Die Saga um die Vorwürfe gegen Red Bull-Teamchef Christian Horner nimmt kein Ende. Darum wird der Brite mit Ikarus verglichen.
Nur sportlich läuft es rund bei Red Bull. Nach den Testfahrten vergangene Woche in Bahrain gilt Titelverteidiger Max Verstappen (26) als haushoher Favorit auf den Titel in der Formel-1-Weltmeisterschaft, deren erstes von 24 Rennen kommenden Samstag auf der Strecke nahe der bahrainischen Hauptstadt Manama stattfinden wird. Formel-E-Chef Jeff Dodds wettete sogar 250.000 US-Dollar auf den niederländischen Red-Bull-Superstar. Die würde er karikativen Zwecken spenden, falls Verstappen nicht seinen vierten Titel in Folge holt.
Jenseits der Stoppuhren ist allerdings etwas richtig faul im Red Bull-Staat in Fuschl bei Salzburg. Grund: Red-Bull-Racing-Teamchef Christian Horner (50) ist trotz einer Untersuchung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz immer noch im Amt. Zu lange stand das Ergebnis der Anhörung durch einen Anwalt, der seitdem im Urlaub buchstäblich abgetaucht war, aus. Wie Sky UK berichtet, ist der Ergebnisbericht nun endlich in Österreich eingetroffen. 120 Seiten Sprengstoff.
Den Zeitgewinn nutzte Horner, der jegliche Vorwürfe vehement abstreitet, um bei den Tests in Bahrain präsent zu sein. Allein: Nicht nur der Automobil-Weltverband FIA und der amerikanische Chefvermarkter der Königsklasse, Liberty Media, fordern schnellstmögliche Aufklärung von Red Bull. Am ungeduldigsten reagiert jetzt der zukünftige Technikpartner Ford.
Der Konzernchef fordert in einem offenen Brief an das Formel-1-Team, der der Nachrichtenagentur AP vorliegt, Transparenz im Umgang mit dem Vorgang. Ford sei zunehmend verärgert, weil es bisher „keine Lösung gibt und keinen klaren Hinweis, wann mit einer fairen und gerechten Lösung zu rechnen ist. „Außerdem ist die fehlende Transparenz uns gegenüber frustrierend. Denn wir sind Geschäftspartner. Und wir wollen einen vollständigen Bericht über alle Erkenntnisse erhalten.“
Fest steht: Die österreichischen Entscheider des Getränkekonzerns rund um Mark Mateschitz (er erbte die 49 Prozent von seinem Vater, dem Konzerngründer Dietrich Mateschitz) und CEO Oliver Mintzlaff würden Horner lieber heute als morgen Horner loswerden. Ihnen sind aber die Hände gebunden.
F1-Insider.com weiß warum: Dietrich Mateschitz hatte einen Geschäftsführervertrag mit den 51-Prozent-Inhabern aus Thailand, der ihm freie Hand für diverse Entscheidungen im operativen Bereich ließ. Dazu gehörte, selbstständig Personalentscheidungen zu treffen. Nach dem Tod von Mateschitz im Oktober 2022 wurde diese entscheidende Zusatzvereinbarung nicht auf die Erben übertragen. Mit dem Ergebnis, dass eine Suspendierung oder Entlassung Horners ohne die Zustimmung der thailändischen Familie nicht möglich ist.
Das Problem: Chalerm Yoovidhya, Oberhaupt der thailändischen Red Bull-Familie, hat einen Narren an Horner gefressen. Ralf Schumacher, Formel-1-Star und heutiger Experte von Sky-Deutschland und extrem gut vernetzt bei Red Bull, bringt es vei F1-Insider.com auf den Punkt: „Für Chalerm ist Horner eine Art Ziehsohn. Er steht bedingungslos zu ihm. Und ob es uns gefällt oder nicht: Leider ist es die Realität, dass unsere westlichen Werte von Gleichberechtigung in Thailand noch nicht so angekommen sind. Dort wird die Rolle einer Frau noch anders gesehen.“
Die Österreicher müssen deshalb fast schon verzweifelt zusehen, wie die Horner-Affäre für immer mehr Imageverlust beim Getränkekonzern sorgt. „Früher Bullen, heute Nullen“, ist noch die harmloseste Häme, die Mateschitz Junior und Co. sich in der Szene hinter vorgehaltener Hand anhören müssen.
Denn Horner hat die Thailänder hinter sich. Da spielt es auch keine Rolle, dass er mit dem Verstappen-Clan, Designgenie Adrian Newey, Chefberater Helmut Marko und den Entscheidungsträgern von Red Bull in Österreich die wichtigsten Personen gegen sich aufgebracht hat. Frustriert hört man aus Österreich nur noch Sätze wie: „Horner lebt auf einem anderen Planeten. Er ist nicht mehr von dieser Welt.“
Allein: Wer, unabhängig von der Untersuchung, verstehen will, warum Horner in Salzburg längst den Spitznamen „Ikarus“ hat, jenem Jüngling aus der griechischen Mythologie, dessen Flügel schmolzen, weil er der Sonne zu nahe kam, muss sich nur die aktuelle Staffel der F1-Doku „Drive to survive“ bei Netflix anschauen. Horner lässt sich dort ganz im Stil vom Sonnenkönig Ludwig XIV feiern, der im Mittelalter die Kritiker an seinem dekadenten Lebensstil mit einem Satz wegwischte: „Der Staat bin ich.“
Horner lässt bei der Doku in mehreren Situationen nie den Zweifel daran, wem Red Bull alles zu verdanken hat: ihm. Mit dem Wissen der Untersuchung im Hintergrund bekommen dabei manche Szenen skurrile Züge. Zum Beispiel als der Weihnachtsmann seine Kinder vor laufender Kamera fragt: „Ist Euer Daddy letztes Jahr auch brav gewesen?“ Oder als er seinem Fahrer Daniel Ricciardo, der ihm einen guten Flug von A nach B wünscht, völlig losgelöst antwortet: „So lange ich nicht hinter Helmut (Marko, die Red.) sitze und der furzt, ist alles ok.“
Fest steht: Red Bull Österreich muss das Horner-Problem so schnell wie möglich lösen. Trotz der Übermacht aus Thailand. Ex-Teamchef Eddie Jordan, ein Kumpel von Designgenie Adrian Newey, befürchtet sonst das schlimmste. Jordan zu F1-Insider.com: „Ich habe schon viele falschen Entscheidungen erlebt. Aber die Red-Bull-Situation ist das Absurdeste, was ich je gesehen habe. Natürlich gibt es erst mal die Unschuldsvermutung für Horner. Aber glaubt jemand ernsthaft, die Mitarbeiterin hätte sich die Vorwürfe aus den Fingern gesaugt? Wenn Horner unschuldig ist, ist sie dann schuldig? Der Imageverlust von Red Bull ist schon jetzt riesengroß. Einer muss jetzt die Reißleine ziehen.“
Doch wer? Im Moment ist noch geplant, dass Horner, Newey und Marko am Mittwochmittag gemeinsam von Österreich aus zum Auftaktrennen nach Bahrain fliegen. Man könnte auch sagen: „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug.“
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