Zwei deutsche Formel-1-Weltmeister nutzen ihre Popularität, um den Planeten zu retten. Sie stehen für die neue Generation von mündigen Rennfahrern, die nicht mehr nur grün hinter den Ohren sein wollen
Ex-Formel-1-Impressario Bernie Ecclestone (90) ist froh, dass er sich nicht mehr für die Hauptdarsteller in seinem ehemaligen Vollgaszirkus verantwortlich fühlen muss. „Politische Statements haben im Motorsport nichts verloren“, sagt der kultige Brite zu Wams. „Mr. E.“, wie ihn seine Untergebenen mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht jahrzehntelang nannten, kann mit der Entwicklung im Motorsport nichts mehr anfangen. Denn der Zeitgeist hat mittlerweile auch die Königsklasse des Motorsports überholt.
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Vorbei die Zeiten, als die Ritter der Moderne alle zwei Wochen ihr Leben riskierten und ihrem Rockstar-Image fröhnten. Es gibt keinen James Hunt mehr, der mit einem Schriftzug auf seinem Overall mehr als andere die Lebenseinstellung des von Ecclestone geforderten Images seiner Asphaltcowboys vorlebte. „Sex is the breakfast for Champions“, stand für alle gut lesbar auf seinem feuerfesten Overall. Die Protagonisten von heute haben damit nichts mehr am Hut. Sie wollen nicht mehr Rockstars oder Petrol Heads sein. Sie wollen den gesellschaftlichen Wandel beschleunigen.
An vorderster Front der ökologischen Kehrtwende im Rennwagen: die zwei deutschen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel (33) und Nico Rosberg (35).
Bezeichnend dabei: Während Hunt jede flotte Biene, die ihm im Glamourumfeld des Formel-1-Fahrerlagers in den 70ern zuflog, zum privaten Stelldichein direkt in sein Hotelzimmer bat, macht sich Vettel jetzt für die richtigen Bienen stark. Er ist seit kurzem aus voller Überzeugung Botschafter der Initiative BioBienenApfel, die kostenlos Saatgut für Blumenwiesen verschickt. Der Aston Martin-Pilot gibt dafür sogar private Details preis, die er früher nie verraten hätte. Die Geschichte vom Blumenherz im eigenen Garten, das Vettel mit seinen beiden Töchtern angelegt hat und am Ende doch alleine dastand mit dem Spaten, mag lustig klingen – steht aber symbolisch für die schöne neue Rennfahrer-Welt.
Vettel: „Ich schwärme nach wie vor für die V12-Motoren. Der Sound und die Vibrationen sind einzigartig. Da rede ich aber nur als Rennfahrerromantiker. Als Mensch weiß ich, dass wir mit unseren Ressourcen nicht mehr verschwenderisch umgehen dürfen.“
Der Heppenheimer, der am vergangenen Wochenende in Monte Carlo mit seinem grünen Aston Martin namens „Honey Ryder“ in der Formel 1 auf Platz fünf raste, ist sich bewusst: „Mit Sicherheit gibt es Leute, die jetzt mit dem Finger auf mich zeigen und sagen, ich bin scheinheilig, weil ich Formel-1-Fahrer bin. Aber Rennfahrer ist nun mal mein Beruf und meine Leidenschaft. Mir geht es darum, dass es Wege gibt, auch das ganze Business umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. Es geht nicht darum, Dinge abzuschaffen, sondern Dinge besser zu machen und verantwortungsbewusster zu handeln. Dass man nachhaltig lebt und trotzdem noch seine Leidenschaft ausüben kann.“
Der Deutsche, der schon seit langem im Wald jeden Müll einsammelt, will nicht mehr warten, bis seine Formel 1 endlich nachhaltig wird. Er will jetzt schon Zeichen setzen und dafür sorgen, dass die neuen Macher der Königsklasse nicht nur das Grüne vom Himmel versprechen, sondern handeln. Auch wenn er in der Formel 1 als aktiver Pilot noch bis 2025 warten muss, ehe sein milliardenschwerer PS-Zirkus auf Biosprit umsattelt.
