Als ich gestern das Statement von McLaren zum Crash von Fernando Alonso las, rieb nicht nur ich mir verwundert die Augen. Kurz gefasst: ein heftiger Seitenwind sei Schuld gewesen am Testunfall von Fernando Alonso am Sonntag. Das hätten die Auswertungen der Telemetriedaten ergeben. Der spanische Doppelweltmeister hätte deshalb die Kontrolle über den McLaren-Honda verloren und wäre mit 30g seitlich in die Mauer geprallt. Damit war die Sache für die meisten meiner Kollegen erledigt. Sie folgten nahezu blind der Darstellung des McLaren-Teams.
„Kein Stromschlag! McLaren klärt Alonso-Unfall auf“ war die Überschrift bei „Motorsport-Total.com“. „Auto-Motor-und-Sport.de“ titelte: „Fahrer Schuld am Crash – kein Stromschlag“. Deshalb schon mal vorab eine provozierende Frage: Wenn McLaren behauptet hätte, dass Deutschland doch den Krieg gewonnen hat; wären die ehrenwerten Kollegen dieser These dann auch gefolgt? Ich jedenfalls habe immer noch meine Zweifel an dem windigen Statement.
Und nicht nur ich. Auch Formel-1-Insider in bedeutenden Positionen, mit denen ich mich unterhalten habe, finden die McLaren-Argumentation unglaubwürdig. Behaupten kann McLaren nämlich viel. Ich bin erst dann überzeugt, wenn unabhängige Experten die Telemetriedaten ausgewertet haben und die McLaren-Aussagen bestätigen. In einem Gerichtsfall wird ja auch nicht unbedingt ein Freispruch ausgesprochen, wenn Mann, Frau, Geliebter oder Geliebte für den Partner aussagen. Im Moment hat der Vorfall für mich noch den Status eines Indizienprozesses ohne gültigen Beweis. Als Staatsanwalt müsste man mir deshalb schlüssige Antworten auf folgende Fragen liefern:
Fernando Alonso im Krankenhaus. Quelle: Twitter
Wenn es der Wind war, der Alonsos McLaren auf die schiefe Bahn gebracht hat:Wieso war der wesentlich schneller fahrende Sebastian Vettel nicht davon betroffen? Vettel fuhr direkt hinter Alonso und wunderte sich, dass der McLaren allen physikalischen Gesetzen zum Trotz mit relativ niedriger Geschwindigkeit plötzlich nach rechts abbog. Als wäre Alonso nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen. McLaren behauptet, der Spanier hätte noch zurückgeschaltet, gebremst und den Boliden trotzdem nicht mehr unter Kontrolle gebracht, weil zuerst der Grip weg war und dann plötzlich wieder da. Bei 150 km/h? Das wäre vermutlich noch nicht einmal dem führerscheinlosen Marco Reus passiert! Und ausgerechnet ein Alonso soll solche Anfängerfehler machen? Da habe nicht nur ich meine Zweifel. Zumal laut McLaren ein mechanisches Gebrechen des Autos nicht vorlag. McLaren führt an, dass auch andere Fahrer vom dem an diesem Tag heftigen Seitenwind betroffen waren. Der Abflug von Carlos Sainz junior an der gleichen Stelle wird als Beispiel dafür angeführt. Das wird von Toro Rosso und Red Bull auch bestätigt. Allerdings weist man in diesem Lager ausdrücklich darauf hin, dass Sainz mit erheblich grösserer Geschwindigkeit an dieser Stelle gefahren ist. Der Seitenwind, so bestätigten mir Formel-1-Texchnikexperten, hätte dagegen bei der von Alonso zum Zeitpunkt des Unfalls gefahrenen Geschwindigkeit keinen Einfluss auf das Fahrverhalten eines Formel-1-Wagens. Und sie weisen auch darauf hin, dass sich Sainz, als er die Kontrolle über den Toro Rosso verloren hat, in der schnellen Rechtskurve wie erwartet nach links gedreht hat. Und nicht nach rechts abgebogen ist wie Alonso.
