Exklusives Interview mit Formel-1-Sportchef Ross Brawn über Max Verstappen und Michael Schumacher, dessen Sohn Mick, Lewis Hamilton, Ferrari und Co.
Herr Brawn, wie geht es Ihnen?
Ross Brawn (67, lächelt): Das Leben ist im Moment ja eher ein Überleben. Durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine war und ist es für alle nicht so einfach.
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Man hört, Sie wollen Ihren Job als Formel-1-Sportchef Ende des Jahres aufgeben?
Ich will deutlich kürzer treten, sagen wir mal so. Ich werde mit meiner Expertise weiterhin zur Verfügung stehen, aber nicht mehr jeden Tag verantwortlich für einen Bereich sein. Das heißt, ich werde mich wieder mehr um meine Kinder und Enkelkinder kümmern, mehr zum Fischen gehen und meinen Garten pflegen.
Sie haben so viele Jahre mit der Formel 1 verbracht. Wurde sie Ihnen nicht mal langweilig?
Es gab verschiedene Perioden, verschiedene Herausforderungen. Ich war Teil eines Teams, dann hatte ich mein eigenes Team, schließlich arbeitete ich für den Vermarkter. Das sind immer völlig verschiedene Aufgaben. Und auch der Druck war jeweils anders.
Wo ist der Druck am größten?
Definitiv wenn du für ein Team arbeitest oder dein eigenes führen musst. Diese Aufgabe ist so unglaublich verantwortungsvoll, so unglaublich intensiv. Heute könnte ich das nicht mehr. Die Emotionen sind so hoch, egal ob du gewinnst oder verlierst. Heute genieße ich es, mitzuhelfen neue Fans zu generieren. Wir haben zum Beispiel mehr weibliche Anhänger als früher.
Sie zeichnen mit für die neuen F1-Regeln verantwortlich. Wie sieht Ihr Fazit bisher aus?
Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden. Die Autos können dichter hintereinanderher fahren und dementsprechend besser überholen. Auch das Nebeneinanderfahren ist einfacher geworden. Vorher, das wissen nicht viele, hat ein Auto auch da Performance verloren. Pirelli hat ebenfalls seinen Teil zur Verbesserung beigetragen. Das hat also alles hat schon mal gut funktioniert. Dass einige Teams die neuen Regeln besser umsetzen konnten und die anderen sich darüber aufregen, ist Formel-1-Folklore und war vorher eingeplant. Es hat besonders Mercedes getroffen. Aber sie sind keine Idioten, sie werden es hinbekommen.
Unser Eindruck ist, dass die aktuellen Autos schwieriger am Limit zu bewegen sind und dass gute Fahrer sich deshalb noch stärker in Szene setzen können. Stimmt das?
Das ist durchaus möglich. Das ist dann auch so gewünscht. Denn die besten Fahrer sollen am Ende auch vorne sein.
Sie haben so viele Piloten erlebt. Wie ordnen Sie Max Verstappen ein?
Sehr hoch. Seine Überlegenheit in Spa erinnerte mich an Michael Schumacher zu seinen besten Zeiten. Wenn du ein perfektes Auto hast und Piloten wie Michael oder Max im Cockpit, fahren sie wie auf einem anderen Planeten. Dann spürst du als Zuschauer diesen gewissen Zauber. Man darf ja nicht vergessen: Es gibt immer noch einen anderen Fahrer mit dem gleichen Auto, der nicht diesen Unterschied machen kann. Klar, wir wollen harte Kämpfe geführt von vielen Piloten. Aber wollen wir nicht auch gleichzeitig die Zauberer sehen, die sich von den anderen abheben?
Gibt es überhaupt jemanden, der Max Verstappen in Zukunft gefährlich werden kann?
Max ist die Messlatte, ohne Zweifel. So wie es Michael war. Die Zukunft wird zeigen, ob er auch das Maximale an einem Renntag herausholen kann, wenn das Auto mal nicht so gut ist. Das war eine von Michaels vielen Stärken. Aber Max ist noch jung und er scheint auch in dieser Beziehung einen Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben.
Wie würde der Kampf Michael Schumacher gegen Max Verstappen im gleichen Alter heute ausgehen?
Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur: Es wäre phantastisch zu beobachten. Michael hätten diese neuen Autos bestimmt auch gefallen.
Was macht die speziellen Fahrer wie Verstappen, Schumacher oder Senna aus?
Sie haben durch ihr Talent einfach mehr Kapazitäten. Wie ein Supertalent im Fußball, der nicht auf den Ball schauen muss, der am Fuß klebt, sondern schon nach vorne auf den nächsten Spielzug schauen kann. Ein Beispiel von Michael: Bei irgendeinem Rennen beschwerte er sich über Funk, dass wir ihm nicht die richtige Rundenzeit durchgegeben hätten. Er hätte gerade auf einer der großen Leinwände gesehen, dass er die schnellste Rennrunde gefahren sei. Was er nicht wusste: Es war sein Bruder Ralf, der das getan hatte. Die Superstars haben einfach mehr Kapazitäten, bei allem, was sie tun. Das gilt für alle Sportarten.
