Rennfahrer gelten nicht gerade als die Umweltschützer schlechthin, doch Sebastian Vettel (33) wandelt sich gerade vom Saulus zum Paulus. In seinem Krisen-Jahr bei Ferrari hat der Heppenheimer den Blick geöffnet für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Und er wird im Gespräch darüber sogar richtig emotional.
Im Interview mit der FAZ spricht er zum Beispiel übers Müllsammeln beim Spazierengehen. „Wenn mir was auffällt, dann bücke ich mich und suche eine Mülltonne oder nehme den Abfall mit nach Hause, um ihn dort wegzuwerfen“, verrät Vettel da. „Ich kann nicht verstehen, dass Leute ihr Zeugs aus dem Fenster werfen oder im Wald liegen lassen; dass sie sich offenbar zu schade dafür sind, ein paar Meter zur Mülltonne zu laufen. Dafür fällt mir keine überzeugende Entschuldigung ein. Ich lasse mich von wenigen Dingen aus der Ruhe bringen, aber so etwas bringt mich auf die Palme.“
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Der künftige Aston Martin-Pilot hat entsprechend auch seine Mobilität verändert. Vettel: „Ich plane genau, wohin ich mit dem Auto oder dem Zug fahren kann, ob Linienflüge verfügbar sind, wenn ich unterwegs sein muss. Auch zu Hause versuche ich, effizienter mit den Ressourcen umzugehen. Versuche das einzukaufen, was wir wirklich benötigen, und nichts wegzuschmeißen. Wenn man sich dessen jeden Tag bewusst ist, dann funktioniert das auch und geht in Fleisch und Blut über.“
Warum nicht gleich das Elektroauto? „Tue ich teilweise sehr gerne“, erwidert der Hesse. „Es stellt sich jedoch sofort die Frage, wie die Batterie aufgeladen wird. Lade ich zu Hause auf, lade ich mit Strom aus erneuerbaren Energien. Unterwegs ist dies eben schwer nachzuvollziehen. Beziehe ich Energie aus einem Kohlekraftwerk? Dann wäre es nicht nachhaltig. Der Umstieg auf die Elektromobilität ist sicher ein wichtiger Schritt. Aber das größere Potential liegt aus meiner Sicht in der Entwicklung eines Treibstoffes für die 1,3 Milliarden Autos und für die Schiffe und Flugzeuge, welcher nicht zu einer schlechten CO2-Bilanz führt.“
Womit wir bei Vettels Kritik an der aktuellen Formel 1 wären. Denn die ist seiner Meinung Art nicht zukunftsweisend genug.
Grund: „Erst von 2022 wird ein Anteil von zehn Prozent Biosprit (nachhaltiges Ethanol/d. Red.) der zweiten Generation in der Formel 1 zur Pflicht“, erklärt der ehemalige Ferrari-Star. „Stand heute soll der Anteil erst mit einem neuen Motorenreglement auf nur 30 Prozent steigen. Das wäre dann frühestens ab 2025/2026. Das finde ich sehr, sehr enttäuschend. Denn bis 2025 gibt es sicher schon Tankstellen für jedermann, die Benzin aus einhundert Prozent erneuerbaren Energien verkaufen. Wo bleibt die Vorreiterrolle der Formel 1 auf dem Gebiet der Technik?“
Fakt ist allerdings auch: Bereits im kommenden Jahr erhöht die Königsklasse den nachhaltigen Anteil im Sprit auf zehn Prozent. Wenn das neue Motorreglement 2025/26 kommt, will man bereits mit 100 Prozent Biosprit fahren – so lautet der offiziell verkündete Plan der Formel-1-Macher.
Doch Vettel kritisiert auch die Technik an sich. Zum Beispiel den aktuellen Hybridmotor (1,6-l-V6-Turbo mit Abgas- und Brems-Energierekuperation). „Wir fahren den effizientesten Verbrennungsmotor auf der Welt (Wirkungsgrad 50 Prozent gegenüber rund 30 Prozent bei Pkw/d. Red.). Aber er bringt der Welt nichts, weil er, so wie wir ihn fahren, nie den Weg in die Serie finden wird“, so der Ex-Weltmeister. „Das Einzige, was transferiert wird, ist die Nachricht und die Markenbotschaft, weil der Hybrid-Antrieb viel positiver für die Umweltbilanz angesehen wird als der normale Verbrennungsmotor.“
Vettel legt verbal den Finger in die offene Wunde: „Das Enttäuschende daran ist, dass wir so unsere Chance nicht nutzen… Die Formel 1 könnte nach langer Zeit mal wieder Vorreiter in der Technologie sein. Ich finde, es ist gerade diese Vorreiterrolle, die uns unser Überleben sichern kann.“
Ergo fordert er mehr High Tech in den schnellsten Rennwagen der Welt.
Vettel: „Wir haben keine Traktionskontrolle, kein Antiblockier-, kein Stabilitätssystem, all das steckt heute in jedem neueren Straßenwagen. Dinge, welche auf der Rennstrecke entwickelt wurden und in die Serie fanden. Auf dem Gebiet der Sicherheit haben wir zweifellos große Fortschritte gemacht. Aber ein Transfer heutiger Antriebstechnik in die Serienproduktion ist unrealistisch, weil einerseits die Anforderungen an den Antrieb sehr gegensätzlich sind. Auf der Rennstrecke wird ständig Vollgas gefahren, Energie muss schnell rekuperiert und schnell wieder abgegeben werden. Ein herkömmlicher Antrieb (für den Straßenverkehr/d. Red.) benötigt genau das Gegenteil. Die entwickelte Technologie (in der Formel 1/d. Red.) ist somit für die Serie ungeeignet. Andererseits würden die Straßenfahrzeuge das Zehnfache des gegenwärtigen Preises kosten.“
Der Deutsche wünscht sich, dass die Formel 1 „ihren Wettkampfgeist, den Ehrgeiz, das Wissen, die Entwicklungsgeschwindigkeit so kanalisieren (sollte), das relevante Technologien für alle entwickelt werden. Zum Beispiel, dass synthetische Kraftstoffe auch an der Tankstelle zu einem vernünftigen Preis gekauft werden können. Der Beschluss, 2022 mit zehn Prozent Biosprit zu fahren ist doch keine Neuerung. Warum läuft die Formel 1 hinterher? Es bietet sich die große Chance, ihre Existenz authentisch zu sichern. Aber das wird ignoriert.“
Vettels Forderung an die Macher um den neuen Formel-1-Chef Stefano Domenicali und FIA-Präsident Jean Todt lautet deshalb: „Wir sind zwar in erster Linie ein Unterhaltungsbetrieb. Aber es gibt Dinge, die nicht mehr in unsere Zeit passen. Als global agierender Sport haben wir eine entsprechende Plattform, beispielhafte Akzente weltweit vorzustellen, eine Botschaft zu transportieren. Also sollten wir anfangen, schnell voranzukommen. Einzelstrategien von Rennställen, einer will die beste Batterie herstellen, der andere den besten Hybrid, bringen uns wenig. Die Formel 1 braucht eine Gesamtstrategie. Ich glaube, dass wir das Thema Umwelttechnik als Entwicklungsgebiet zu lange ignoriert haben.“
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