Formel-1-Sportchef Ross Brawn im Interview über die Zukunft der Königs-klasse, Ferrari und Co
Herr Brawn, es gibt mittlerweile sogar Windkanalmodelle der Autos für 2021. Erwarten Sie durch das neue Design wirklich spannendere Rennen?
Ross Brawn (64): Ich erwarte, dass das Design der Autos eine Basis dafür ist, das Feld enger zusammenzuführen. Im Moment gibt es noch starke Luftverwirbelungen, die es für ein hinterherfahrendes Auto sehr schwer machen, einem anderen Wagen dicht zu folgen. Unsere Vorschläge sollen das verbessern.
Haben talentierte Ingenieure nach den neuen Reglementsideen noch die Möglichkeit, den Unterschied zu machen?
Absolut. Das sieht man doch im Moment mit den Reifen. Alle haben die gleichen Reifen, aber manche Teams holen mehr aus ihnen heraus als andere. Das heißt: Selbst mit den neuen Restriktionen wird es immer Ingenieure geben, die einen besseren Job machen als andere. Wir wollen aber insgesamt wieder mehr dahin kommen, dass die Fahrer den Unterschied machen können und nicht die Techniker.
Die Formel 1 soll also wieder mehr von Menschen entschieden werden als von großen Budgets?
Könnte man vereinfacht dargestellt so sagen. Mir gefällt dieser Gedanke. Deshalb ist es auch wichtig, das Budget zu beschränken. Auch wenn es eine Riesenherausforderung ist, weil die Teams immer wieder Wege finden wollen, es zu umgehen. 2020 wird eine Art „Übergangsjahr“ werden, wo jeder lernen muss, damit umzugehen. Aber 2021 ist es dann Fakt. Die Budgetgrenze (derzeit sind 175 Millionen Dollar im Gespräch; d. Red.) ist für uns eines der wichtigsten Dinge, um den Sport besser zu machen.
Aber kann man sie wirklich kontrollieren?
Dass sich die Teams in einer Art Gentlemen‘s Agreement selbst daran halten, kann man vergessen. Wir müssen empfindliche sportliche Strafen aussprechen, wenn es erwiesen ist, dass ein Team gegen die Regel verstoßen hat. Nur so bekommen wir genügend Abschreckung. Wir haben Experten in unser Team geholt, die früher für die Finanzen von Teams zuständig waren. Die wissen, worum es geht.
Angeblich stehen auch schon neue Teams Schlange, weil die Formel 1 billiger wird.
Ja, wir haben Anfragen. Aber wir wollen sie frühestens ab 2022 zulassen. Bis 2021 wollen wir Stabilität ins neue System bringen. Das Letzte, was wir brauchen können, sind Teams, die kommen und gehen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Offensiv unterstützen werden wir es jedenfalls nicht.
Befürchten Sie andersherum, Teams zu verlieren?Bei Mercedes gibt es diese Gerüchte.
Damit muss man immer rechnen. Aber wenn man die Konkurrenzfähigkeit insgesamt verbessert, wird die Formel 1 für die Topteams eher interessanter. Dazu kommt: Auch für die Vorstände von Automobilherstellern ist es attraktiver, wenn sie durch unser Sparprogramm weniger Geld ausgeben müssen.
Für Automobilhersteller ist Nachhaltigkeit derzeit sehr wichtig. Was tut die F1 dafür?
Wir ignorieren das Umweltthema nicht. Mit unseren Benzin- und Motortechnologien werden wir in Zukunft dem Umweltbewusstsein noch mehr Rechnung tragen. Wir arbeiten auf diesem Gebiet eng mit den Automobilherstellern und Mineralölkonzernen zusammen. Elektroautos alleine sind nicht die Zukunft. Sie verlagern die Umweltverschmutzung nur.
Was war zu Ihrer Zeit bei Ferrari anders als heute?
Mattia Binotto ist ja gerade dabei, die Organisation neu aufzubauen. Wir hatten damals das Glück, dass wir mit Jean Todt, Stefano Domenicali und natürlich Michael Schumacher eine tolle Truppe von fähigen Leuten hatten, die Hand in Hand zusammengearbeitet haben.
Kann Sebastian Vettel heute bei Ferrari die Rolle spielen, die Michael damals hatte?
Was ich sagen kann: Sebastian hat eine klare Meinung, die er mit einem analytischen und messerscharfen Verstand auch immer auf den Punkt bringen kann. Er gibt auch uns für die Zukunft der Formel 1 eine Menge Input.
Warum ist Mercedes trotzdem so viel besser?
Es ist die Summe aus allem. Beispielsweise Lewis Hamilton. Er ist gerade auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit. Dazu kommt: Die meisten Ingenieure sind ein eingespieltes Team. Toto ist auch ein Teil des Erfolgs. Er bringt sich da ein, wo es notwendig ist, mischt sich aber nicht in die Technik ein.
Wie wichtig ist Max Verstappen für die Formel 1?
Extrem wichtig. Er motiviert jüngere Generationen, sich für Formel 1 zu interessieren. Er ist selbst ein Kind dieser Generation, die wie er Computerspiele liebt. Er verbindet optimal das virtuelle Racing mit dem realen. Er ist zudem ein brillanter Fahrer und mit Sicherheit ein zukünftiger Weltmeister.
Und Mick Schumacher?
Mick ist in der Formel 2 noch in der Lernphase. Es gibt aber Momente, wo man erahnen kann, wozu er fähig sein kann. Ich würde es lieben, ihn erfolgreich in der Formel 1 zu sehen. Aber es müsste wegen seines Talentes passieren, nicht wegen seines Namens.
*Dieser Artikel ist als Erstes in AUTO BILD MOTORSPORT (ABMS) erschienen.