Und Lewis Hamilton?
Lewis befindet sich im Herbst seiner Karriere. Das heißt aber nicht, dass sie schon beendet ist. Er hat dieses Jahr seit extrem langer Zeit mal wieder ein Auto, mit dem er nicht gewinnen kann. Deshalb verwendet er viel Energie darauf, das zu ändern. Für ihn ist diese Zeit eine Art Charaktertest. Kann schon sein, dass sein Teamkollege George Russell deswegen in den Rennen hungriger ist.
Wie sehr erinnert Sie das an 2010?
Man kann Lewis‘ Situation ein wenig mit Michaels Comeback mit Mercedes vergleichen. Als Fahrer musst du dich immer entscheiden, ob du Teil der Lösung oder Teil des Problems sein willst. Michael definierte seine Rolle damals neu, war so ein Teil der Lösung und hat geholfen, das Team aufzubauen, das später acht Konstrukteurs-Titel in Folge holte. Er hat sich sozusagen für die Zukunft der Mannschaft geopfert und hatte entscheidenden Anteil am Fundament des Erfolgs.
Wie gut war er damals noch?
Das wird unterschätzt. Er war immer noch sauschnell. Das bewies er 2012 mit der Pole Position in Monaco. Die kannst du nicht holen, wenn du nicht immer noch diese spezielle Fähigkeit hast. Und ähnlich wie Lewis mit George Russell hatte Michael mit Nico Rosberg einen jungen Teamkollegen, der wahnsinnig gut war. Auch Nico wurde damals unterschätzt. Alle dachten, er sei nur zweite Wahl, aber er war ein harter Hund, sehr ehrgeizig und wurde später gegen Lewis sogar Weltmeister.
Zurück zu Hamilton. Er ist derzeit noch sechs Jahre jünger als Michael Schumacher in seinem letzten Formel-1-Jahr. Was erwarten Sie von ihm?
Lewis wird wiederkommen, da bin ich überzeugt. Genau wie sein Team. Ich bin der Meinung, dass Schwächephasen, die man überwinden muss, einen noch stärker machen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Was meinen Sie genau?
Man darf nicht vergessen, dass wir drei WM-Titel knapp verloren haben, bevor wir es bei Ferrari mit Michael Schumacher im Jahr 2000 das erste Mal schafften. Die drei Jahre vorher waren eine Härteprüfung. Das Team hätte aus Enttäuschung auch auseinanderfallen können. Aber das Gegenteil war der Fall: Wir wuchsen noch enger zusammen und wurden besser. Wir lernten viel und machten schließlich aus unseren Schwächen Stärken.
Apropos Ferrari: Sie scheinen wieder mitten in einer Leidensphase zu sein.
Ja, sie sind frustriert. Positiv ist, dass sie grundsätzlich ein Auto haben, mit dem man ganz vorne mitfahren kann. Aber lassen sie es mich mal so sagen: Sie agierten oft unglücklich. Ich kann mit ihnen mitfühlen, weil einige schon dabei waren, als ich noch bei Ferrari war. Das gleiche gilt natürlich für Mercedes. Chefingenieur Andrew Shovlin oder Stratege James Vowles sind nur zwei von vielen Leuten, die 2009 schon bei BrawnGP waren, als wir mit Jenson Button die WM gewannen. Sogar bei Alpine gibt es heute noch Leute, die mit mir arbeiteten, als wir noch Benetton hießen. Natürlich habe ich da spezielle Emotionen, die man nicht verdrängen kann.
Apropos Benetton: Da haben Sie auch mit dem Vater von Max Verstappen, Jos, zusammengearbeitet.
Genau. Er war sehr schnell und sehr jung. Aber er hatte halt Michael als Teamkollegen, der ebenfalls noch jung und extrem schnell war, aber im Gegensatz zu Jos schon sehr erfahren, strukturiert in seiner Persönlichkeit und Arbeitsweise. Dagegen hast du keine Chance. Jos hat darunter gelitten. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Max von den Erfahrungen seines Vaters profitierte, weil dieser ihn von Anfang an davon abhielt, jene Fehler zu machen, die er gemacht hat. Es ist immer schwer für Söhne von Formel-1-Fahrern, sich in der Königsklasse zu etablieren. Max hat das sehr gut hingekriegt. Bei ihm frage ich mich ohnehin immer, ob das Talent in seiner DNA liegt oder in der Erziehung. Denn auch seine Mutter war ja selbst eine großartige Kartpilotin. Der große Vorteil von Max gegenüber beispielsweise Mick Schumacher aber ist: Sein Vater war zwar auch ein Held in Holland, aber er hat nicht gewonnen, war nicht sieben Mal Weltmeister und keine Ikone wie Michael in Deutschland.
Wie sehen Sie Micks Karriere bisher?
