zürich getroffen. Er ist sehr smart, immer geradeheraus, intelligent. Er weiß genau, was er vom Team will. Es hat einfach vom ersten Moment an gepasst. Sebastian ist deshalb ein super Gewinn fürs Team.
Auch, weil er ohnehin ein großer Ferrari-Fan ist?
Natürlich. Leidenschaft macht den Unterschied im Leben. Wenn man etwas tut, das man liebt, erreicht man seine Ziele. Ich habe deshalb keine Zweifel, dass er extrem erfolgreich sein wird.
Wie haben Sie die Leidenschaft in ihm gespürt?
Ich habe die Leidenschaft in seinen Augen gesehen, als er über Ferrari sprach. Es ist sein Kindheitstraum gewesen zu Ferrari zu wechseln. Weil Michael Schumacher in Deutschland eben eine Kultfigur ist. Ihm will Sebastian nacheifern.
Wir wichtig werden Vettels Fähigkeiten als Teamleader für Ferrari sein?
Fernando ist ein großartiger Fahrer bei uns gewesen. Heute hat der Fahrer aber noch eine andere Aufgabe. Er muss motivieren und Enthusiasmus wecken. Sebastian kann das. Deshalb ist er ein Schlüsselfaktor um Ferrari zurück auf die Erfolgsspur zu bringen.
Wie können Sie Vettel wiederum helfen wieder zu gewinnen?
Wir holen neuen Leute. Allerdings jagen wir nicht die Stars. Wir jagen Leute, die Teamplayer sind und ein großes technisches Wissen haben. Außerdem müssen wir die Organisation verbessern. Organisation. Wir investieren sehr viel in Infrastruktur und neue Technologien.
Wie lange wird es dauern, dass Sie mit Sebastian um den WM-Titel fahren können?
Realistisch gesehen wird es Zeit brauchen. Aber Ferrari muss wieder zurück aufs Podest. So eine Saison wie diese schnürt einem die Luft ab. Deshalb arbeiten wir hart. Sebastian kennt das Projekt und weiß was wir tun. James Allison (Technikchef; d. Red.) arbeitet in Maranello sehr hart an der Aerodynamik. Und wir haben Leute, die sehr fokussiert sind auf die Power-Unit. Es ein Paket. Wir haben verstanden, wo wir nicht performt haben. Das ist klar. Aber das braucht auch Zeit.