McLaren say Alonso downshifting while applying full brakes in accident.Unusual to pull for downshifts if you’ve lost control of a racing car
Warum hat Alonso eine Gehirnerschütterung erlitten? Was ist von den Fotografen und andere Augenzeugen zu halten, die bemerkt haben wollen, dass Alonsos Kopf schon vor dem Aufprall an die Mauer nach unten geknickt war, wie es typisch für einen Bewusstlosen ist? Der Aufprall von 30g war für Formel-1-Verhältnisse nicht aussergewöhnlich hart. Trotzdem trug der Spanier eine Gehirnerschütterung davon. Warum? Waren die extrem trainierten Halsmuskeln etwa nicht angespannt, weil er bewusstlos war? Ich habe schon an einem Sonntagabend in Montreal mit einem Heinz-Harald Frentzen zu Abend gegessen, der bei einem Unfall am Nachmittag mit einer diagnostizierten Gehirnerschütterung aus dem Medical-Center entlassen wurde. Selbst ein Robert Kubica konnte nach seinem Megacrash in Kanada am Montagmorgen wieder die Klinik verlassen. Und unser WM-Held Christoph Kramer verfolgte das WM-Endspiel gegen Argentinien nach seiner Auswechslung wegen einer schweren Gehirnerschütterung, benommen zwar, aber eben dennoch auf der Trainerbank. Alonso aber wurde mit dem Hubschrauber in eine Klinik geflogen, nachdem man ihn für den Flug sogar narkosiert hatte. Man hat ihn nicht am Montag mit seiner Gehirnerschütterung erlassen, sondern klemmte ihn an Geräte in der Intensivstation. Zur Beobachtung. Doch was wollte man beobachten? Ärzte bestätigten mir, dass es beispielsweise bei Stromopfern notwendig wäre, genau die Massnahmen zu ergreifen, welche die spanische Ärzte bei Alonso ergriffen – um lebensgefährlichem Herzkammerflimmern, das auch 24 Stunden nach einem solchen Vorfall noch auftreten kann, sofort bekämpfen zu können.
Warum hat McLaren einen Tag gebraucht, um sein Statement zu verfassen? Mehrere Verantwortliche anderer Teams versicherten mir, dass die Art der Daten, die McLaren analysiert hat, noch am gleichen Abend hätten rausgehen können. Musste man sich erst mit den Honda-Chefs in Japan absprechen? Und mit einem Alonso, der erstmal wach werden musste? Um die wahre Unfallursache zu verschleiern? Einen Stromschlag durch ein defektes Energie-Rückgewinnungssystem etwa oder ein gesundheitliches Problem des Spaniers? Sind die besonders von FIA-Präsident Jean Todt geforderten mit Starkstrom-Batterien funktionierenden Hybrisysteme vielleicht doch nicht so sicher wie bisher versichert? Was passiert – sollte das der Fall sein – wenn das nächste Mal bei 300 Km/h ein Fahrer mitten im Pulk fahrend durch einen Stromschlag ausgeknockt wird? Ich weiß von mindestens zwei Fällen in letzter Saison, wo man Mechanikern gesagt hat, nur mit KERS-Handschuhen ans Auto zu treten, obwohl beim Auto das „grüne Entwarnungs-Licht“ leuchtete. FIA-Mitarbeiter jedenfalls verhielten sich am Sonntagabend äußerst merkwürdig. Man sollte doch froh sein, dass Honda wieder dabei wäre, war da zu hören. Die FIA sei ausserdem nicht für diesen Test zuständig. Warum zählte man aber dann mehrere FIA-LKWs in Barcelona? Was hatten die dort zu suchen?
There wasn’t any noticeable wind in Turn 3 according to Jordi Vidal. #F1 — f1talks.pl (@f1talks) 24. Februar 2015
Alle diese Fragen müssten in einem Indizienprozess erst noch schlüssig beantwortet werden. Von einem unabhängigen Expertenkonsortium aber bitte. Warum? Ich habe gelernt, dass man anders als im normalen Leben in der Formel-1-Szene erst mal niemandem trauen sollte. Zuviele willkürliche Urteile wurden in der Vergangenheit gefällt, so dass ich den Eindruck habe, dass Verbände, Vermarkter und einige Teams unter einer Decke stecken und ihr Leitsatz heißt: „Wahrheit ist, was uns nutzt!“
„In DUBIO PRO RE!“ – das gilt in der Formel-1-Szene nicht. „Im Zweifel gegen den Angeklagten“ muss vielmehr das Motto sein, um die Vetternwirtschaft in der Königsklasse zu entwurzeln. Deshalb bin ich ganz der Meinung von Ex-Ferrari-und-Honda-Pilot Gerhard Berger, der mir sagte: „Um alle noch bestehenden Zweifel zu beseitigen, sollte McLaren die Telemetriedaten offen legen!“
https://www.youtube.com/watch?v=lDfC6wGQrLA
GOOGLE TRANSLATOR (no more, no less)
When I read the statement from McLaren to the crash of Fernando Alonso yesterday, not only I rubbed my eyes in disbelief. In short, a fierce crosswind had caused the testing accident of Fernando Alonso on Sunday. This would give the evaluations of the telemetry data. The Spanish double world champion would therefore have lost control of the McLaren-Honda and had collided with 30g sideways into the wall. The matter for most of my colleagues was done. They followed nearly blind the arguments of the McLaren team.
Therefore a provocative question: If McLaren had claimed that Germany has won the war – would this honorable colleagues then also follow? In any case I still have my doubts about the windy statement.