Positiv, er hat sich in diesem Jahr enorm verbessert. Er hat mit Kevin Magnussen als Teamkollegen eine richtig gute Referenz und steht jetzt an einem wichtigen Scheideweg seiner Karriere. Er verdient es jedenfalls, den nächsten Karriereschritt zu machen. Und daran wird er dann gemessen werden.
Wie viel Potential hat er?
Er ist anders als sein Vater, der immer sofort am Limit war. Mick braucht etwas länger, aber am Ende hat auch er die Titel in den Nachwuchsklassen gewonnen. Er ist sehr talentiert, hat hundertprozentig die Arbeitsethik von seinem Vater übernommen und ist extrem steigerungsfähig. Das ist entscheidend.
Was erwarten Sie von Audi, die ihren Einstieg als Motorhersteller ab 2026 bekannt gegeben haben?
Für die Formel 1 ist es phantastisch. Das neue Motorreglement mit nachhaltigem Sprit und einem höheren Elektroanteil hat ihnen die Türen geöffnet. Die Formel 1 ist als Testlabor wieder relevant für Hersteller. Ich bin sicher, sie haben die Herausforderungen verstanden und werden erfolgreich sein. Es gibt eine deutsche Erfolgs-DNA. Die hat Mercedes. Aber die hat Audi auch. Ich hoffe, dass ihr Einstieg jetzt mithilft, einen deutschen GP zurückzubekommen. Denn es frustriert mich, dass wir dieses Rennen im Moment nicht im Kalender haben. Das ist eines unseren größten Ziele für die Zukunft. Deshalb ist es auch extrem wichtig, dass Mick Schumacher weiter Karriere in der Formel 1 macht. So faszinierend und wichtig die Technik in der Formel 1 auch ist: Die Kids hängen sich Poster der Helden hinterm Steuer in ihr Zimmer. Aber klar ist: Die kommerziellen Rahmenbedingungen für ein deutsches Rennen müssen stimmen.
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1. Max Verstappen (Niederlande) – Red Bull 1:20:27,511 Std.
2. Charles Leclerc (Monaco) – Ferrari +2,446 Sek.
3. George Russell (Großbritannien) – Mercedes +3,405
4. Carlos Sainz Jr. (Spanien) – Ferrari +5,061
5. Lewis Hamilton (Großbritannien) – Mercedes +5,380
6. Sergio Perez (Mexiko) – Red Bull +6,091
7. Lando Norris (Großbritannien) – McLaren +6,207
8. Pierre Gasly (Frankreich) – Alpha Tauri +6,396
9. Nyck de Vries (Niederlande) – Williams +7,122
10. Zhou Guanyu (China) – Alfa Romeo +7,910
11. Esteban Ocon (Frankreich) – Alpine +8,323
12. Mick Schumacher (Gland/Schweiz) – Haas +8,549
13. Valtteri Bottas (Finnland) – Alfa Romeo + 1 Rd.
14. Yuki Tsunoda (Japan) – Alpha Tauri + 1 Rd.
15. Nicholas Latifi (Kanada) – Williams + 1 Rd.
16. Kevin Magnussen (Dänemark) – Haas + 1 Rd.
Ausfälle:
Sebastian Vettel (Heppenheim) – Aston Martin (11. Rd.)
Fernando Alonso (Spanien) – Alpine (32. Rd.)
Lance Stroll (Kanada) – Aston Martin (40. Rd.)
Daniel Ricciardo (Australien) – McLaren (46. Rd.)
1. Max Verstappen (Niederlande) – Red Bull 335 Pkt.
2. Charles Leclerc (Monaco) – Ferrari 219
3. Sergio Perez (Mexiko) – Red Bull 209
4. George Russell (Großbritannien) – Mercedes 203
5. Carlos Sainz Jr. (Spanien) – Ferrari 187
6. Lewis Hamilton (Großbritannien) – Mercedes 168
7. Lando Norris (Großbritannien) – McLaren 88
8. Esteban Ocon (Frankreich) – Alpine 66
9. Fernando Alonso (Spanien) – Alpine 59
10. Valtteri Bottas (Finnland) – Alfa Romeo 46
11. Pierre Gasly (Frankreich) – Alpha Tauri 22
12. Kevin Magnussen (Dänemark) – Haas 22
13. Sebastian Vettel (Heppenheim) – Aston Martin 20
14. Daniel Ricciardo (Australien) – McLaren 19
15. Mick Schumacher (Gland/Schweiz) – Haas 12
16. Yuki Tsunoda (Japan) – Alpha Tauri 11
17. Zhou Guanyu (China) – Alfa Romeo 6
18. Lance Stroll (Kanada) – Aston Martin 5
19. Alexander Albon (Thailand) – Williams 4
20. Nyck de Vries (Niederlande) – Williams 2
1. Red Bull 544 Pkt.
2. Ferrari 406
3. Mercedes 371
4. Alpine 125
5. McLaren 107
6. Alfa Romeo 52
7. Haas 34
8. Alpha Tauri 33
9. Aston Martin 25
10. Williams 6