Kolumne: Unser Formel-1-Reporter Ralf Bach erlebte den Tod Anthoine Huberts genau wie die Unfälle von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger.
Die Schatten von Eau Rouge kann auch die norditalienische Sonne im Spätsommer von Monza nicht kaschieren. Die majestätisch wirkenden großen Laubbäume im königlichen Park vor den Toren Mailands werden am Wochenende des Großen Preises von Italien wie Mahnmale wirken und den Homo Sapiens daran erinnern, wie klein und machtlos er doch ist, wenn die Natur ihre physikalischen Gesetze erbarmungslos anwendet – aller wissenschaftlicher Errungenschaften zum Trotz.
Der Tod des erst 22 Jahre alten französischen Rennfahrers Anthoine Hubert vergangenen Samstag in Spa ist immer noch präsent verankert in den Köpfen, Herzen und fragiler als vermutet gestrickten Seelen der Rennfahrer dieser Generation.
Die Kids, die mit Computern aufgewachsen sind, die realistisch alle möglichen von Aktion simulieren können, wissen jetzt: Eins können sie nicht. Das wahre Leben simulieren – mit seinen Gefühlen, seiner Liebe, seiner Trauer und dem Tod, der in der virtuellen Welt nicht vorkommt.
Der Tod Huberts war für die meisten jungen Kerle dieses Sports deshalb auch ein Erwachen aus einem rosaroten Traum, der sie bisher im tiefen Innern umgab wie ein riesiger schützender Wattebausch. In fast allen Gesichtern in Spa stand geschrieben: „Wir können verdammt noch mal sterben, bei dem was wir tun.“
Roland Ratzenberger prallte mit seinem Simtek mit circa 300 Stundenkilometer in die Mauer. Ich habe das schon einmal erlebt. Damals am ersten Mai-Wochenende 1994 in Imola. Mit dem Unterschied: Ich war selbst noch ein junger Kerl, hatte das Alter der Vettels und Hamiltons von heute und musste mich mit der brutalen Realität auseinandersetzen. Sie kam so schnell und unerwartet wie ein Blitz, der plötzlich eine feuchtfröhliche Schulfete trifft.
Ich war ein junger Journalist, der zusammen mit den deutschen Stars Heinz-Harald Frentzen und Michael Schumacher groß geworden war. Wir waren mehr Kumpels als Arbeitskollegen, wir zogen in Köln zusammen um die Ecken und in allem was wir taten, war immer klar: Das Leben ist ein Abenteuer. Das Leben ist ein weißes Blatt, das wir nur noch füllen müssen. Das Leben ist schön und sicher.Tödliche Unfälle in der Formel 1 waren so weit weg wie die brutalsten Schlachten im zweiten Weltkrieg. Man wusste zwar davon, aber sie haben auf einem anderen Planeten stattgefunden. Sie hatten keinen Zugang zu unseren Seelen. Mit diesem Gefühl der Unverwundbarkeit fuhren wir nach Imola.
Wir waren der Siegfried aus der Nibelungen-Sage, aber ohne unsere Schwachstelle zu kennen.
Der Freitag in Imola bestätigte das. Rubens Barrichello hatte einen Horrorunfall. Sein Jordan wurde in die Luft geschleudert, prallte gegen einen Fangzaun und landete brutal auf dem Boden. Vom Eindruck her hätte Barrichello auf der Stelle tot sein müssen. War er aber nicht. Er hatte Verletzungen am Arm und eine gebrochene Nase.Einen Tag später war er wieder an der Rennstrecke. Der Brasilianer war für uns ein weiterer Beweis für die Unverwundbarkeit. Ein weiterer Beweis, wie sicher die Formel-1-Autos der damaligen Zeit waren.
Der einzige, der wirklich geschockt war, war Ayrton Senna. Der Superstar der Szene, der Erzengel der Formel 1, wirkte angeschlagen, seelisch zerzaust. Als hätte er als einziger verstanden, dass der Unfall seines Landsmanns nicht die weitere Bestätigung für die Unverwundbarkeit war, sondern eine Warnung höherer Mächte.