And not just me. Even Formula 1 insider in important positions, with whom I have talked to, find the McLaren argument implausible. McLaren can tell a lot. But it´s our turn to believe them or not! I only believe if independent experts have evaluated the telemetry data and confirm the McLaren-statements. In a court case is also not necessarily pronounced an acquittal when husband, wife, lover or mistress to testify for the partner. At the moment, the incident for me is the status of a circumstantial process without valid proof. If I was a prosecutor McLaren therefore had to give me positive answers to the following questions:
1. If it was the wind that brought Alonso’s McLaren in the trouble, why was the much faster moving Sebastian Vettel not affected? Vettel drove directly behind Alonso and was surprised that the McLaren suddenly turned off against all physical laws to the right despite relatively low speed. As if Alonso would not have been master of his senses. McLaren claims that the Spaniards would have shift down, used the brakes very hard and then lost control- , because there was no grip at all and then suddenly the grip came back. This all with about 150 km / h? T And with an Alonso making such beginner mistake? Not only I have my doubts. Especially because, according to McLaren a mechanical defect of the car was not the case. McLaren argues that other drivers were affected by the violent cross wind as well on that day. The departure of Carlos Sainz Jr. in the same place is cited as an example. This is also confirmed by Toro Rosso and Red Bull. However, in this camp they say very clear that Sainz drove with significantly greater speed at this point. The crosswind, so Formula 1 technicsexperts told me, would not have affected Alonsos accident because Alonso was not quick enough. They also point out that Sainz, when he lost control of the Toro Rosso, has turned into the fast right turn as expected to the left. And not turned right as Alonso.
2. Why Alonso has suffered a concussion? What to make of the photographer and other eyewitnesses who claim to have noticed that Alonso’s head was bent before the impact of the wall down, as is typical for an unconscious person? The impact of 30g was not exceptionally hard for Formula 1 drivers. Nevertheless, the Spaniards wore a concussion. Why? Were the extremely trained neck muscles didn’t work because he was unconscious? I’ve already had a dinner on a Sunday evening in Montreal with Heinz-Harald Frentzen, who was released after an accident in the afternoon with a diagnosed concussion from the Medical Center. Even Robert Kubica could leave the hospital on Monday morning after his mega crash in Canada. And our World Cup hero Christoph Kramer watched the World Cup final against Argentina from the side because of a severe concussion, dazed, but still on the bench. But Alonso was flown by helicopter to a hospital after they even sedated him for the flight. They have not let him go on Monday with his concussion, but tucked him to devices for observation. But what did they observe him? Doctors confirmed to me that it would be necessary, for example in case of electricity shock victims, to take the measures that took the Spanish doctors at Alonso – to be able to fight against life-threatening dangers because of ventricular fibrillation, which may still occur 24 hours of any such incident.
3. Why McLaren needed such a long time to write their statement? Several leaders of other teams assured me that the type of data that McLaren has analyzed had gone on the same evening. Had to bother with the Honda bosses in Japan deny? And with Alonso, who had to be first awake? In order to hide the true cause of the accident? Electrocuted by a faulty energy recovery system or as a health issue of the Spaniard? Are the required especially by FIA President Jean Todt working with high-voltage batteries Hybrisysteme maybe not as safe as previously insured? What happens – should that be the case – the next time at 300 km / h, if a driver is knocked by an electric shockout driving in the middle in the pack ? I know of at least two cases in the last season where they told mechanics to contact the car only with KERS gloves – in spite of „all-clear green light“ lit up. FIA men behaved in on Sunday evening very strange. You should be happy but that Honda would be there again was heard there. Also the FIA was not responsible for this test. But why had the FIA in this case several FIA trucks in Barcelona? What did they do there?
All these questions have to be answered. But please by an independent consortium of experts. Why? I have learned that in the Formula 1 scene you should not trust anyone. Too many arbitrary judgments were done in the past, so I have the impression that associations, marketers and some teams are in cahoots and their motto states: „Truth is what uses us“
„In DUBIO PRO RE!“ – That does not apply in the Formula 1 scene. Therefore, I very much agree with ex-Ferrari and Honda Pilot Gerhard Berger, who told me: „To remove all remaining doubt, McLaren should place the telemetry data open“
Ralf Bach Ralf Bachs Zuhause ist der Formel-1-Zirkus. Seit rund 30 Jahren berichtet er für SPORT BILD, AUTO BILD MOTORSPORT, SPORT1 und das Ippen-Netzwerk (TZ München, Frankfurter Rundschau) von der Königsklasse. Für seine exklusiven Stories wurde er in die „Paddock Hall of Fame“ der Formel 1 aufgenommen. Auf F1-Insider.com schildert er, wie die Protagonisten ticken. Twitter: @ralfbond