Ferrari schlitterte mit Charles Leclerc an Sebastian Vettels Seite in einen Stallkrieg
Teamchef Mattia Binotto (50) spricht von einem Luxusproblem. Andere von einem Desaster. Spätestens nach dem Großen Preis von Brasilien war klar: Das Wort Luxus kann man getrost weglassen, wenn es um die Fahrerbesetzung des Jahres 2019 bei Ferrari geht. Eins ist seit dem Crash von Sebastian Vettel (32) und seinem jungen Teamkollegen Charles Leclerc (22) klar: Bei den beiden ist einer zu viel.
Denn die Kollision war eine mit Ansage. Binotto, der „Kapitän“ des Luxuskreuzers, der mehr an die Titanic erinnert als an „Das Traumschiff“, hätte den Eisberg schon lange vorher sehen müssen – nicht erst als es krachte.
Allein: Binotto, der Italiener mit ewig blassem Teint, wildem Haarschopf und Harry-Potter-Brille erinnert immer noch an einen stellvertretenden Direktor einer Walldorf-Schule, der nicht wahrhaben will, dass ihm seine Musterschüler immer wieder einen Streich spielen werden. „Wenn ich bedenke, dass sie sich am Saisonbeginn gar nicht gekannt haben, dann haben sie heute ein gutes Verhältnis“, predigt er weiter wie ein Kaplan von der Kanzel, „was in Brasilien passiert ist, ist kein Drama ist. Ganz im Gegenteil: Ich sehe das mehr als Chance, dass Dinge im Hinblick auf nächstes Jahr klargestellt werden.“
Aber: Binotto muss damit leben, dass keiner mehr die Friedenskampagne ernst nimmt. Dafür ist zu viel passiert bei Ferrari. Klar ist: Sowohl sportlich als auch imagemäßig war das Jahr eins unter der Führung des ehemaligen Technikchefs ein klarer Rückschritt zum Vorjahr.
Da waren zum einen die Betrugsvorwürfe. Im Visier: der Antrieb, der bis zum letzten Saisondrittel im Qualifying und am Start einen Power-Vorteil von fast 55 PS zur Konkurrenz aufwies. Erst als die FIA auf Druck von Red Bull sowohl Benzindurchflussmenge als auch die Funktion von Schmieröl näher definierte, war der Leistungsvorteil geschrumpft.
Binotto dementierte vehement, dass Ferrari getrickst habe. Dafür lieferte er lieber andere Gründe für den Rückschritt zum Vorjahr. „Wenn ein Auto nicht zuverlässig läuft, ist das in der Formel 1 immer ein Problem.“ In Zahlen heißt das: 2018 holte Ferrari nach 20 Rennen sechs Siege. Sebastian Vettel und Teamkollege Kimi Räikkönen sammelten 553 Punkte in der Konstrukteurswertung. Mit neuem Teamkollegen Leclerc kommen Vettel und sein rotes Team im gleichen Zeitraum nur auf 504 Punkte – bei drei Siegen weniger.
Bloß: An Vettels Beispiel kann man ablesen, wieso nicht nur das Auto schlechter war, sondern der neue Teamkollege zu einem Leistungsverlust des deutschen Ex-Weltmeisters führte. 2018 gewann Vettel fünf Mal. Der Heppenheimer hatte nach 20 Rennen schon 302 Punkte auf seinem Konto. Er wurde am Ende Vizeweltmeister und war – was wichtig ist – gut gelaunt.
2019 stürzte er ab. Nur einen Sieg in Singapur konnte er einfahren, holte nur 240 Zähler, war nur WM-Fünfter und – was wichtig ist – meistens extrem schlecht gelaunt. Seine Stimmung war genauso im Keller wie seine Ergebnisse.
Beides lag, da sind sich die Experten sicher, am jungen Teamkollegen. Ex-Teamchef Eddie Jordan (71) analysiert bei AUTO BILD MOTORSPORT: „Leclerc ist nicht zu Ferrari gegangen, um sich unterzuordnen. Er spürte die wachsende Unterstützung im Team und merkte, wie groß der Einfluss seines Managers Nicolas Todt bei Ferrari ist. Deshalb wollte er sein großes Talent nicht verschwenden, um hinter Vettel anzustehen. Er muckte auf. Damit aber kam Vettel genauso wenig klar wie 2014, als ihm bei Red Bull der jüngere Daniel Ricciardo den Rang ablief.“
Ähnlich sieht es Ralf Schumacher (44): „Ich glaube, dass Sebastian nicht ganz so abgebrüht ist wie Charles. Ein Beispiel: Monza, wo Charles Sebastian aus welchen Gründen auch immer nicht den versprochenen Windschatten gab. Seitdem war das Verhältnis gelinde ausgedrückt etwas distanzierter.“
Schumacher sieht auch keine Besserung für Vettel: „Leclerc ist wahnsinnig schnell, macht weniger Fehler. Dann tut man sich als Manager natürlich leichter zu argumentieren, ob es nicht Sinn machen würde, sich mehr auf seinen Fahrer zu konzentrieren.“
Soll heißen: Binotto muss sich entscheiden.
ZAHLEN UND FAKTEN
3 Siege holte Ferrari in der Saison 2019. Das sind nur halb so viele wie im Vorjahr. Immerhin neun Mal war ein Ferrari-Pilot Schnellster im Qualifying
1 Doppelsieg steht für Ferrari im Jahr 2019 zu Buche (GP Singapur). Das ist vergleichsweise schwach. Mercedes belegte neun Mal die Plätze eins und zwei