Nico Rosberg ist da schon weiter. Und extremer unterwegs. Der Weltmeister von 2016 ist mit seinem Team RosbergXRacing erster Sieger der neuen Extreme-E-Meisterschaft. Einer Rennserie, die an diesem Wochenende im Senegal ihr zweites Event veranstaltet und sich dem Umweltschutz verschrieben hat. Auch hier klingt die Verbindung zwischen Klimarettung und Rennsport paradox. Doch Ziel der neuen SUV-Rallyemeisterschaft ist genau das: den Finger in die Wunden der Welt legen. Möglichst schnell und – natürlich – möglichst PR-trächtig.
Deshalb entdeckte Rosberg beim Debüt der Extreme E zunächst auch sein Herz für die Langsamkeit. Erst initiierte er ein Projekt zur Rettung der bedrohten Schildkröten im Roten Meer, dann erst schickte er seinen 544 PS starken Elektro-Geländewagen ins Wüsten-Duell gegen seinen ehemaligen Erzrivalen Lewis Hamilton (36). Denn: Dem neuen Formel-1-Rekordweltmeister ist die Menschenrechtsbewegung „Black Lives Matter“ nicht mehr genug. Auch der kürzlich zum Ritter geschlagene britische Superstar beteiligt sich als Teambesitzer in der Extreme E an der Rettung des Planeten, während er in der Formel 1 weiter an seiner Legende feilt und unermüdlich daran erinnert, dass alle Menschen gleich sind.
Dabei kommt es anders als in der Königsklasse nicht darauf an, wer im brutalen Kampf um Millisekunden mit viel personellem und finanziellem Aufwand das schnellste Auto baut. In der Extreme E ist das Arbeitsgerät für die neun Teams gleich: Sie bekommen alle ein 1650 schweres Einheits-Elektro-SUV mit zwei Elektromotoren, die insgesamt 400 KW an beide Achsen schicken. Dank eines Drehmoments von 920 Newtonmeter beschleunigt der mit 37 Zoll Durchmesser großen Continental-Reifen ausgerüstete Monster-Truck in 4,5 Sekunden von 0 auf 100 und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 200. Das sorgt für genug Action, hält aber die Kosten anders als in der Formel 1 von Anfang an in Grenzen.
Allein: Als Labor für die Automobilindustrie ist die Extreme E (noch) nicht gedacht. Die Elektro-Technik stammt aus der Formel E. Ein technologischer Wettbewerb findet aktuell nicht statt. „Ja, der Motorsport war immer wichtig für die technische Weiterentwicklung in der Serie“, räumt Mattias Ekström (42) vom deutschen Team Abt-Cupra ein. „Ich glaube aber, dass die Extreme E diesbezüglich erst in Zukunft wichtig wird. Jetzt ist es vor allem angezeigt, die Aufmerksamkeit auf das Thema Nachhaltigkeit zu lenken. Wir verheizen hier nicht sinnlos Sprit und Reifen.“
Die Idee einer Rennserie zur Rettung des Planeten hatte der in der Motorsportwelt omnipräsente Spanier Alejandro Agag (50). Als Politiker der konservativen Partei Spaniens saß er einst im Europaparlament, managte später für die Formel-1-Granden Bernie Ecclestone und Flavio Briatore den Kauf des Fußballclubs Queens Park Rangers. 2014 gründete er die Formel E und wurde so Wegbereiter für die ökologische Revolution im Rennsport. Aus der Stadt zieht es Agag nun in die besonders wüsten Gegenden dieser Erde. Und genau an diesen speziellen Plätzen will er auf ein jeweils verschiedenes Problem des Klimawandels, der uns alle betrifft, aufmerksam machen.