Am Samstag verstand ich, was Senna fühlte. Roland Ratzenberger prallte mit seinem Simtek mit circa 300 Stundenkilometer in die Mauer. Sein Kopf hing schlaff im Cockpit, als das Auto ausrollte. Ungläubig schauten wir hin und es war klar: Er ist tot. Unser Unterbewusstsein schrie ins Hirn: „Das kann doch nicht sein!“ Aber es war doch so.Frentzen, mit dem ich mir in Imola ein Zimmer teilte, war völlig losgelöst. So hatte ich den lustigen, hochintelligenten Freund noch nie erlebt. Er brüllte plötzlich Kameraleute an, die ihn filmen wollten, als er sich im Sauber-Motorhome versteckte. Ratzenberger war einer seiner besten Rennfahrerkumpels, seit sie die Jahre zuvor in Japan eine Art europäische Wohngemeinschaft gegründet hatten.
Frentzen war als Sohn eines Bestatters an den Tod gewöhnt, war jeden Tag mit ihm konfrontiert. Aber das war Job und eine andere Welt. Diesmal war der Tod in sein Wohnzimmer eingedrungen, das er – so glaubte er jedenfalls – hermetisch vor ihm abgeriegelt hatte.
Abends saßen wir in einer kleinen Pizzeria und redeten eigentlich nur Unsinn. Es war unser Weg, sich erst mal mit dem Unfassbaren zu beschäftigen. Man kann auch sagen: Die Kindheit war beendet, wir hatten ungewollt die Grenze zur Erwachsenenwelt überschritten.
Ayrton Senna starb in der Tamburello-Kurve, weil ein Teil der Radaufhängung beim heftigen Aufschlag seinen Helm durchdrang.Am Sonntag fiel der Erzengel vom Himmel. Ayrton Senna starb in der Tamburello-Kurve, weil ein Teil der Radaufhängung beim heftigen Aufschlag seinen Helm durchdrang. Michael Schumacher, der Sieger des Rennens, weinte bitterlich im Benetton-Motorhome, als er vom Tod seines Idols erfuhr.
Ich glaube heute noch, dass es nicht nur die Trauer war, sondern noch mehr die schockierende Erkenntnis, dass es das Schutzschild der scheinbaren Unverwundbarkeit nicht mehr gab. Der Gedanke, die wohl alle hatten, war: „Wenn es Renngott Senna erwischen konnte, dann konnte es jeden treffen!“ Der kindliche Traum hatte jäh ein Ende gefunden.Schumacher und Frentzen wollten aufhören. Beide machten nach einer Woche des Nachdenkens weiter. Aber die jugendliche Unbeschwertheit war seitdem bei beiden nicht mehr da. Das gleiche wird man jetzt in Monza feststellen mit den Fahrern, die vor Spa auch noch nie richtig mit dem Tod konfrontiert wurden. Der Tod Huberts hat sie auf brutale Art aus der scheinbar sicheren virtuellen Welt in das richtige Leben geführt Und das ist auch gut so.
Ayrton Senna starb in der Tamburello-Kurve, weil ein Teil der Radaufhängung beim heftigen Aufschlag seinen Helm durchdrang.Am Sonntag fiel der Erzengel vom Himmel. Ayrton Senna starb in der Tamburello-Kurve, weil ein Teil der Radaufhängung beim heftigen Aufschlag seinen Helm durchdrang. Michael Schumacher, der Sieger des Rennens, weinte bitterlich im Benetton-Motorhome, als er vom Tod seines Idols erfuhr.
Ich glaube heute noch, dass es nicht nur die Trauer war, sondern noch mehr die schockierende Erkenntnis, dass es das Schutzschild der scheinbaren Unverwundbarkeit nicht mehr gab. Der Gedanke, die wohl alle hatten, war: „Wenn es Renngott Senna erwischen konnte, dann konnte es jeden treffen!“ Der kindliche Traum hatte jäh ein Ende gefunden.Schumacher und Frentzen wollten aufhören. Beide machten nach einer Woche des Nachdenkens weiter. Aber die jugendliche Unbeschwertheit war seitdem bei beiden nicht mehr da. Das gleiche wird man jetzt in Monza feststellen mit den Fahrern, die vor Spa auch noch nie richtig mit dem Tod konfrontiert wurden. Der Tod Huberts hat sie auf brutale Art aus der scheinbar sicheren virtuellen Welt in das richtige Leben geführt Und das ist auch gut so.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.