Beim Auftakt in Saudi-Arabien stand die Wüstenbildung im Vordergrund. Beim aktuellen Rennen im Senegal (29./30. Mai) geht es um die Vermüllung der Strände und den ansteigenden Meeresspiegel. Beim Lauf in Grönland um die schmelzenden Polkappen, im Amazonasgebiet um die Abholzung des Regenwaldes und in Patagonien um die schmelzenden Gletscher. Parallel dazu wird das nächste gesellschaftspolitische Top-Thema über den Motorsport transportiert: die Gleichberechtigung der Geschlechter.
Denn je eine Frau und ein Mann teilen sich ein Auto. „Es ist wirklich wichtig, Frauen im Motorsport zu unterstützen, denn der Rennsport spiegelt nicht die Zusammensetzung der Gesellschaft wider“, erläutert Agag. „Aber keiner hat bisher einen Weg gefunden, wie man das richtig macht. Es gibt die W Series, die wirklich gut ist. Aber da separierst du die Frauen von den Männern. Mit unserer Idee sind Frauen und Männer erstmals gleichgestellt.“
Die Arbeitsteilung sieht in der Praxis so aus: Ein Rennen besteht aus zwei Runden à 16 Kilometer. Je eine Runde wird dabei vom Fahrer, eine von der Fahrerin absolviert. In verschiedenen Gruppen fahren die Teams im Turnierformat gegeneinander, bis im Finale die drei schnellsten Mannschaften um die grüne Krone kämpfen.
Allein: Die Kritiker trauen dem Frieden nicht. „Warum reist man um die Welt und fügt bereits bedrohten Landschaften mit den Monster-Buggys weiteren Schaden zu?“, ist die Frage, die nicht wenige mit erhobenem Zeigefinger stellen und eine Marketing-Mogelpackung wittern. Nico Rosberg kennt diese Argumente, hält aber dagegen: „Gerade der Sport bietet eine Chance auf die Probleme der Menschheit aufmerksam zu machen, weil wir so eine riesige Reichweite haben“, gibt er zu bedenken. „24 der 25 größten TV-Übertragungen aller Zeiten sind Sportevents. Deswegen muss sich jeder Sport mehr und mehr dafür einsetzen, dass wir dem großen Ganzen dienen und unsere Zukunft sichern.“
Die Extreme E versucht das mit eindrucksvollen Bildern aus den Klima-Hotspots der Erde – und mit der Implementierung modernster Techniken. „Bei der Stromversorgung nehmen wir eine Vorreiterrolle ein“, argumentiert Rosberg. „Das ganze Event wird mit Wasserstoff betrieben. Die Brennstoffzellengeneratoren laufen komplett CO2 neutral. Das kann ein positives Beispiel für andere Sportevents wie die Fußball-Europameisterschaft oder die Bundesliga sein. Und auf dem Schiff, das die Autos an die jeweiligen Rennorte fährt, ist ein wissenschaftliches Team an Bord, das laufend Daten sammelt – zum Beispiel zum Säuregehalt des Meeres.“
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Die letzten Zweifel am guten Zweck der Serie beseitigt das sogenannte Vermächtnis-Programm. Mit konkreten Aktionen und vor allem Geld hilft es den Regionen im Auge des Klima-Sturms beim Kampf gegen die Naturgewalten.
Fest steht: Die Asphalt-Cowboys der Neuzeit wollen ihren Sport, den sie immer noch mit voller Leidenschaft ausüben, nutzen, um das Bewusstsein für das Wesentliche zu schärfen. Besonders der noch aktive Vettel gibt davon Zeugnis ab: „Wenn ich den Helm aufziehe, will ich immer noch schneller sein als die anderen. Sonst könnte und würde ich den Job nicht mehr machen“, gibt er zu. Aber er spricht vielen seiner Kollegen aus dem Herzen, wenn er sagt: „Uns allen muss klar sein, dass am Ende die Natur das Wichtigste ist.“
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